Öffnet sich durch die Teilchenbeschleunigung am Ende ein schwarzes Loch, das uns alle in eine fremde Welt hineinsaugt? Vielleicht eine neue vielversprechende Idee für Reiseveranstalter wie Richard Branson.

Öffnet sich durch die Teilchenbeschleunigung am Ende ein schwarzes Loch, das uns alle in eine fremde Welt hineinsaugt? Vielleicht eine neue vielversprechende Idee für Reiseveranstalter wie Richard Branson.

Setzen Physiker unser Leben aufs Spiel? Wir verschwinden so schnell im Schwarzen Loch, dass wir das nie erfahren werden. Es gibt Tagespolitik und Jahresrückblicke und es gibt die Ur-Knall-Simulation, hinter der jede andere Nachricht verblasst. Heute um 13:00 Uhr hat es im Cern-Teilchenbeschleuniger nahe Genf Wumm gemacht, mal wieder so richtig geknallt – und die Erde existiert. Noch. Schnell noch eine Zigarette rauchen. Vielleicht ist es die letzte.

Wissenschaftler haben lange darauf hingearbeitet, zwei Protonenstrahlen gegeneinander zu lenken und aufeinander prallen zu lassen. Die Energie, die dabei aufgewendet wird, ist mit großem Abstand die höchste, die je zum Einsatz gekommen ist. Man will damit den Urknall, der vor 13,7 Milliarden Jahren unser Universum entstehen ließ und es seitdem so lange expandieren lässt, bis es wieder in sich zusammenfallen wird, simulieren. Die Forscher sind wie immer auf der Suche nach neuen noch kleineren Teilchen als bisher.

Die Suche nach dem kleinsten Teilchen

Es geht im Wesentlichen um das Auffinden eines kleinen Teilchens, des so genannten Higgs-Bosons, und den Beweis des Higgs-Mechanismus. Der Higgs-Mechanismus ist deshalb wichtig, weil er dazu führen würde, dass Teilchen, die eigentlich keine Masse haben, durch ihn welche erhielten. Es gibt Theorien, wie die Yang-Mills-Theorie, die sich auf physikalische Wechselwirkungen beziehen. Um sie zu beweisen, müssen jene Akteure gefunden werden, die in diesen Theorien als existent vermutet werden. Dabei spielt das erwähnte Higgs-Boson bzw. Eichboson eine wichtige Rolle, die aber unvollständig wäre ohne jene Aspekte, die dazu führen, dass aus diesem masselosen Teilchen eins mit Masse wird.

Kleine Bausteine als Nachweis fürs große Ganze

Was soll das alles? Der Beweis der Überlegungen, wie unser Universum beschaffen ist, das heißt, wie seine Mikrostruktur aussieht, aus welchen Teilchen die Materie zusammengesetzt ist, verrät den Wissenschaftlern, ob Theorien wie die Relativitätstheorie (in vielen Fällen inzwischen bewiesen) oder die Stringtheorie (bisher nur ein theoretisches, unbewiesenes Denkmodell) richtig sind. Die Überprüfbarkeit universaler Gedankengebäude vollzieht sich sozusagen im Nachweis allerkleinster Bausteine und ihrer Zerfallsgeschwindigkeiten. Man läßt die Teilchen in gigantischen magnetischen Beschleunigungsringen kollidieren und wertet dies aus. So kann man den Nachweis führen, ob das Teilchen tatsächlich existent ist.

Das, was fürs Kleinste gilt, gilt nicht fürs Größte

Ein wichtiger Punkt, der alle Teilchenphysiker umtreibt – im Grunde ihr spannendster Krimi – ist, dass die Relativitäts-Theorie, die physikalische Phenomäne im großen Maßstab, wenn es um Gravitation, Planeten, Galaxien und Universen geht, erfolgreich beschreibt, offenbar aber nicht für allerkleinste Vorkommnisse gilt. Zu deren Beschreibung hat sich die Quantenmechanik etabliert, die in der praktischen Anwendung erste Erfolge vorzuweisen hat, sie aber nicht mathematisch-physikalisch erklären kann. Lässt sich beispielsweise im großen Maßstab etwa die Umlaufbahn eines Mondes oder die Flugbahn eines Asteroiden sicher berechnen und damit vorhersagen, ist dies im atomaren Maßstab nicht möglich. Anstatt dort mehrere exakte Berechnungen gleichzeitig anstellen zu können, sprechen Quantenmechaniker eigentlich wissenschaftsunüblich – weil wenig genau – von den „Aufenthaltswahrscheinlichkeiten“ der Teilchen. Schon der alte Heisenberg schrieb in einer Arbeit, mit der er berühmt geworden ist, von einer „Unschärfe-Relation“ – und wurde damit zu einem der Väter der Quantenmechanik. Das spannende Ziel also, das alle Wissenschaftler umtreibt, ist eine so genannte Weltformel, die die beiden Theorien vereinigt.

Die Theorie der Weltentheorie

Das war lange Zeit erklärtes Ziel. Es gibt einen Ansatz, der eine theoretische Vereinheitlichung denkbar macht. Die drei Grundkräfte, die zusammengeführt und vereinheitlicht werden sollen, sind die elektromagnetische, die schwache Wechselwirkung und die starke Wechselwirkung. Die mathematischen Modelle für diese drei Kräfte weisen Ähnlichkeiten auf, weshalb man meint, sie irgendwann zusammenführen zu können. Wenn man die Energien dieser Kräfte hochrechnet und verstärken würde, würde man einen Punkt erreichen, an dem alle Wechselwirkungen ähnlich stark sind. An dieser Stelle könnte man die Gravitation in das Modell einfügen. Das Problem ist, das dies Theorie bleiben muß, solange keine Nachweise dafür geführt werden können. Die einzige Möglichkeit, einen Beweis zu erzielen, bietet der Cern-Teilchenbeschleuniger.

Kann es eine Theorie überhaupt geben?

Inzwischen nähren sich auch Zweifel, ob es diese vereinheitlichende Theorie überhaupt geben kann. Vielleicht ist ein Umdenken angesagt, vielleicht wird nach weiteren Jahrzehnten der Forschung, von Teilchenkollisionen und mathematischen Berechnungen die Wissenschaft vor einem riesigen leeren Monitor stehen, den sie anstarrt, wie das Kaninchen die Schlange – und plötzlich weiß sie, dass sie gar nichts weiß und auch niemals etwas wissen wird. Warum das so sein könnte? In vergangenen Tagen, lange ist es her, war der Glaube an die Berechenbarkeit der Welt groß und unerschütterlich. Je weiter sich jedoch Mathematik als theoretisches Instrument und Physik als theoretisch-experimentelles Feld verästelt und auch verwoben haben, desto mehr wuchs die Erkenntnis, dass selbst die Mathematik, die Grundlagen für alles Mögliche, das ja auch funktioniert, gelegt hat – ob bei der Statik von Brücken und Flugzeugen oder bei der statistischen Hochrechnung von Wahlergebnissen –, ihre Grenzen hat.

Die völlig unwahrscheinliche Geschichte der Prim-Zahlen

Da ist zum Beispiel die Sache mit den Primzahlen: Primzahlen sind unter Umständen auch dem Laien aus Spionagefilmen bekannt, weil man sich ihre Unberechenbarkeit bei Verschlüsslungscodes für Spionagenachrichten zunutze macht, inzwischen aber auch für Allerweltsverschlüsselungen im Internet. Eine Primzahl lässt sich nur durch 1 oder durch sich selbst teilen. Wann sie aber in der Zahlenkette von 1 bis Unendlich auftaucht, ist unklar und folgt offensichtlich keiner erkennbaren Regelmäßigkeit. Primzahlen gelten also von Hause aus als relativ unberechenbar. Irgendwann wurde klar, dass es äußerst schwierig sein würde, eine Formel zu entwickeln, die das Vorkommen aller Primzahlen in der unendlichen Gesamt-Menge aller Zahlen abbildet – also quasi vorhersagen kann.

Die unberechenbare Zahl

Denn das wollen Mathematiker: Formeln, mit denen sie alles Mögliche beschreiben können. Das mündet in Wettersimulationsmodelle, die rein mathematisch basiert sind, damit kann man Betrüger beim Finanzamt entlarven, wenn man die Aufenthaltswahrscheinlichkeiten von sich zu oft wiederholenden Zahlen nachweist oder damit kann man Geschehnisse an der Börse kontrollieren. Was die Primzahlen betrifft, so wurden schon Millionenbeträge für Wettbewerbe ausgeschrieben, um dem Phenomän näher zu kommen, aber kein Mathematiker, mochte er noch so genial sein und sich noch so leistungsfähiger Supercomputer bedienen, konnte die Regelmäßigkeiten der Primzahlenfolge erkennen und in einer Formel beschreiben. Warum? Vielleicht gibt es keine Regelmäßigkeiten, oder es gibt Komplexitäten, die so chaotisch sind, dass sie sich nicht mathematisch beschreiben lassen. Was wäre, wenn überall dort in der Wissenschaft, wo es entscheidend für eine universelle Beschreibung unserer Welt wäre, die Komplexität der Wirklichkeit Dimensionen annimmt, die jenseits dessen liegen, was ein Mensch erfassen und in einer Formel abbilden könnte?

Des Pudels Cern: Die letzten Abenteuer der Menschheit

Die Cern-Forscher jedenfalls geben nicht auf. Sie wollen Beweise liefern. Sie wollen noch kleinere Teilchen nachweisen. Sie sind die letzten Helden der Welt, vergleichbar mit Christoph Columbus oder den Astronauten bei der Mondlandung. Durch den Nachweis, den sie erbringen, würde sich ein gewaltiges Puzzle um einen weiteren Stein schließen. Aber kein Mensch weiß, wie viele Teile dieses Puzzle hat.

Zweifel bleiben: Ist das Ende der Welt nah?

Im Vorfeld des neuen Kapitels, das im Large Hadron Collider (LHC) des Cern heute mit der Teilchenkollision aufgeblättert wurde, hatte es Befürchtungen gegeben, unsere Welt könnte bei der Simulation untergehen oder in einem schwarzen Loch verschwinden. Der Tübinger Biochemiker Otto Rössler hatte sogar gegen den Betrieb des LHC geklagt aber nicht Recht bekommen. Tipp: Heute Nacht mal aus dem Fenster gucken, ob alles noch da ist.