Präzise, treffsicher und individuell: So beschreibt Jörg Kachelmann seine Marke „Kachelmann Wetter“: Gleiches wird er sich für seine Behandlung durch die Justiz wünschen.

Präzise, treffsicher und individuell: So beschreibt Jörg Kachelmann seine Marke „Kachelmann Wetter“: Gleiches wird er sich für seine Behandlung durch die Justiz wünschen.

Was ist die Wahrheit? Niemand außer Jörg Kachelmann und der Frau, die er vergewaltigt und bedroht haben soll, weiß es. Die Staatsanwaltschaft weiß es nicht, die Verteidigung Jörg Kachelmanns weiß es nicht und die Öffentlichkeit schon gar nicht – Leben als Medienschicksal.

Jörg Kachelmann sitzt im Gefängnis. Ihm wird zur Last gelegt, er habe eine seiner Lebensgefährtinnen mit einem Messer bedroht und sie unter Todesdrohungen vergewaltigt. Sie war zur Polizei gegangen und hatte ihn angezeigt, daraufhin ist Kachelmann wegen Fluchtgefahr – er ist Schweizer und die Schweiz liefert nicht aus – in Untersuchungshaft gekommen.

Seit dem ist viel über den Don Juan Kachelmann zu lesen gewesen.
Die anfänglich sieben Parallelbeziehungen, die er geführt haben soll sind inzwischen auf medienrelevante vierzehn angeschwollen. Aber was hat das mit der angezeigten Vergewaltigung zu tun? Zumindest mag die Öffentlichkeit einem Mann, der vielleicht ein Lügner ist, weil er jeder Frau per Serien-SMS praktischwerweise mit dem gleichen Kosenamen „Lausemädchen“ anspricht, weniger Glauben schenken. Einem vermeintlichen Lügner, der etwas bestreitet, glaubt man unter Umständen nicht wieder. Fast schon eine Art griechische Tragödie, allerdings ohne die schuldlose Verstrickung: Ein Medienmann des Öffentlichen Lebens hält sich eine Art Harem – wie das im übrigen viele andere Showstars auch tun -, also nichts wirklich Besonderes. Man sollte hier nicht aus der Medienferne moralisieren Das öffentliche Leben ist ein antagonistischer Mechanismus zwischen dem Exhibitionismus der Stars und dem Voyeurismus der teilhabenden Öffentlichkeit. Wer schuldiger ist in dieser Glas-Maschinerie, der werfe den ersten Stein.

Unklarheiten in den Aussagen des möglichen Opfers
Eine seiner Lebensgefährtinnen kommt dahinter, dass Kachelmann etwas mit einer Frau oder mehreren Frauen hat. Sie gibt zu Protokoll, dass am 8. Februar 2010, dem Tag des von ihr angezeigten Verbrechens, ein Briefumschlag in ihrer Post gewesen sei, der ein Flugticket mit dem Namen Kachelmanns und einer anderen Geliebten enthalten habe – dabei ein Zettel mit der Aufschrift „Er schläft mit ihr.“ Im Laufe der Vernehmung stellt sich dies jedoch als Lüge heraus. Die Lebensgefährtin Kachelmanns hatte die Frau, deren Name auf dem Flugticket gestanden hatte, schon länger zum Beispiel auf FaceBook beobachtet und dort Kontakt zu ihr aufgenommen. Schließlich gibt die Befragte auch zu, dass sie den Zettel selbst verfasst habe. Das Flugticket hat sie auch nicht am Tag der angezeigten Vergewaltigung erhalten, sondern vorher. Vor dieser Korrektur ihrer Aussage hatte es andere Details ihrer Aussage bezüglich des Tathergangs in der Nacht gegeben, die sie zurücknehmen mußte.

Unklarheiten im Gutachten
Nun schreibt, wie jetzt im „Spiegel“ zu lesen ist, eine Gutachterin, die von der anklagenden Staatsanwaltschaft beauftragte Psychologin Luise Greuel, „dass die Schilderung der Vergewaltigung nicht die Mindestanforderungen an die logische Konsistenz, Detaillierung und Konstanz erfülle.“ Eine Aussage, die sich dem Laien bezüglich ihrer logischen Konsistenz, Detaillierung und Konstanz nicht erschließt. Das Opfer würde den Tatablauf nur „vage und oberflächlich“ wiedergeben und die Aussagen enthielten bezogen auf den möglichen Ablauf der Tat unwahrscheinliche bis unmögliche Angaben. Die Gutachterin kommt zu dem Schluß, dass die Aussagen des möglichen Opfers nicht zuverlässig seien.

Diffuse Uneindeutigkeiten
Die Staatsanwaltschaft hat gegen Kachelmann Haftbefehl erlassen, ohne das Gutachten der Psychologin, bei der es um die Glaubwürdigkeit der Frau gegangen war, abzuwarten. Aber auch anderes, die harten Fakten, lösen sich im Streit der Parteien und unter den Fingern diverser Gutachter ins Diffuse auf. An der möglichen Tatwaffe, dem Messer, sind Blutspuren des möglichen Opfers nicht eindeutig nachzuweisen. Auch die Verletzungen der Frau sind nicht einzuordnen. Der Gutachter der Staatsanwaltschaft kann sie nicht eindeutig einem Fremdverschulden oder einer Eigenbeibringung zuordnen. Der Gutachter der Verteidigung hält die Verletzungen für selbst zugefügt.

Was ist die Wahrheit? Einerlei?
Alles kein Problem, denn dieses Fakten-Wirrwarr muß nicht die Öffentlichkeit verstehen sondern ein Gericht klären. Wenn nicht die Bildzeitung heute titeln würde: „Kachelmann schon diese Woche frei?“ Hat bei der Inhaftierung von Kachelmann sein Promi-Status eine Rolle gespielt, weil er sozusagen fette Beute für einen Staatsanwalt ist? Anderersets hätte sich Kachelmann als Schweizer Staatsbürger sehr einfach dem Zugriff entziehen können, wenn die Staatsanwaltschaft nicht gehandelt hätte. Ein seltsames Bild: Kachelmann als Medienstar, der seinen Ruhm privat umfänglich nutzt. Eine Lebensgefährtin, die durch ihre Vorwürfe das öffentliche Image des ehemaligen Sympathieträgers nachhaltig zum Einstürzen bringt und es ihm vermutlich unmöglich machen wird – selbst wenn keine Anklage erhoben oder er freigesprochen würde – wieder zur Tagesordnung überzugehen (siehe hier auch den  „Fall Andreas Türck“). Eine Staatsanwaltschaft die handwerklich gelinde gesagt offenbar nachlässig war und nun eher vor einem Scherbenhaufen an Beweisen steht. Eine Öffentlichkeit, die Popcorn kauend die Geschehnisse verfolgt: Dass eine der positivsten Figuren des Deutschen Fernsehens vom Sockel fällt, unendlich tief, dass nun dieser Sturz in Frage gestellt wird. Und über allem schwelt der Ruch der Lüge allerorten. Lügt die Frau, lügt Kachelmann? Liegt die Wahrheit in den Aussagen der Staatsanwaltschaft, die offiziell an ihrer Anklage festhält? Oder liegt die Wahrheit bei den Gutachtern? Sagt am Ende das Opfer trotz aller Ungereimtheiten die Wahrheit oder hat sie sich aus Rache in einem Gewirr an Unwahrheiten verheddert? In jedem Fall haben die Medien eine große Geschichte zu erzählen. Je länger sie offen bleibt, desto besser. So bleibt die Geschichte spannend.