EHEC und die Medienberichterstattung

Den Erreger im Blut, die Medien-Paranoia im Sinn: Big Brother is Quatsching you!

Endoplast hat schon einige Male über das Ende der Welt fabuliert. Manchmal waren der Anlass Medien-Hypes, ein anderes Mal kleine Boshaftigkeiten, Paranoia oder Verfolgungswahn und manchmal wird es handfest; denn ganz oben in der Hitparade der wahrscheinlichsten Katastrophen rangieren gefährliche Mikroben, die lebensgefährliche Krankheiten auslösen.

Wort-Avantgardist und Beat-Generation-Romancier William S. Burroughs postulierte, dass Worte Viren sind, Science-Fiction-Visionär Samuel R. Delany schrieb mit „Babel 17“ einen Science Fiction-Roman, in dem Worte einen Mensch befallen und umprogrammiert haben und Film-Visionär Christopher Nolan zeigt in „Inception“, dass der gefährlichste denkbare Virus ein Satz sein kann, der in ein Gedächtnis eingepflanzt wurde.

Die Pest-Pandemie im 14. Jahrhundert

„EHEC“ ist ein reales Bakterium. Und doch sind die Worte und Sätze, die man über EHEC liest, Ausdruck einer unbewußten Angst vor dem Tod durch eine große, ungezügelte Seuche, die an die sogenannte Pest-Pandemie zwischen 1340 und 1355 in Europa erinnert, bei der schätzungsweise 20-40 Millionen Menschen zu Tode kamen, was ein Drittel oder die Hälfte der Gesamtbevölkerung Europas gewesen wäre – nicht zu sprechen von den Toten außerhalb Europas, die aber nicht mehr beziffert werden können.

Familientreffen: BSE, H1N1, SARS und EHEC

Nach BSE, Vogelgrippe und der nicht stattgefundenen Pandemie „Schweinegrippe“ mit dem H1N1-Virus kam 2002/2003 von China ausgehend die Atemwegserkrankung SARS, die durch das sogenannte Corona-Virus hervorgerufen wurde und der 1.000 Menschen zum Opfer fielen. SARS war die erste Pandemie des 21. Jahrhunderts. Danach saß die Angst besonders tief. So wie im Mittelalter wohl die Todeszahlen aus politisch-religiösen Motiven stark übertrieben worden waren, potenzieren die modernen Massenmedien die Gafahr, malen buchstäblich „den Teufel an die Wand“. Dabei war die SARS-Pandemie nicht mit der im Mittelalter zu vergleichen: Außerhalb Asiens starben 50 Menschen – weltweit. Zwar ein aussagekräftiges Beispiel, wie die Verbreitungswege in Zeiten von Vielfliegerei und Globalisierung verlaufen, andererseits eine Nagelprobe für die Effektivität der Seuchenbekämpfung.

Verzweifeltes Erbgut und die degenerierte Gesellschaft

Dennoch ahnt jeder aufgeklärte Mensch, dass eines Tages die alles verschlingende Pandemie kommen wird. Das scheint fast unausweichlich, denn vieles spricht dafür: Die Fortschritte der Medizin in den reichen Ländern verwässern die Widerstandsfähigkeit des Genoms dieser Bevölkerungen. Allergien und andere Autoimmun-Krankheiten mögen Vorboten davon sein. Paranoide Überreinlichkeit hindert den Organismus daran, sich mit normalen Dosen an Erregern auseinanderzusetzen und Resistenzen zu bilden, Antibiotika, enthalten im Fleisch das wir essen und in Form oft irrwitziger Mengen vom Hausarzt verordnet, führen dazu, dass multiresitente Superkeime entstehen, die man praktisch nicht mehr bekämpfen kann, und die sich bezeichnenderweise oft in Krankenhäusern bilden.

Kurzintervallige Fortpflanzung als evolutionärer Durchsetzungs-Vorteil

Unabhängig davon, was der Mensch tut oder läßt, haben alle sich kurzintervallig vermehrenden Lebewesen sowieso einen evolutionären Selektionsvorteil. Mikroorganismen – aber auch Insekten, speziell zum Beispiel Schaben – können sich deshalb besser an ihre Umwelt und deren Beeinträchtigungen anpassen, weil sie große Populationen bilden, die permanent und variantenreich entstehen. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich in einer großen, sich schnell vermehrenden Population Lebewesen mit dabei sind, die zum Beispiel gegen ein Gift (bei der Schädlings-Bekämpfung) oder ein Antibiotikum (bei der Bakterien-Bekämpfung) imun sind, ist höher. Bedenkt man, dass Viren potenziell unsterblich sind, weil sie nicht Lebewesen im engeren Sinne sind, dass sie sich einkapseln und vielleicht tausende Jahre überdauern können, zeichnet sich ein düsteres Bild in unseren Köpfen. Hinzu kommt, dass Viren Spezialisten für das Kopieren und Umformen fremden Erbmaterials zu. Sie befallen Zellen, programmieren die DNS als Träger der Erbinformation um und zwingen die Zelle so, neue Viren zu produzieren. Bedenkt man, dass die Virus-Erkrankung AIDS von 1981 bis 2009 37 Millionen Todesopfer gefordert hat oder dass an der parasitären Malaria jährlich zwischen 700.000-2,7 Millionen Menschen sterben, was sich bis 2020 verdoppeln soll, erhält man ein Vorstellung, welches Schädigungs-Potenzial besteht.

Paranoia als Gesellschafts-Spiel

Jeder ahnt, dass der superpathogene Killer-Mikroorganismus wie man ihn aus „12 Monkeys“ kennt, der sich in Windeseile ausbreitet, für den man nicht schnell genug Gegenmittel findet und dessen Verbreitungswege sich nicht ermitteln lassen, irgendwann kommen wird. Die Chancen, dies zu verhindern, liegen neben medizinischen Errungenschaften in kommunikativer Transparenz durch die Medien, vor allem das Fernsehen als Leitmedium und das Internet als Netzwerk der Unmittelbarkeit, die das Sprachrohr der Welt geworden sind aber als Neben-Wirkung Paranoia und Panik befeuern. Neurotische Handlungsweisen gehören durch die dramatisierende Wirkung der Medien inzwischen nach Fußball zum Lieblings-Sport der Deutschen.

Keim-Vorteil: König Keim als Super-Macht

Die Keime jedenfalls sitzen am längeren Hebel. Sie bringen in kurzen Abständen permanent neu sequenzierte Erbinformationen hervor, die zu neuen genetischen Eigenschaften führen, kreuzen ihre Erbsubstanz zusätzlich mit „befreundeten“ Einzellern und koppeln so auch besonders heimtückische Eigenschaften, wie dies im aktuellen Fall des EHEC-Erregers der Fall ist – nicht zu sprechen von den Chimären, die in militärischen Labors lagern.

Die kollektive Mikroben-Angst und die Lust am Untergang

Wie der kleine Affe, der auf den Schultern eines Leierkastenmanns sitzt, begleiten die Massen-Medien jede neue Krankheit und jeden neuen Erreger, der wissenschaftlich benannt werden kann. Dahinter steckt die kollektive Angst und das gleichzeitige sich-Ergötzen am Untergang der eigenen High-Tech-Zivilisation – sofern sie nicht vorher verstrahlt oder von explodierenden Chemie-Werken verkrüppelt worden ist.

Tiefgreifend: Worte als Viren

Vielleicht haben sich in unsere Hirn-Windungen jene Worte unverrückbar eingefräst, die seit den großen Pestwellen die Menschheit gescholten haben, gottesfürchtiger zu sein oder andernfalls dem schwarzen Tod als Sinnbild der Hölle anheimzufallen. Welcher virale Mechanismus wiegt schwerer: Der, der als Mikroorganismus in unseren Körper einwirken könnte oder der, der als medial gestalteter Co-Virus ganz sicher Achterbahn in unserem Hirnstamm fährt? Der mikrobakterielle oder -virale Weltuntergang wird jedenfalls der Medien-Super-Event schlechthin, das sieht man auch wieder an EHEC, bei dem sich die Medien in mehrfach-täglichen Updates überschlagen, obwohl es oft nicht wirklich etwas Neues zu berichten gibt. Worte sind wie Viren. Wir kriegen sie nicht mehr aus dem Kopf. Sie transportieren manchmal den Ausdruck der Angst, der wie im Mittelalter politischen und wirtschaftlichen Interessen in die Hände spielen kann.

Die sechs ersten Folgen der Weltuntergangs-Serie:

Teil 1: Die fünf wahrscheinlichsten Weltuntergangs-Szenarien
Teil 2: Ölpest, Pflanzen- und Haustierherrschaft
Teil 3: Die große Zootier-Verschwörung
Teil 4: NDM-1 oder wie die Neu-Dehli-Metallo-Beta-Laktamase den Menschen besiegte
Teil 5: Achtung, die Pflanzen übernehmen
Teil 6: Dioxin – unser täglich Gift gib uns heute

Weitere wichtige Möglichkeiten, wie die Welt abkacken könnte:

2012: Roland Emmerich am Ende aller Katastrophen
Cern-LHC: Das Ende der Welt und die Urknall-Simulation
Paranoia-Cern-Technik: Das Ende der Welt ist nah
Philosophie der mobilitätsblasierten Naturkatastrophen: Die Ölpest als Zivilisations-Krankheit

Weltuntergänge im Film:

Teil 1: Von Bomben und Affen
Teil 2: Das Ende von Wachstum und Geschichte
Teil 3: Apokalypse des Alltags