Modezar Karl Lagerfeld, Paris

Die Säure im Papier von Büchern führt dazu, dass sich Bücher im Laufe von Jahrzehnten selbstständig zersetzen. Dabei entsteht ein charakteristischer Geruch, den man aus Antiquariaten, Bibliotheken oder privaten Bücherzimmern nur zu gut kennt.

Es bedurfte der bekannten Kühnheit des Mode-Marketers Karl Lagerfeld, um daraus ein Parfüm zu machen. Wie kommt das? Man staunt ja schnappatmend seit langem darüber, dass die Flakons und die Verpackung und Darreichungsformen der Duftwässerchen der eigentliche Kostenfaktor sind. Um es vereinfacht zu formulieren: Die Parfüms selbst sind kostenmäßig eine zu vernachläsigende Größe, während ihre Präsentation und Vermarktung das eigentlich Wichtige ist.

Geruchsbelästigung oder: Was rieche ich am Liebsten?

Überhaupt ist es dem Laien gar nicht gegeben, mehr als zwei Düfte kompetent miteinder zu vergleichen. Der Duft selbst, so könnte man meinen, ist also nicht nur marketingmäßig zu vernachlässigen sondern auch tatsächlich. So kommt es letztlich, dass es zu jedem denkbaren Medien-Star ein passendes Parfüm gibt, dass zu jedem, der vermeintlich positiv die Öffentlichkeit beglückt, auch ein künstliches Quasi-Pheromon produziert wird, das in Parfümerien und Kaufhaus-Abteilungen verkauft wird.

Image Transfer für den wohl gelittenen Geruch

Wo nichts ist, also kein starkes, reales Produkt, müssen Eigenschaften berühmter Menschen herhalten, damit das Nichts doch noch wahrzunehmen ist: Es schmeckt nach nichts, man kann es nicht sehen, es riecht wie vieles Andere und es ist unendlich teuer – fast so viel wie Tintenstrahler-Tinte. Deshalb muß man irgendetwas Anderes damit verbinden, das die Öffentlichkeit für positiv hält – zum Beispiel das Marketing-Konstrukt, das sich „Karl Lagerfeld“ nennt oder das Medium „Buch“, das im dümmelnden Medien-Zeitalter für so etwas wie Geist und Intelligenz steht, sofern man nicht Leser von Steven King, Rosamunde Pilcher, von Tierbüchern, Pornos oder Krimis ist – das heißt von 99.9% der Buchproduktion. Es geht bei den Parfüms also darum, ein positives Umfeld zu nutzen, große Namen, große Reichweiten, große Medien-Wirksamkeit der Werbeträger, die mittels eines Image-Transfers ihre positive Ausstrahlung auf das zu verkaufende Gut übertragen.

Bücher lesen und zwischen den Zeilen riechen

Nun also hat Karl, der Großvermarkter, verlauten lassen, dass er ein Parfüm promoten will, das den Geruch von Büchern zelebriert. Man ahnt, dass Lagerfeld nicht das Image x-beliebiger Bücher im Kopf haben mag, wohl eher das hochwertige Image oppulenter Kunstbände oder beflissener Hochliteratur – allein: Tolle Bücher stinken genauso stark wie triviale. Da hilft es auch nicht, dass der Steidl-Verlag mit von der Partie ist und das Parfüm in eine edle Buch-Verpackung kleiden will. Nichts bleibt nichts, da hilft auch die beste Verpackung nicht. Wer Geist und Intelligenz besitzt, weiß das.

Der Duft der großen, weiten Welt

Und ich entsinne mich, dass mir vom berühmten Duft des Avantgarde-Modeschöpfer Issey Miyake dermaßen schlecht geworden war, dass ich mich damalig im modrigen Duftumfeld eines tradierten Friedhofs wähnte. So kann’s gehen, wenn Düfte zu experimentell hip sein wollen. Ach ja, wie riecht eigentlich ein iPhone oder ein E-Book? Der Sommer naht und die hohen Temperaturen werden uns unsere Gadgets unter Umständen auch geruchsmäßig näher bringen. Vielleicht eine geile Experience, der Geruch nach geschmorrten Halbleitern und Seltenen Erden. Der Geruch nach Sklaven-Arbeit, die uns das Schwenken unserer Smart-Phones erlaubt – oder unserer Parfüm-Flakons, die den bestialischen Gestank von Fadheit und Lüge mit den vermeintlich edlen Tröpfchen aus einem Zerstäuber verschleiern.