Japan Fukushima

Am Tag2 nach der Katastrophe stellt sich die Lage in Japan nicht weniger übersichtlich dar, als bisher. Doch das Ausmaß der Katastrophe konkretisiert sich langsam. Die Kernenergieanlage Fukushima, die eine der größten in Japan ist und aus sechs Reaktoren besteht, hatte nach dem Beben drei Reaktoren heruntergefahren.

Die drei anderen, 4, 5 und 6, waren zum Glück wegen Wartungsarbeiten gar nicht in Betrieb. Gestern hatte sich eine Explosion im Reaktor 1 ereignet und aufgrund diverser Indizien waren Experten davon ausgegangen, dass die Kernschmelze dort bereits gestern abgelaufen ist. Ein weiterer Notstand ist aktuell bezüglich des Kraftwerkes in Onagawa ausgerufen worden – das teilte die Internationale Atomenergiebehörde in Wien mit. Außerdem soll die Kühlung im Kernkraftwerk Tokai ausgefallen sein.

Kernschmelze läuft offenbar bereits ab

Heute spricht die Regierung davon, dass eine Kernschmelze in den Reaktoren 1 und 3 gegeben ist oder gegeben sein kann. Genaues weiß man nicht, weil man die Vorgänge, die im Druckbehälter ablaufen, nicht beobachten kann. Das Hauptproblem bei der Freisetzung von Strahlung in dieser Situation liegt in der Wärmeentwicklung der radioaktiven Brennstäbe. Zwar sind die Blöcke wegen des Erdbebens automatisiert abgeschaltet worden, aber die Restwärme ist immens. Können die Brennstäbe nicht ausreichend heruntergekühlt werden, laufen sie heiß. Dadurch kommt es zur Kernschmelze und immer mehr Radioaktivität würde freigesetzt. Deshalb bemüht sich der Betreiber seit gestern die Brennelemente improvisiert mit Meerwasser herunterzukühlen. Zu dem Problem war es ja gekommen, weil die Kühlung ausgefallen war und neu herbei geschaffte Kühl-Aggregate nicht angeschlossen werden konnten. Mal wurde gesagt, man hätte nicht die passenden Kabel, mal soll es an den durch die Beben verschütteten Zufahrtswegen gelegen haben.

Atomkraft: Allmachts-Traum von der Beherrschbarkeit der Technik

Die ganze Zeit ist in den Medien und aus Experten-Mündern zu vernehmen, dass Japan ein High-Tech-Land sei, das auf hohem Niviau verantwortungsvoll mit Kern-Ernergie umgehe. Tatsächlich war aber schon 2002 publik geworden, dass der Betreiber des Kraftwerks Fukushima, TEPCO, 16 Jahre lang gefälschte Berichte vorgelegt hatte und offenbar auch sonst nicht sehr verantwortungsvoll mit der gefährlichen Technik umgegangen ist. Japan verfügt im übrigen über kein Endlager für seine 54 Atomanlagen. Dies heizt die alte Diskussion darüber an, ob die Technik überhaupt beherrschbar ist. Wenn man sich nun ansieht, dass die Krisenbewältigung sozusagen in Handarbeit erfolgt, ähnlich wie in Tschernobyl, ist eine ernsthafte Diskusion über die Planbarkeit und Beherrschbarkeit der Technik rein akademisch. In der Praxis eines Krisenfalls zeigt sich immer wieder, dass nichts mehr geht. Es ist geradezu irwitzig, was Politiker jedesmal von sich geben, wenn es zur Katastrophe gekommen ist. Es wird verschwiegen und abgewiegelt, es wird geschönt und verharmlost. Staatssekretär Yukio Edano sagte in einer Pressekonferenz, dass eine Verstrahlung, sofern sie sich nur auf Gesicht und Hände beziehe, nicht gesundheitsgefährdend sei. Wenn man dann noch sieht, wie die Krise technisch und politisch bewältigt wird, muß man Zweifel an der Mähr erheben, Atomkraft sei sicher und billig. Tatsächlich ist sie, wie man wieder sieht, unsicher und teuer. Der Mensch macht Fehler, also muß moderne Technik fehlerresistent sein.

Zehntausende gestorben?

Offiziell spricht die japanische Regierung im Augenblick von 160 verstrahlten Personen und ca. 1.800 Menschen, die man als Folge des Tsunamis tot geborgen hat. Allein in der Provinz Miyagi, die am Freitag besonders schwer getroffen worden war, sollen nach Schätzung der hiesigen Polizei über 10.000 getötet worden sein. Außerdem ist hier die Radioaktivität auf das 400fache des Normalwertes gestiegen. Man vermutet als Ursache hierfür die in Fukushima ausgetretene Radioaktivität, die über den Wind nach Miyagi gelangt sein könnte. Die japanische Regierung sagt, dass es zu einer erneuten Explosion im Reaktor 1 kommen kann, ebenso könnte eine ähnliche Explosion wie gestern in Reaktor 1 auch heute in Reaktor 3 stattfinden.

Die Katastrophe in den Medien

Obwohl die Bevölkerung diszipliniert erscheint, stellt sie die Lage immer chaotischer dar: Inzwischen das dritte problematische Kernkraftwerk, Millionen ohne Wasser und Strom. Ein Vulkan in Shinmoedake, der heute im Süden Japans aktiv geworden ist, während der Schwerpunkt der Zerstörungen durch den Tsunami in Nord-Osten des Landes liegt. Außerdem tausende zerstörte Häuser und eine riesige Fläche an der Ostküste, die dem Erdboden gleich gemacht ist. So wie die japanische Regierung nicht die Wahrheit sagen will, entweder, um ihr Gesicht zu wahren oder um eine Panik zu vermeiden, ringen die Medien um die Wahrheit. Im Fernsehen läuft die Katastrophe in Japan wie eine klaustrophobische Endlosschleife ab. Hier zeigt sich der Nachteil des Mediums besonders deutlich: Insbesondere die Nachrichtensender müssen permanent Bilder liefern und wenn es keine neuen gibt, werden die alten wiederholt. Leid als Wiederholung – geht’s noch schlimmer? Google als Informations-Plattform quillt über vor ähnlichen unf gleichen Überschriften und Informationen, die wenig Orientierung bringen und eher inflationär-informationelles Chaos verbreiten: Die Wahrheit scheint hier begraben unter einem Berg unnützen Wissens. Und Twitter, jenes Micro-Blogging-Medium, dessen Vorteil in seiner Kürze liegt, profiliert sich in dieser Situation weiter als aufmerksamkeitsstarke, leicht zynische Informationsplattform, bringt das Wesentliche aber am Ehesten auf den Punkt. Die Nadel im Heuhaufen lässt sich besser finden, wenn man es mit wenig Halmen zu tun hat…

Was schreibt Twitter?

Der Twitter-User „Weltregierung“ schreibt: „Startrek-Zitat. Quark der Ferenghi: Keine intelligente Spezies würde Kernspaltung innerhalb der eigenen Athmosphäre betreiben …“ User „PorNoKratie“: „Aus der Sprachregelung der CDU: Jeder macht mal Fehler (Guttenberg). Unfälle können mal passieren (AKW). Für alles weitere: „Gottes Hand“! „annnalist“: „Ursache für Politikverdrossenheit mit sieben Buchstaben? Röttgen.“ Und „janfleischhauer“ meint: „Nichts sehnt der Atomgegner im tiefsten Herzen mehr herbei als den Unfall: Daher der jubilierende Ton vieler Katastrophenmeldungen.“ Interessantes kommt noch von „MichaelKroker“ über die Verflechtungen innerhalb der Atomindustrie: „Wusstet Ihr, wer am AKW-Kontrolleur TÜV Süd beteiligt ist? E.On, Vattenfall & EnBW (Kontraste).“