Mesut Özil, ein besonders kreativer Regisseur im Spiel gegen Australien.

Mesut Özil, ein besonders kreativer Regisseur im Spiel gegen Australien.

13. Juni, der dritte Spieltag. Wir feiern heut‘ das Krisenfest. Die Fußball-WM läßt einen vergessen, wie sehr die Menschen in Deutschland und Europa um ihren Wohlstand bangen. Jetzt wird erstmal fußballerisch gefeiert und gefiebert – und später dann wird nachgedacht. Der Tag beginnt schlaff. Die Mannschaften können sich nicht einigen, wer langweiliger spielen will.

Ich habe mir ein paar Klosterbiere besorgt, „ora et labora“ sozusagen.
Die sechs frischen Flaschen stelle ich in eine verstaubte, leere Bierkiste, die hier noch rumsteht. Alle auf eine Seite, sodass der Bierkasten Übergewicht kriegt, als ich ihn auf die Tischkante stelle. Der Kasten rutscht, die Flaschen fliegen dem Steinfußboden entgegen, und das war’s dann mit dem Bier. Im ersten Moment habe ich gedacht: „Das war’s dann mit der WM“, aber ich hab‘ mich wieder eingekriegt und mach‘ mir einen Tee. Zunächst vollkommen nüchtern gehe ich den dritten Tag an. Unglaublich: Diese Farben und Töne, alles so klar, so habe ich noch nie Fußball geguckt, die vollkommene Transparenz in der Birne. Aha, das also ist Fußball. Doch der dritte WM-Tag streckt seine unbarmherzigen Finger nach mir aus.

Der dritte Spieltag brachte endlich Neues.
Dann kam alles anders. Das ist so ähnlich wie im Fußball. Mir wird dann doch noch für diesen Tag ein „St Feuillien Blond“-Bier zugespielt. Kommt aus Belgien in der 0,25 l-Flasche. Die ist klein, hat es aber gehörig in sich: 7,5% Alkohol. Das Bier schmeckt mir gar nicht. Das verdirbt mir bereits am frühen Morgen den Tag. In den ersten Spielen sind viele Mannschaften vorsichtig, sie möchten aus Imagegründen und weil’s ein schlechter Start wäre, nicht gerade das erste Spiel verlieren. So sind die Mannschaften wenig mutig, wenig kreativ und gehen tendenziell auf Nummer sicher. Deshalb überall wenig Tore und viele Gleichstände.

Rekordspieler Abdelkader Ghezzal: Keiner hat so schnell eine rote Karte bekommen und das Spielfeld wieder verlassen müssen.

Rekordspieler Abdelkader Ghezzal: Keiner hat so schnell eine rote Karte bekommen und das Spielfeld wieder verlassen müssen.

Das erste Spiel am 13. Juni 2010: Slovenien gegen Algerien (1:0)
Ein relativ ideenloses Spiel. Etwas Spannendes gibt es aber doch: In der 59. Minute wechseln die Algerier Abdelkader Ghezzal ein, durchaus mit Gewinn. Allerdings erhält der wegen Fouls bereits nach 30 Sekunden eine Gelbe Karte. In der 73. Minute, also gerade mal 14 Minuten nach seiner Einwechslung, greift er mit der Hand im gegnerischen Strafraum nach dem heranfliegenden Ball und erhält dafür die zweite Gelbe Karte und damit sofort auch die Rote. Er verlässt das Spielfeld „kurz und schmerzvoll“ könnte man sagen. Die Slovenen sind ansich besser aber alles dümpelt so dahin, selbst das Tor ist nur einem dummen Torwartfehler anzurechnen, der nicht hätte sein müssen. Die Mannschaften neutralisieren sich. Fühlt sich so ähhnlich an wie Bier auf’m Fußboden – eine unnütze Sache.

Kevin Prince Boateng von der Nationalmannschaft aus Ghana war einer der besten Spieler auf dem Platz.

Kevin Prince Boateng von der Nationalmannschaft aus Ghana war einer der besten Spieler auf dem Platz.

Das zweite Spiel am 13. Juni 2010: Ghana gegen Serbien (1:0)
Mehr seltsame Tore (per Elfmeter wegen Handspiels der Serben), mehr seltsame Motivations-Effekte (die Serben drehten erst richtig auf, als sie nur noch zehn Auf dem Platz waren) und mehr Gelbe Karten, in einem Fall mit Rotfolge und Platzverweis. Mit Ghana hat das erste afrikanische Land ein Spiel gewonnen. Beide Mannschaften haben sich ineinander verbissen. Beide hatten gute Chancen, die nicht verwertet wurden. Die ersten Spiele einer Weltmeisterschaft sind oft zögerlich und es fallen wenig Tore. Favorit Serbien hat es nicht gepackt, kaum zu glauben. Der Wille der Ghanaer war stärker. Das Spiel hat sich zum Ende hin gesteigert. Die erste Halbzeit war wirklich schwach, aber es hat schon beeindruckt, dass Ghana nicht nachgegeben hat. Ich denke im Moment Fußballer sind wie Politiker: Die einen denken so wenig ans Publikum wie die anderen ans Volk denken.

Fußball, ein mentales Spiel: Miroslav Klose hat ein Tor geschossen und alle bejubeln ihn. Was wäre gewesen, wenn er nicht getroffen hätte?

Fußball, ein mentales Spiel: Miroslav Klose hat ein Tor geschossen und alle bejubeln ihn. Was wäre gewesen, wenn er nicht getroffen hätte?

Das dritte Spiel am 13. Juni 2010: Deutschland gegen Australien (4:0)
Deutschland ist die erste Mannschaft, die was bringt, die erste, die einen Fußball spielt, den man sich gerne ansieht. Die Mannschaft kultiviert einen für den Gegner gefährlichen Rhythmus: Erst spielt sie langsam und ordnend, zwingt dem Gegner sozusagen eine Ruhe vor dem Sturm auf, dann schlägt sie blitzschnell zu. So wie eine Kobra sich hypnotisch wiegt bis sie blitzschnell zubeißt. Das läuft das ganze Spiel über, bis auf die zweite Hälfte der zweiten Halbzeit, wo die deutsche Mannschaft das Spiel langsam auslaufen läßt – und entnervt den Gegner, der eigentlich als äußerst abwehrstark gilt, mit immer neuen kreativen Spielzügen. Das ist es überhaupt: Dieses unkalkulierbare Ineinandergreifen von ordnender Berechenbarkeit und kreativer Unberechenbarkeit. Darüber hinaus ist die Mannschaft fit und verliert kaum einen Ball. Score! Sie hat Glück gehabt mit einem Gegner, der nicht auf der Höhe des Spiels war, hat aber Eigenschaften gezeigt, die man so nicht erwartet hatte. Eine schöne Überraschung, die zum Weltmeister-Hype in den Medien führt. Nicht dran glauben, wer das Spiel ernst nimmt, wartet erstmal ab. Alles andere sind Träumereien.

(Text: Kid P.)

Weitere Spielberichte zur Fußballweltmeisterschaft 2010 in Südafrika
21. Tag: Deutschland gegen Argentinien, Spanien gegen Paraguay
20. Tag: Niederlande gegen Brasilien, Ghana gegen Uruguay
19. Tag: Paraguay gegen Japan, Spanien gegen Portugal
18. Tag: Niederlande gegen Slowakei, Brasilien gegen Chile
17. Tag: Deutschland gegen England, Argentinien gegen Mexiko
16. Tag: Uruguay gegen Südkorea, USA gegen Ghana
15. Tag: Portugal, Brasilien; Nordkorea, Elfenbeinküste; Chile, Spanien; Schweiz, Honduras
13. Tag: England, Slowenien; USA, Algerien; Deutschland, Ghana; Australien, Serbien
12. Tag: Mexiko/Uruguay; Frankreich/Südafrika; Nigeria/Südkorea; Griechenland/Argentinien
11. Tag: Portugal, Nordkorea, Chile, Schweiz, Spanien, Honduras
10. Tag: Slowakei, Paraguay; Italien, Neuseeland; Brasilien, Elfenbeinküste
9. Tag: Niederlande, Japan; Australien, Ghana; Kamerun, Dänemark
8. Tag: Deutschland, Serbien; Slowenien, USA; England, Algerien
7. Tag: Südkorea, Argentinien; Griechenland, Nigeria; Frankreich, Mexiko
6. Tag: Honduras, Chile; Spanien, Schweiz; Südafrika, Uruguay
5. Tag: Neuseeland, Slowakei; Elfenbeinküste, Portugal; Brasilien, Nordkorea
2. Tag: Südkorea, Griechenland; Argentinien, Nigeria; USA, England
1. Tag: Südafrika, Mexiko; Uruguay, Frankreich