Den Durchblick behalten: Mit dem Blick auf das eigene Wohlbefinden verselbstständigen sich meine Augäpfel.

Den Durchblick behalten: Mit dem Blick auf das eigene Wohlbefinden verselbstständigen sich meine Augäpfel.

Am Nachmittag, ich war unachtsam, vielleicht sogar weg gedöst, lösten sich unauffällig meine Augäpfel ab. Sie pellten sich ruhig, mit eleganten Schlangenbewegungen, aus den Augenhöhlen und schwebten auf einem leichten Lufthauch davon. Sie besahen sich die Welt von oben.

Zunächst blieben sie in der Nähe. Ich konnte hören, wie der Glibber von ihnen abtropfte und auf den Boden plingte. Erst später fassten sie den Mut, das Zimmer durch das geöffnete Fenster zu verlassen. Was sie sahen und was sie dabei dachen, behielten sie für sich. Um mich herum, links und rechts und oben unten unten nur tadellose Schwärze. Meine Augäpfel arbeiteten nicht mehr für meine Wahrnehmung.

Nach ihrer Rückkehr, ich war schon unruhig geworden, quetschten sie sich mit einem „Plop“ wieder in ihre angestammten Augenhöhlen und schwiegen eine Weile. Dann bekam ich endlich etwas zu sehen. Etwas, das ich schon kannte. Meinen Alltag.

Ich fragte mich noch lange, was sie erlebt haben mochten. Worüber sie hinweggeschwebt waren. Welche Perspektive sie verzückte hatte. Ob sie vielleicht andere Augenhöhlen ausprobiert haben. Der Gedanke missviel mir. Andere Augenhöhlen steckten in anderen Menschen, die vielleicht unhygienisch waren und die die blödesten Krankheiten haben konnten.

Nachdem ich mir ausgiebig von phantasievoll bis paranoid vorstellte, was sie so erlebt haben mochten, konnte ich mich nicht mehr länger vor der eigentlichen Frage drücken: Warum waren sie überhaupt ausgebüchst? Waren sie unzufrieden? Oder hatte ich nur besonders neugierige Augen? Suchten sie verbotene Blicke? Das wollte ich mir nicht gerne vorstellen. Das hätte ich doch schon früher merken müssen. So oder so, sie mussten sich wohl gelangweilt haben.

Vor Angst, meine Leber könnte sich auch eine Auszeit nehmen, gönnte ich ihr, entgegen den Gewohnheiten, eine gute Flasche Wein. Das gab mir Zeit, darüber nachzudenken, was ich meinen anderen Organen Gutes tun konnte, damit sie nicht auf dumme Gedanken kamen. Die Leber zu verwöhnen, war leicht. Ihre Zufriedenheit war für mich sofort spürbar. Mit den Anderen musste ich mir etwas einfallen lassen. Was konnte ich meinen Nieren angedeihen lassen? Was der Milz? Herz, Lunge? Was waren ihre Bedürfnisse? Ihre geheimen Wünsche? Ihre Obsessionen?

Daraus entstand der Plan, meinen Körper systematisch zu verwöhnen. Ich würde vorbeugend mit den Organen anfangen, die einen direkten Zugang zur Welt hatten. Nase, Lunge. Magen. Enddarm. Die Finger natürlich auch, dass man an die erst als Letztes denkt. Sie mochten am gefährdetsten sein. Alle meine Teile sollten mal ein gehöriges Stück Aufregung abkriegen. Raus aus dem Körperteile- und Innereienalltag. Morgen fange ich damit an.

Folge 2: Warnung vor dem zweiten Guten