Breitleinwand-Comic und einer der Höhepunkte der Comicmonate Mai und Juni: Der neue "Batman & Robin" von Autor Grant Morrison und Zeichner Frank Quitely.

Es tut sich viel im Reich der Superhelden. Unter anderem das: Die Superhelden-Comics bluten kreativ aus. Deren Schöpfer sind zum Film gewechselt. Und fühlen sich jetzt selbst als Stars. Wir hatten schon über „Kick Ass“ berichtet: Der erste Band ist erschienen, der zweite kommt im Mai – aber zwischen der Veröffentlichung von Band 1 und Band 2 läuft schon mal der Film in Deutschland an. Das ist symptomatisch.

Hollywood investiert eisern: „Iron Man II“ fährt schwere Geschütze auf

Was gibt’s Neues aus der Welt der Superhelden-Comics? Der Mai steht ganz im Zeichen des neuen „Iron Man“-Filmes. Der erste Teil war einer der erfolgreichsten Superhelden-Verfilmungen. Soll man eigentlich froh sein darüber, dass die Fantasiewelten der Comics immer mehr auf der Leinwand zum Leben erwachen, dass die guten Comic-Autoren zu Drehbuchschreibern werden und die Comiczeichner zu Storyboard- bzw. Ausstattungszeichnern oder Designern für den Film? Wird für die Comics noch genügend kreatives Potenzial übrig bleiben? Oder werden die Comic-Macher – im Gegenteil – durch diese Aussichten sogar noch angestachelt? Jedenfalls ist ein Exodus der fähigen Comic-Schaffenden gen Film voll im Gange – mehr Geld und größere Anerkennung als in der Comic-Branche locken.

Kreativitäts-Vampirismus: Der Film saugt die Comics aus

Ein Film verläuft erzählerisch und ästhetisch nach ganz anderen Gesetzmässigkeiten. In den beiden „Fantastic-Four“-Verfilmungen wurden gleich mehrere Erzählzyklen der gleichnamigen Comics verbraten, ebenso bei „Daredevil“, „X-Men“ oder „Spiderman“. Der Superheldenfilm ist wie ein gigantischer Staubsauger, der die besten Ideen der Jahrzehnte laufenden Comicserien raussaugt und in zwei Stunden presst. Werden am Ende nur noch Filmschaffende existieren und keine Comic-Künstler mehr? Wer kreiert dann die neuen Ideen? Jedenfalls wird die Kinematisierung der Comicwelt diese mehr korrumpieren.

Leonardo Mancos zeichnet „Iron Man“

Einer der aufstrebenden Könner in der Comicwelt ist der Argentinier Leonardo Mancos. Der hat den „Iron Man“-Band „War Maschine“ detailreich und filigran 292 Seiten lang gezeichnet – unter den Bänden, die rund um den Film erscheinen, ist dieser Band der, der zeichnerisch am ehesten empfehlenswert ist. Der Band erscheint unter dem verschiedendste Serien umspannenden Label „Dark Reign“, das eine übergeordnet zusammenhängende Story bezeichnet.

Etwas Neues von Chris Bachalo

Ein weiterer „Dark Reign“-Band heißt „Sinister Spiderman“. Gezeichnet hat das 100-Seiten-Paperback eines der ganz wenigen Zeichner-Originale der amerikanischen Superheldenszene: Chris Bachalo, der praktisch mit allem, was er zeichnet aus den üblichen Schemata herausfällt. Seine Monster sind ein bißchen abgedrehter, seine Helden ein bißchen weniger muskelbepackt als sonst. Oft bemüht er sich um eine außergewöhnliche Seitenaufteilung. Er neigt dazu, gerade wenn es um Bösewichte geht, die Zeichnungen derartig kopmlex anzulegen, dass man zweimal hinsehen muß, weil man auf den ersten Blick nicht alles erkennt. Die Sicherheit und Eigenständigkeit seines Strichs ist vergleichbar mit Meistern wie P. Craig Russell. Es ist eine Seltenheit, dass Bachalo Zyklen zeichnet, oft klinkt er sich irgendwo mit Einzelheften ein. So ist sein Werk über viele verschiedene Heftserien verteilt. Nach einem „Captain-America“-Band aus 2009 hier also nun ein 100-Seiten-Werk. Nur das Cover ist vom Möchtegern-Bernie-Wrightson Mike Deodato Jr. Schade – waren doch die Bachalo-Cover der Einzelhefte kleine provokante Meisterwerke, die aber wie immer im Innenteil des Bandes abgedruckt sein werden.

Höhepunkt Ende Mai bei Panini: „Batwoman“ von J. H. Williams III.

Das Mai-Highlight wird aber der 164-seitige Sammelband von „Batwoman“. Die Zeichnungen von J. H. Williams III. haben einen illustrativen Anspruch, sind stark von den Ornamenten des Jugendstils geprägt, was relativ einmalig für einen Superhelden-Comic ist, und überraschen vor allem durch ein kreatives Layout: Eine ideenreichere Seitengestaltung hat man seit den Tagen des Spaniers Fernando Fernandez (in Deutschland erschienen im Magazin „Vampirella“ und mit einem Buchband im „Volksverlag“) oder des Über-Zeichners Alex Nino schon lange, lange nicht mehr gesehen. Oppulente Grafik in einem High-Speed-Genre – ein reizvoller Kontrast. In dem Design der Seitenaufteilung ist Williams äußerst akurat, eigentlich nicht zu vergleichen mit den vorgenannten und auch nicht mit dem Expressionisten Sam Keith oder den 70er-Jahre-Layouts von Neal Adams bei „Green Lantern“ oder „X-Men“.

Der Engländer Frank Quitely mit einer neuen Serie
Im April ist eine weitere interessante serielle Neuerscheinung gestartet. Zeichner Frank Quitely zeichnet wieder eine längere Serie, „Batman & Robin“. Mit „Batman“ Heft 40 ging’s los“, in Nr. 41 geht die Story nun demnächst weiter. Nachdem Grant Morrison und Frank Quitely „Superman“ in der Mini-Serie „All Star Superman“ gekonnt neu definiert hatten, widmen sie sich nun dem zweiten großen DC-Helden „Batman“. Quitelys Hauptwerk waren die „New X-Men“, ebenfalls in Kooperation mit Autor Grant Morrison – sowohl inhaltlich, erzählerisch und zeichnerisch Maßstäbe setzend. Es ist schön zu sehen, wenn Könner über eine lange Strecke hinweg alte Comic-Charaktere neu „erfinden“ und damit auffrischen und den Erfordernissen der Zeit anpassen. Die „New X-Men“ waren sehr stylisch bezüglich ihrer schicken neuen Uniformen und verjüngt bezüglich ihrer Physiognomie. Aus den Kraftprotzen wurden dünne Denker, die immer mehr auch durch ihre mentale Stärke geprägt waren. Autor Morrison griff in die Trickkiste des Menschelnden, wenn eine Mutantin vom anderen Mutanten schwanger, ein Schüler der Mutantenschule größenwahnsinnig und gefährlich wird und überhaupt die Akteure und ihre Probleme mal so richtig Fahrt aufnehmen. Übrigens bildeten die damaligen grundlegenden Szenarien auch einen Teil der Basis für die Filme. Die von Quitely gezeichneten Action-Sequenzen waren zudem mitreissend – und das mit wenig Strichen und zeichnerischer Ökonomie, bei der Quitely sich mit Tuscher Tim Townsend gut ergänzte. Die Messlatte für eine Serie, die Neues bieten kann, war dadurch im traditionell klischeedurchwirkten und damit festgefahrenen Superhelden-Genre sehr hoch gesteckt. Richtig reden im großen Superhelden-Zirkus machte der Zeichner mit der vorgenannten „All-Star-Superman“-Adaption von sich, die indes zeichnerisch nicht neue Horizonte erreichte. Bestachen seine „New X-Men“-Zeichnungen durch eine glatt-lineare Vereinfachung in der Tuschearbeit, waren die digital getuschten Arbeiten der Superman-Miniserie von Jamie Grant rauher und ungeschliffener – im übrigen digital getuscht, das heißt am elektronisch-drucksensitiven Zeichenbrett bzw. -Bildschirmtablett. Bei „Batman & Robin“ schließlich ist Quitely’s eigener Tuschestrich unkoordinierter geworden und vermittelt damit den Eindruck einer alten illustrativen Darstellungsweise. Die Dimensionalität vorgaukelnden Schraffuren wirken lockerer, teils sogar wie zufällig gesetzt, was den Zeichnungen mehr Lebendigkeit verleiht, obwohl der beste Quitely derjenige ist, der möglichst sparsam arbeitet. Dabei ist eine Tendenz bei den hochgradig arbeitsteilig gefertigten Superhelden-Comics dominanter geworden: Dadurch, dass die Farbgebung nicht mehr das frühere platte Farbflächen-Einziehen ist, sondern nahezu eine eigene grafische – will heißen: elektronisch gemalte – Ebene ist, können die schwarzen Striche und Konturen auf ein Minimum reduziert werden. Die Räumlichkeit muss dabei nicht mehr durch schwarze Strich-Schraffuren erzeugt werden, dies übernimmt der Farbdesigner. Für den klugen Zeichner bedeutet das nicht nur, dass er theoretisch alles Unwesentliche weglassen kann und sich zur Ausformung seiner visuellen Sprache nur noch weniger wesentlicher Linien bedienen muß, nein, er hat auch schlicht weniger Arbeit, wenn er ein Profi ist, der sich seiner Erfahrung bedienen kann. Im Falle von „Batman & Robin“ hat Quitely vorgezeichnet und getuscht und Alex Sinclair für die Farbgebung gesorgt.

Mike Mignola in der Hölle und „Hellboy“ am Ende im Cross Cult-Verlag
Ein weiterer Könner arbeitet inzwischen beim Film und hat damit genug zu tun: Mike Mignola, der mit „Hellboy“ einen modernen Comicklassiker geschaffen hatte und mal in einem Interview vor Jahren gesagt hatte, er wolle „Hellboy“ niemals an einen anderen Zeichner abgeben. Hätte er das nur mal getan. Sein Nachfolger Duncan Fegredo ist zwar kein schlechter Zeichner, aber den einmaligen Charme von Mike Mignolas Geschichten, die eine ganz spezielle Synthese zwischen Form und Inhalt, zwischen Textaussage und Zeichnung eingehen, kann niemand nachahmen. Mignolas Stil zwischen grober Flächigkeit und sehr dünnen Linien verrät kaum etwas darüber, welche zeichnerische Meisterschaft er inzwischen erreicht hatte. Wer sich allerdings mal einen Bildband von ihm anguckt, wird staunend eines anderen belehrt. Die „Hellboy“-Comics sind fast immer schwarz-weiß, spartanisch, ja regelrecht spröde gezeichnet. Der abgedrehte Held selbst, einer der sehr trocken-humoristischsten Charaktere der Comicwelt, lebt in einer vollkommen autarkten Welt der Mythen. Mignola hatte durch die beiden „Hellboy-Filme“ schließlich alle Hände voll zu tun und keine Zeit mehr für seinen Comicheld. Die Geschichten hat er weiter geschrieben, hat sich für einen Band gleich mehrere Zeichner gesucht und ist bei Duncan Fegredo geblieben. Aber wie gesagt: Die Übernahme der zeichnerischen Arbeit an „Hellboy“ ist vom Anspruch her in etwa zu vergleichen mit der Übergabe von Prinz Eisenherz durch Comic-Legende Harold R. Foster an John Cullen Murphy (was einer der größten Fehler in der Geschichte der Comics gewesen ist). Soll heißen: Die Aufgabe ist praktisch nicht zu bewältigen. Schade für „Hellboy“ und seine Zukunft – und ein Beleg für die oben erwähnte These, dass zu viele gute Comic-Leute zum Film abwandern und ihre Kreativität für die Comics absterben lassen. Bei „Cross Cult“ erscheint im Juni Band 10 der schönen Hellboy-Sammelbände in Buchform.

Die Kreativ-Regression des Frank Miller
Zwischenzeitlich ist der alte Frank Miller-Comic „Martha Washington“ mit dem ersten Band „Ein amerikanischer Traum“ erschienen. Frank Miller ist ein Wegbereiter teils vielschichtiger teils aber auch eindimensionaler gewaltverherrlichender Comics. Deshalb ein dickes Fragezeichen, ob die Inhalte, die er vermittelt, zu befürworten sind. Andererseits ist er sowohl als Zeichner als auch als Autor in den letzten drei Jahrzehnten – vor allem in den 80er- und 90er-Jahren – einflußreich wie kein zweiter amerikanischer Autor/Zeichner. Längst ist er beim Film gelandet: Erst hatte er sich als Drehbuchautor des ersten und dritten Teils von „Robocop“ und der Charakterentwicklung für den zweiten Teil verbittert aus dem Filmgeschäft verabschiedet, dann als Mit-Regisseur neben Robert Rodriguez mit „Sin City“ zum gloriosen stilbildend-künstlerischen und kommerziellen Erfolg geeilt, war mit „300“, seinem Comicalbum als Vorlage zum Kinofilm von Zack Snyders ErstlingKino-Film zu viel Geld gekommen, schließlich mit der „Spirit“-Kino-Version dramaturgisch gescheitert und dem digitalen Effektgewitter auf den Leim gegangen. Man hört seitdem nur noch, an welchen neuen Filmprojekten er arbeitet, ob nun „Sin City II“ (2011 in den Kinos?), „Sin City III“ (2012), „Ronin“ (2012) oder „Hard Boiled“ (2011). Nach der sehr schwachen „Batman & Robin“-Miniserie mit einem ebenfalls schwachen Zeichner Jim Lee gibt es offenbar keine neuen Comics mehr von ihm, die etwas bewegen würden. Miller ist ein Klassiker geworden, der eine kreative Backlist in Filmsprache übersetzt bzw. übersetzen läßt. Für den Schöpfer „Frank Miller“ wohl eine Phase der persönlichen Regression. Er arbeitet sich daran ab, alte Comic-Stoffe als Filmversion neu erstehen zu lassen und hat keine Kraft mehr, etwas wirklich Neues zu schaffen, dort, wo er stark ist: In der Neuinterpretation angestammter Comic-Charaktere, denen er Tiefe verleiht.
Seine Serien-Premiere, die ihn berühmt gemacht hatte, war eine Neuinterpretation des in die Jahre gekommenen Marvel-Charakters „Daredevil“ gewesen, „Ronin“ stand unter starkem Einfluß von „Lone Wolf und Cup“ und war nichts anderes, als die Einführung der japanischen Manga-Erzählweise und ihrer Ästhetik, auch die teilweise Europäisierung seines Comics in Anlehnung an den Moebius-Zeichenstil. Sein größter Erfolg war „The Dark Knight returns“, eine Umgestaltung der „Batman“-Mythologie. Miller scheint sein Pulver verschossen zu haben und ein Comic-Schöpfer, der ein ähnliches das Medium erneuerndes Potenzial hätte, ist bisher nicht vorhanden. Die Anpassung und Umgestaltung der Charaktere vollzieht sich dem entgegen jetzt und zukünftig viel mehr in der Film-Branche. Dazu passt auch, dass Marvel – wir berichteten – von Disney gekauft wurde und dass der eigentliche Wert des Unternehmens fast ausschließlich in der Ausschlachtung von tausenden Comic-Charakteren für den Film liegt. Superhelden-Comics, ruhet sanft!