Osama bin Laden ist erschossen wordenOsama Bin Laden oben links tot, rechts noch lebendig. Wird er zukünftig vergessen sein oder in den Köpfen der islamischen Welt sogar noch lebendiger als zu Lebzeiten? Osama bin Laden, der dünne, in Videos oft milde lächelnde religiöse Fanatiker war als Kopf des Terror-Netzwerkes Al-Kaida schon nicht mehr als Massenmörder unterwegs, längst hatte er sich aus dem eigentlichen Kampf zurückgezogen, nachdem das Netzwerk dezentral und weltweit aufgestellt war und von alleine funktionierte.

Er war offenbar gar nicht mehr als Handelnder eine Gefahr, sondern als Mega-Symbol für die schlimmsten Terroranschläge des 21. Jahrhunderts, für den Widerstand des Islam gegen seine Demütigung und gegen das verhasste Amerika. Osama Bin Laden gab Al Kaida ein charismatisches Antlitz. Er fügte der Weltgeschichte den 11. September 2001 hinzu, als das World-Trade-Center vom Erdboden verschwand. Die zugleich massenmörderischen wie öffentlichkeitswirksamen Terror-Anschläge standen dabei im krassen Gegensatz zur leisen, fast flüsternden Stimme der Al-Kaida-Leitfigur.

Verherrlichung des Al-Kaida-Massenmörders

Man findet in der arabischen Welt verherrlichende bildliche Darstellungen Bin Ladens, die zeigen, dass er mehr ist als ein weltlicher Mörder, seine Theorien sind religiös verbrämt, auf Bildern wirkt er aus Sicht des Westens wie ein islamischer Jesus Christus, eine vollends überhöhte Figur, die den Machtlosen und den Armen Selbstbewußtsein gibt.

Osama Bin Laden: Ein Mensch als Symbol-Figur

War er mal der aktive, kämpfende Kopf von Al Kaida, ist er aus Sicht des Terrorismus-Netzwerkes zur Metapher des bewaffneten Widerstandes geworden, fast schon entmenschlicht, ja, geradezu übermenschlich. Einen Übermenschen zu verfolgen und zu töten birgt Gefahren. Kriegt man ihn nicht – immerhin hat es 10 Jahre seit 2001 gedauert und ein paar Jahre mehr davor, als er auch schon ein gesuchter Terrorist gewesen war – stärkt das seinen Nimbus und seine Funktion als Leit- und Symbol-Figur für die Bewegung. Kriegt man ihn doch und bringt man ihn dann um, wird das Symbol in einen Märtyrer transformiert und erhält damit noch mehr symbolische Strahl-Kraft. Die Navy-Seals, man spricht von einer 25 Mann starken Truppe, haben Osama bin Laden per Kopfschuß getötet, haben seinen Leichnahm mitgenommen, per Gesichtserkennung identifiziert und offenbar bereits auf See bestattet. Das Ergebnis eines DNS-Tests soll aber noch ausstehen. Die See-Bestattung ist für die USA wichtig, damit der Leichnahm nicht Zentrum einer Kult- und Pilgerstätte werden kann. Aber dennoch, Osama bin Laden ist, so wird es den Medien mitgeteilt, kämpfend gestorben, dieses Faktum wird von seinen Anhängern noch weiter ins Transzendental-Heroische überhöht werden.

Die Aktion: Wie Osama bin Laden erschossen wurde

Schon vor Jahren soll in Guantanamo bei Verhören der Deckname des Kuriers von Osama bin Laden in Erfahrung gebracht worden sein. Anhand dieser Information ist man dem Vernehmen nach in jahrelanger Verfolgungsarbeit dem Aushängeschild Al Kaidas auf die Spur gekommen. Bin Laden hat nun zusammen mit anderen Menschen in einem großen Haus 100 km außerhalb Islamabads gewohnt, in der Garnisons-Stadt Abbottabad. Die Immobilie ist auch dadurch aufgefallen, dass sie trotz ihrer Ausstattung über keinen Internetanschluss und kein Telefon verfügte. Es soll bei der Erstürmung einen 40minütigen Schusswechsel gegeben haben, bei dem außer Bin Laden vier weitere Menschen erschossen wurden, angeblich auch ein Sohn. Auf Seiten der amerikanischen Einheit soll es keine Toten gegeben haben. Bereits gestern Abend, also vor dem Einsatz, sind westliche Ausländer von offizieller Seite dazu aufgefordert worden, aus Sicherheitsgründen zuhause zu bleiben. Dies wird im Nachhinein als ein frühzeitiger Hinweis auf den bevorstehenden Angriff gedeutet. Bin Laden lebte interessanterweise bei Islamabad, der Hauptstadt Pakistans, direkt in der Nähe der pakistanischen Militär-Akademie. Es ist seit jeher bekannt, dass sich Pakistan zu Al Kaida indifferent verhält und als Bündnispartner für den westlichen Macht-Apparat nicht verlässlich scheint.

Nach dem „Heldentod“: Barack Obama und die Gerechtigkeit

Nun ist er also tot. Bin Laden wirkte in der Wahrnehmung des Westens eher wie ein Mysterium. Entsprechend gelöst war die Stimmung in Teilen der amerikanischen Öffentlichkeit, die Genugtuung für die Demütigung vom 11. September 2001 empfand. Ob der islamistische Terrorismus durch den Tod Bin Ladens geschwächt ist, mag bezweifelt werden, weil er keine aktive Rolle mehr gespielt hatte und tot als Symbol unter Umständen für seine Anhänger viel wertvoller ist als lebendig, denn tote Symbole leben länger. Für Barack Obama kam die Tötung Bin Ladens, die für manchen Amerikaner einhergehen sollte mit einer Auslöschung aus dem kollektiven amerikanischen Gedächtnis, zur rechten Zeit – nämlich genau zu Beginn der Aktivitäten zum Wahlkampf für die Präsidentschaft im nächsten Jahr. Seine Ansprache war wie immer von Sachlichkeit geprägt, obwohl Obama sich damit zum ersten Mal als Sicherheits-Politiker, der erfolgreich durchgreifen kann, profilieren konnte. Und doch: Osama bin Laden ist nicht der Prozess gemacht worden und der Kopfschuß wirkt wie eine Hinrichtung. Bin Laden wird in der islamischen Welt teils vergöttert, weil er dazu beitrug, ihr Selbstbild wieder erstarken zu lassen, während er dem Westen dessen Schwäche und Angreifbarkeit vor Augen geführt hat und erfolgreich gegen den amerikanischen Imperialismus opponierte, der vielerorts ebenfalls über Leichen gegangen war. Er ist auch im Westen ein Symbol geworden: Für das Böse schlechthin. Und um ihn zu kriegen, mußten die USA ihre Verfassung übergehen und Guantanamo einrichten, folterten mit Water-Boarding und anderen menschenverachtenden Methoden Inhaftierte, um an Informationen zu kommen, die schließlich dazu führten, Bin Laden ohne Gerichts-Beschluß zu liquidieren. Das klingt wie ein weiterer, später Triumph Bin Ladens, der mit vergleichsweise beschränkten Mitteln eine Weltmacht dazu gezwungen hat, ihre aggressive Seite offen zu zeigen. Der Gerechtigkeit wurde mit der Tötung Bin Ladens nicht genüge getan. Im Gegenteil: Man mußte mannigfaltig Unrecht begehen, um ihn zu kriegen. Das hätte Osama bin Laden sicher sehr gefallen.