Traumatagebuch

Einmal meinte ich mit großer Erleichterung aus einem Traum erwacht zu sein, der außerordentlich lange gedauert und mich in Mitleidenschaft gezogen hatte. Doch das Gegenteil war der Fall gewesen. Eingebettet in mein erhofftes Erwachen war ein Traummechanismus, der wie ein Zaun um das Reich des herkömmlichen Traumes gespannt war.

Es handelte sich um eine uhrwerksgleiche Umzäunung, deren einzelne Maschen selbst aus Einzel-Träumen bestanden, die sich zu einem unüberschaubaren Traumnetzwerk verbanden, das bei Berührung wie ein Funke übersprang. Je wacher ich werden wollte, desto enger zog sich der Traumzaun zusammen, riss mich mit eindrucksvollen und folgerichtigen Vorstellungsbildern zurück, die mir jedesmal völlig einleuchtend erschienen, und zwang mich dazu, innerhalb meiner Traumwelten weitere Traumwelten anzulegen, die sich weiter und weiter verzweigten, bis die Realität so vielschichtig überlagert war, dass ich zuerst nicht mehr unterscheiden konnte, was Traum und was Wirklichkeit war, bis ich dann eines Tages vollends vergessen hatte, dass die eigentliche Wirklichkeit überhaupt existierte, wie ein Schiffbrüchiger, der nach den ersten Jahren auf Wasser die Existenz des Festlandes verdrängt hatte und sich an den schwankenden Rhythmus gewöhnt haben würde, um nicht dem Wahnsinn anheim zu fallen.

Die Traumtunnel, die ich gegraben hatte, hatten die erste Zeit Lichtstrahlen der Wirklichkeit in mein Vorstellungsreich gelangen lassen, bis sie nach und nach mit Traumbildern zugewuchert waren. Der eigentliche Antrieb, meine Träume als maßgebliche Realität anzuerkennen, war, dass hinter dem Zaun der Wahnsinn lauerte. Die Angst beherrschte mich, dass, würde ich aufhören zu träumen, ich Gefahr laufen würde, augenblicklich irrsinnig zu werden. Doch konnte ich ab einem bestimmten Punkt nicht mehr unterscheiden, ob die permanten Träume nicht in Wirklichkeit selbst Ausdruck eines allumfassenden Wahnsinns waren.

Jedesmal, wenn ich mich darauf konzentrieren wollte, was nun Wirklichkeit, was Traum oder was Wahnsinn war, wurde ich haltlos und haltloser, als wäre ich von einem hohen Gebäude in die Tiefe gesprungen, ohne jemals unten anzukommen aber von permanenter Angst durchdrungen, dass es irgendwann doch passieren würde.

Und wieder war es während des Fluges so, dass ich mich in den Jahren des Fallens an ihn als Normalfall, als unspektakuläre Normalität, gewöhnt hatte, einen Flug, den ich nicht in Frage stellen wollte, um nicht mental zu erkranken. So blieb ich ewig jung, fügte mich in mein Schicksal, ein Träumender, ein traumwandelnd Reisender zu sein, der sich fragte, ob er in seinen Träumen oder in seinem vermeintlichen Wahnsinn nicht doch der Wirklichkeit näher kommen könnte, als jeder andere, dem nicht bewusst war, dass er träumte oder geisteskrank war und sein alltägliches schwankendes und fallendes Leben felsenfest für die Wirklichkeit hielt.