Der berühmte amerikanische Comiczeichner Neal Adams soll uns im folgenden einmal mehr als Beispiel für den gesplitteten Produktions-Prozess bei den Comic-Heften in Amerika dienen.

Der berühmte amerikanische Comiczeichner Neal Adams soll uns im folgenden einmal mehr als Beispiel für den gesplitteten Produktions-Prozess bei den Comic-Heften in Amerika dienen.

Superhelden-Comics in den USA werden traditionell streng arbeitsteilig produziert, auch wenn sich daran einiges geändert hat: Zunächst werden die Seiten und ihre Aufteilung – das so genannte Layout – entworfen, die Kamera-Einstellungen werden festgelegt, das heißt der Blickwinkel auf die Szenerie.

Die wird in mehr oder weniger detaillierten Bleistift-Zeichnungen festgehalten. Das heißt, der Bleistift-Zeichner (auch „Vor-Zeichner“ oder „Entwurfs-Zeichner“ genannt) erbringt die initierende kreativ-visuelle Leistung.

Erstens: Der Entwurf wurde von Neal Adams als Bleistiftzeichnung angefertigt. Ist diese fertig, wendet sich der Bleistiftzeichner den nächsten Seiten zu und übergibt die Seite dem Tuscher. Oft arbeiten Vorzeichner und Tuscher in Studios zusammen.

Erstens: Der Entwurf wurde von Neal Adams als Bleistiftzeichnung angefertigt. Ist diese fertig, wendet sich der Bleistiftzeichner den nächsten Seiten zu und übergibt die Seite dem Tuscher. Oft arbeiten Vorzeichner und Tuscher in Studios zusammen (Copyright: Marvel Comics).

Teamwork mit Effizienz-Garantie: Bleistift-Zeichner und Tuschzeichner

Damit er in diesem Prozess nicht viel Zeil verliert und weiter entwerfen kann, wird die bleistiftgezeichnete Seite an den Tuscher oder „Inker“ weitergegeben. Der arbeitet in schwarzer Tusche die Zeichnungen aus und radiert die Bleistift-Linien nach Trocknung der Tusche weg. Oft sind die Entwürfe anstatt mit schwarzem Bleistift mit einem hellblauem Stift vorgezeichnet, der für die Reproduktion unsichtbar ist und beim Reproduktions-Fotografieren (früher) bzw. Scannen (heute) nicht erkannt wird – man spart sich dabei also das Radieren. Zusammenfassend kann man sagen: Der Bleistift-Zeichner ist der Kreative, der Entwerfer, der, der sich die Seiten visuell ausdenkt. Der Tuscher führt die Seiten aus, von ihm ist aber viel abhängig. Es ist ein bißchen so, wie bei der Interpretation eines Musik-Stückes: Der Bleistiftzeichner ist der Komponist, der Tuschzeichner der Interpret. Er kann eine Menge herausholen oder viel verderben. Das ist Vorteil aber auch Nachteil des amerikanischen Prinzips. Hinzu kommt, dass Tuscher natürlich auch stark unter Zeitdruck stehen und daher wie am Fließband produzieren.

Zweitens: Hier ist die getuschte Seite zu sehen. Man sieht, dass manche diffuse Stelle der Vorzeichnung jetzt in konkrete Linien umgesetzt wurde.

Zweitens: Hier ist die getuschte Seite zu sehen. Man sieht, dass manche diffuse Stelle der Vorzeichnung jetzt in konkrete Linien umgesetzt wurde (Copyright: Marvel Comics).

Farbgebung: Vom Techniker zum Kreativen

Die Tusch-Zeichnung ist die Vorlage für die Druck-Produktion. Früher haben die Zeichner Zahlen-Chiffren für bestimmte Farben an oder in die Seiten geschrieben, die ein Colorist, jemand der die Farben anlegt, technisch umgesetzt hat. Schon lange ist dies aber kein technischer Beruf mehr sondern ein kreativer. Das heißt, der Colorist legt heute relativ selbstständig fest, welche Farben er einsetzen will. Bekannt geworden als eigenständige Coloristen sind zum Beispiel Lynn Varley, die die Farben für einen Großteil von Frank Millers Werk geschaffen hat, Jose Villarrubia, der zum Beispiel Richard Corbens „Cage“-Grafik-Novel coloriert hat oder John Higgins, der die Farben von Dave Gibbons „Watchmen“ angelegt hat.

Drittens: Während die schwarzweiße Tuscharbeit den Comic akzentuiert, gibt die Farbe den Entwürfen die Konsistenz und die räumliche Tiefe. Die Farbe verbirgt für den normalen Leser auch ein bißchen, wie gut die Schwarzweiß-Zeichnung gewesen ist. Gerade heute gewinnt die Colorierung zunehmend an Bedeutung ist vielschichtiger als früher geworden. Der witzige Sprechblasentext "Three Cows shot me down" bezieht sich auf einen Angriff von Außerirdischen, die jede beliebige Form annehmen können und sich in Kühe verwandelt haben (Copyright: Marvel Comics).

Drittens: Während die schwarzweiße Tuscharbeit den Comic akzentuiert, gibt die Farbe den Entwürfen die Konsistenz und die räumliche Tiefe. Die Farbe verbirgt für den normalen Leser auch ein bißchen, wie gut die Schwarzweiß-Zeichnung gewesen ist. Gerade heute gewinnt die Colorierung zunehmend an Bedeutung und ist vielschichtiger als früher geworden. Der witzige Sprechblasentext „Three Cows shot me down“ bezieht sich auf einen Angriff von Außerirdischen, die jede beliebige Form annehmen können und sich in Kühe verwandelt haben (Copyright: Marvel Comics).

Die Digital-Technik hat Einzug gehalten

Längst werden Farben digital am Bildschirm angelegt, Coloristen fügen elektronisch Unschärfen oder andere Effekte in die Bilder ein, haben damit also an Einfluß bezüglich der Wirkung der Comics gewonnen. Mittels eines elektronischen Zeichen-Tabletts, auf dem man mit einem drucksensitiven Digital-Stift „zeichnen“ kann, besteht inzwischen die Möglichkeit, Seiten digital  zu tuschen. Wohl schon in der nahen Zukunft wird vermutlich ein Großteil der Superhelden-Comics nicht mehr von Hand sondern durchgängig digital produziert. Dies hat Geschwindigkeitsvorteile und bietet gerade im Bereich „Mixed Media“ mehr Möglichkeiten. „Mixed Media“ bedeutet, dass ein Zeichner mit unterschiedlichen Materialien und Malwerkzeugen arbeitet, die sich am elektronischen Zeichenbrett alle simulieren lassen. Jeder Student der visuellen Kommunikation lernt heute, seine Zeichnungen einzuscannen und in Photoshop weiterzubearbeiten oder am Computer zu illustrieren. Die Möglichkeiten sind dadurch potenziert.

Für Ambitionierte: Die eigene Bleistiftzeichnung selbst tuschen

Es gibt aber auch die gegenteilige Tendenz: Zeichner, die nicht nur die Vor-Zeichnungen sondern auch die Tusch-Zeichungen selbst fertigen, um die größtmögliche Kontrolle haben. Zu welch guten Ergebnissen dies führen kann, sieht man sowohl an Altmeistern wie Barry Windsor-Smith, der bei seiner Heftreihe „Conan“ sein zeichnerisches Potenzial erst entwickeln konnte, als er begann, selbst zu tuschen, oder an Andy Clarke, dessen wundervoller Band Batman Nr. 26 gerade erhältlich ist.

Arbeitsteilung zwischen Bleistift und Tusche: Fluch oder Chance?

Manch ein Zeichner hat von der Zusammenarbeit mit einem kongenialen Tuscher, der sein Werk sogar noch aufgewertet hat, profitiert: Zum Beispiel Jack Kirby von seinem Tusch-Pedant Joe Sinnott. Andere Zeichner, wie der ebenso berühmte Neal Adams, dessen Werk fast ausschließlich von anderen getuscht und oft verhunzt wurde, haben darunter gelitten. Andererseits muß man auch sehen, dass ein Zeichner, der gut entwerfen kann, nicht immer gut tuscht. Es ist also nicht gesagt, dass seine Comics besser würden, tuschte er selbst. Nur ist die Anzahl der wirklich guten Tuscher sehr begrenzt. Was man dem amerikanischen Produktions-Prinzip zugute halten könnte, ist, dass durch den Tuscher-Wechsel, der immer wieder stattfindet, eine permanente stilistische Durchmischung und Neu-Interpretation stattfindet, will heißen: Das Ergebnis bleibt nicht gleich, sondern wandelt sich allein dadurch, dass die Vorzeichnungen von unterschiedlichen Tuschern bearbeitet werden. Eine Möglichkeit, einer vermeintlich einsetzenden Langeweile oder zeichnerischen Stagnation entgegenzuwirken. Jack Kirby soll 25.000 Seiten gezeichnet haben, die von vielen verschiedenen Tuschern verfeinert wurden. Darunter Chic Stone mit fetten Pinselstrichen, Joe Sinnott mit einem weniger kräftigen aber klar-dynamischen Pinselstrich oder Vince Colletta, der auch kleine zarte Striche einsetzte. Zwischen Stone und Coletta liegen Welten, die die Vorzeichnungen Kirbys völlig anders wirken ließen. Colletta war ein Tuscher, der oft geholt wurde, wenn es „brannte“, dass heißt, wenn ein Abgabeschluss einzuhalten war. Er wurde von manchem Zeichner-Kollegen angefeindet, weil er aus Zeitgründen die Vorzeichnungen stark vereinfachte und im Extremfall zum Beispiel sogar Elemente der Seite wegließ – was wieder ein Schlaglicht auf die Kontroverse zwischen Kunst-Anspruch und Produktions-Effizienz wirft.

Deadline: Wenn die Zeit drängt

Nicht nur Superhelden-Zeichner hängen dem arbeitsteiligen Prinzip an. Das Medium Comic, das in den sogenannten „Strips“ werktags und für die Wochenendbeilage in Zeitungen oder in Heftform in den regelmäßig publizierten Reihen erscheint, unterliegt generell einem hohen Zeitdruck und festen Abgabe-Schlüssen. Davon konnte man an dieser Stelle schon im Zusammenhang mit dem Zeichner Travis Charest lesen. Auch Zeichner wie Hal Foster, dessen Prinz Eisenherz/Prince Valiant ein Klasssiker der Comics geworden ist und dessen Zeichenstil allenthalben gerühmt wird, hatten Schüler, die seine Vorzeichnungen getuscht haben. Etwa Tex Blaisdell, der Anfang der 1960er-Jahre erst bei den Hintergründen half und dann das meiste bis auf die Gesichter von Prinz Eisenherz tuschte, während seine Assistentin Lee Marrs die Hintergründe übernahm und später eine bekannte Underground-Zeichnerin wurde. Auch Hal Fosters Sohn Arthur James Foster half zwei Jahrzehnte lang bei Hintergründen und Tuscharbeiten, wie auch Comic-Zeichner Wayne Boring von 1966-69.

Wie wird in Europa gearbeitet?

Auch in Europa hat beileibe nicht jeder Comic-Schaffende alles alleine gemacht. Zeichner, die gut im Geschäft sind, erhöhen ihren Output, um mehr Geld zu verdienen, können dann aber nicht mehr alles alleine machen. Ausgeglichen wird das durch den Einsatz von Assistenten, die aber in Europa weitestgehend unbekannt bleiben, währen die Tuscher und Coloristen in den amerikanischen Heften ihre Credits erhalten. Was sich in Europa zur festen Größe entwickelt hat, ist, die Farbgebung auszulagern und von einem Coloristen ausführen zu lassen. Ein Meister nicht nur der Schwarz-Weiß-Zeichnung sondern auch der Farbgebung wie Jean Giraud, hat so seinen Leutnant Blueberry fremdcolorieren lassen. Ein Zeichner jedoch, der fernab aller ökonomischen Zwänge auf seine unverwechselbare Individualität und seine visuelle Sprache Wert legt wird das arbeitsteilige Prinzip vermeiden. Denn dort, wo der Produktions-Prozess im Vordergrund steht, kommt die Entwurfs-Qualität oft zu kurz.