Gipfelstürme: 1972 trafen sich drei Schwergewichte der Comic-Zeichenkunst zu einer Zeichensession und zeigten dabei vor laufender Kamera, inwieweit sie sich spontan auf die Situation des zeichnenden Miteinanders einlassen können.

Jean Giraud: ein erwachsener Zeichenstil

Der erste war Jean Giraud noch in den Tagen, in denen sein Stil bei Leutnant Blueberry von der Pinsellastigkeit seines vorherigen Auftraggebers Jijé, als dessen Assistent er bei der Westernserie Jerry Spring gearbeitet hatte, geprägt war. Nur ein Jahr später, 1973, sollte im Comicmagazin Pilote die Comickurzgeschichte La Déviation (Der Umweg) erscheinen und damit den Werdegang seines Alter Ego Moebius einleiten, der die Comicwelt wie kein zweiter umkrempeln sollte.

Neal Adams: Der visuelle Revolutionär

Einer, der die amerikanischen Comic-Books umgekrempelt hat, ist Neal Adams. Der zeichnet hier im Video Deadman, für den er damalig viel Anerkennung bekam, hatte aber bereits 1969 in den Heften Nr. 56-63 die X-Men grafisch revolutioniert und zwischen 1971 und 1972 fünf Hefte der Rächer/Avengers gezeichnet, die zusammen mit den X-Men-Heften die beste Arbeit waren, die er bei den Comic-Books abgeliefert hatte. Adams stand also zum Zeitpunkt der Zeichensession, die hier im Video zu sehen ist, zeichnerisch bereits im Zenit.

Green Lantern, Deadman und Batman

Berühmt geworden ist er vor allem für seine Batman-Neuinterpretation und die sozialkritischen Comics um Green Lantern/Grüne Laterne. Während Deadman vor allem aber die genannten X-Men-Comics und The Avengers durch kreative Layouts auffielen (die es selten auch noch in Green Lantern gab), war Batman von der Seitenaufteilung her viel mehr Mainstream. Außerdem wurden die meisten seiner Arbeiten durch schlechte Tuscher verunstaltet. Das gilt für die Batman-Arbeiten ebenso wie für Green Lantern. Die X-Men- und Rächer-Hefte wurden kongenial von Tom Palmer getuscht. Adams entfaltete in dieser Phase ein immenses Geschick bezüglich perspektivischer Darstellungen, mit denen er Dramatik schuf.

Joe Kubert: Der Zeichner der Zeichner

Der dritte im Bunde, Joe Kubert, war nicht nur Zeichner und Texter für mics vor allem bei DC-Comics sondern dort auch fast 10 Jahre Director of Publications. Kubert ist durch die Comicbookreihe Sgt. Rock bekannt geworden, sein einziges Meisterwerk bleibt aber Tarzan. Er schuf die Hefte für DC zwischen 1972 und 1976. Als Zeichner und Autor in Personalunion waren das im einzelnen die Hefte 207-225 sowie 227-235 – die Hefte 236 und 239-249 schrieb er nur. Was folgte, war eine schier endlose Produktion von Heften, in denen er sich als Zeichner, ähnlich wie Neal Adams, verschliss. Bei Tarzan war er auf dem Höhepunkt seiner Expressivität, zudem passte sein dynamischer Zeichenstrich sehr gut zu Naturdarstellungen, zu Kämpfen und Bewegungsabläufen.

Drei Comiczeichner, drei Kulturen

Was haben die drei Zeichner gemein und was unterscheidet sie? Da sie alle drei im Film mit dicken Filzstiften skizzieren, sehen die Ergebnisse dichter beieinander aus, als sie es tatsächlich sind. Denn die drei Zeichner unterscheiden sich sehr. Zwar hat der Jean Giraud der damaligen Zeit ein bisschen den groben Pinselstrich mit Joe Kubert gemeinsam, wenn der auch lange nicht so kraftvoll und voller Spannkraft ist, zwar hat sich andererseits Neal Adams durch Dynamik hervorgetan, wenn auch mehr durch seine irrwitzigen Perspektiven und wilden Seitenlayouts, doch sie alle drei stehen für unterschiedliche Bereiche in den Comics.

Innovation und Unbeweglichkeit

Joe Kubert ist der herkömmlichste, der mit dem antiquiertesten, immer gleichbleibenden Zeichen-Strich und den gleichen Darstellungsweisen. Neal Adams war in vielerlei Hinsicht ein Motor und Innovator in den amerikanischen Comic-Industrie. Er hat mitgeholfen, den Zeichnerberuf auf ökonomisch vertretbarere Beine zu stellen, hat sich gewerkschaftlich betätigt, er hat die Inhalte der Comic-Books mit verändert – im Hinblick auf zeitgemäßere Themen und Sozialkritik – und er steht für jenen zeichnerischen Realismus in den amerikanischen Superhelden-Comics, der bis heute fortgewirkt hat – zum Beispiel bei Zeichnern wie Jim Lee. Giraud ist gegenüber den beiden erstgenannten der Innovator in den Comics schlechthin. Er hat Erzählweisen grundlegend geändert und ist zeichnerisch in völlig neue Bereiche vorgedrungen. 1972 kann man allerdings Adams als den Innovator unter den Dreien ansehen.

Arbeitsbedingungen der Comicschöpfer

Kurz danach entfaltete sich das Talent von Jean Giraud unter seinem Pseudonym Moebius wie eine sich öffnende mehrdimensionale Quantenschleife, und unter dem Zeichnerkürzel GIR schuf er mit Leutnant Blueberry einen klassischen Mainstreamwestern, der immer detaillierter und realistischer wurde, zum Ende hin aber nachließ. Adams und Kubert haben ihr Talent in Fließbandarbeit weggeschmissen und sich frühzeitig wiederholt und verausgabt. Jean Giraud und Joe Kubert starben 2012. Wer ganz ausführlich über Neal Adams nachlesen will, wird hier fündig. Wer über die traurigen Arbeitsbedingungen amerikanischer Comicbook-Fließbandzeichner näheres wissen möchte, kann hier vertiefend nachlesen.

Erwachsene und infantile Comics

Ein Unterscheidungskriterium könnten noch die verschiedenen Zielgruppen der Comiczeichner sein: Giraud hat sich mehr und mehr zu einem Zeichner für ein erwachsenes Publikum entwickelt. Kuberts Comics sind infantil, Adams steht als lachender Dritte zumindest zum Teil etwas dazwischen, wenn auch der Großteil seiner Arbeiten kein erwachsenes Publikum erreicht haben. Die sozialkritischen Ansätze haben sie aber zumindest akzeptabel für ein älteres Publikum gemacht.