Die siebte Ausgabe des alljährlich im schönen Tolmin in den slowenischen Alpen stattfindende Punkrock-Festivals ist zu Ende und so stellt sich dem armen Berichtenden die quälende Frage, was zum Teufel er darüber schreiben soll. Wie er den fünf Tagen friedlichen Krachhörens gerecht werden kann, wie er das Erlebnis dem zuhause vor dem Computer hockenden Leser nahebringen kann.

Holiday Punkrocker

Als Journalist rettet man sich gerne mit der Ausstellung von Fakten über das Problem hinweg, ein sinnliches Ereignis kaum äquivalent in Worte fassen zu können. Fakten gibt es genug. Zahlen etwa, die Zahl 5.000 zum Beispiel. Das ist die Zahl der Besucher, ein bisschen mehr als 5.000 sind es auch dieses Jahr wieder gewesen. Das Festival war schon Wochen vorher ausverkauft. Man konnte bereits auf dem diesjährigen Festival Earliest Bird Tickets für 2018 erwerben und gut ein Drittel des Preises einsparen. Die Zuschauerzahl von 5.000 soll auch in den nächsten Jahren nicht angehoben werden, denn das bedeutete wohl, die Bühne unter zusätzlichen Kosten an einen anderen Ort verlegen zu müssen. Ein garantiert ausverkauftes Haus ist für die Veranstalter dagegen eine sichere Bank.

Eine weitere über die journalistische Sprachlosigkeit hinweg rettende Wirtschaftsnachricht wäre diese: Der Veranstalter des Punkrock Holidays ist in die in Klagenfurt am Wortersee beheimatete MH Music Holiday GmbH aufgegangen, die dieses Jahr nunmehr vier Festivals hintereinander an jenem malerischen Ort ausrichtet. Zunächst die MetalDays, die mit 12.000 Besuchern das größte Festival sind. Die Hauptbühne des Punkrock Holidays fungiert während der MetalDays als Nebenbühne. Den MetalDays folgt unser Festival, daran schliesst sich das Reggae-Festival Overjam an. In der darauf folgenden Woche dann das neue MotörCity, das folgendermassen beworben wird: „The Ultimate Blues, Rock & Motorcycle Experience.“ Hier erwartet der Veranstalter im ersten Jahr 2.000 Zuschauer, die alle auf dröhnenden und qualmenden Bikes das schöne Soča Tal durchscheiden. Im nächsten Jahr soll noch ein weiteres Festival das Portfolio ergänzen.

Man muss dem Festival ein professionelle Organisation bescheinigen. Alles klappt reibungslos und für alles ist gesorgt. Es gibt ein buntes Angebot an Fastfood, selbstredend auch vegetarisch. Dixi-Klos, in denen tatsächlich jederzeit Klopapier vorgefunden werden konnte. Es gibt sogar einen Bretterbuden-Waschsalon vor Ort, dessen Öffnungs- bzw. Schliesszeiten sich von hereinbrechenden Unwettern nicht beeindrucken lassen. Weh dem, der dort zu spät mit einem triefend nassen Schlafsack auftaucht. Und die Infrastruktur von Tolmin ist bequem fußläufig zu erreichen. Cafés, Restaurants (die den vor Ort gezüchteten Fisch frisch auftischen), Supermärkte und natürlich der leckere Bäcker, etwas versteckt um die Ecke. Auch an ein funktionierendes Müllentsorgungssystem wurde gedacht, das mit einem Pfandsystem die Besucher ermunterte, ihren Müll einzutüten und an gekennzeichneten Stellen abzuliefern.

Teuer ist es allerdings auf dem Festivalgelände, auf dem Niveau eben, auf dem die Preise auch in Deutschland innerhalb eingezirkelter Festivalgelände liegen.

Es liesse sich, besser sogar als über Wirtschaft, über Menschen reden. Sagen wir – nur mall so zum Beispiel – über die Mitglieder der Turbo Jugend, die wir allenthalben auf dem Gelände antrafen. Kutten tragende junge Leute, Männer und Frauen, die sich betont homosexuell gaben ohne es zu sein. Ihre Kutten tragen Patches mit ihren sich selbstgewälten Warrior- und ihren Chapter-Namen.

Turbojugend

Turbojugend

Es ist der Fanclub der norwegischen Band Turbonegro, der sich weltweit auf über 2.000 Chapter (Mitgliederclubs) verteilt. Die Lederkappe hatte die Band damals als Symbol gewählt, weil Homosexualität in der vom Black Metal geprägten Szene ihrer Heimat das Einzige war, womit man noch provozieren konnte. Die Mitglieder verstehen ihre ausgestellte wenngleich unwahre Homosexualität als Statement für Toleranz. Im Gespräch waren sie auskunftsfreudig und gut gelaunt. Junge Leute, denen es am Ende darum geht, einen guten Tag zu haben und nicht als Mensch gewordene politische Botschaft verstanden zu werden.

Worüber noch berichten? Über die Bands natürlich! Auch hier lässt sich Anekdotisches hervorkramen und so die sinnliche Beschreibung der Musik hinauszögern. Zum Beispiel dieses: Der Hersteller/Vertrieb des amerikanischen Energy-Drings Monster ist Hauptsponsor des Festivals. Erstmals in diesem Jahr erscheint sein M-Logo prominent auf zwei Bannern rechts und links der Hauptbühne, umringt von den nach wie vor charmanten Comiczeichnungen des Festivalgrafikers, zusätzlich von hinten grün angeleuchtet. Der Top-Act am Freitag, die herausragende Band PROPAGANDHI, weigerte sich im Vorfeld für irgendeinen Sponsor zu spielen, so dass der Veranstalter für diesen Tag die Banner abhängen lies. Bisweilen gehen die politischen Statements auf dem Punktrock Holiday über die hier folkloristische Verachtung von Faschisten hinaus. Die mit dem Getränk eingehenden gesundheitlichen Risiken waren dagegen zu keinem Zeitpunkt ein Thema.

Oder der Berichterstatter lockt den Leser mit etwas Tratsch? In jedem beim Publikum erfolgreichen musikalischen Genre ist Tratsch eine Hauptzutat und bisweilen der Motor des Verkaufs, insbesondere die alte Frage, wer mit wem schlief. Lasst uns also über die Verwirrungen der Punkrocker tratschen!

Wer mit wem schlief, erfuhren wir nicht, aber am Dienstag spielten die Bands IGNITE und PENNYWISE direkt hintereinander und aus einem musikalisch aufregenden Tag raus. Als etwas heikel wurde das empfunden, menschelte es doch aufgrund vorhergehender Personalentscheidungen zwischen diesen beiden Bands.

Der IGNITE-Sänger Zoltán Téglás sang von 2009 bis 20112 für PENNYWISE und musste die Band aus gesundheitlichen Gründen verlassen. Der frühere Sänger Jim Lindberg kehrte zurück. Hinter den Kulissen wird gemunkelt, diese Personalie habe bei Téglás Unmut hinerlassen und es gäbe zwischen ihm und dem PENNYWISE-Gitarristen Fletcher Dragge und damit auch zwischen beiden Bands böses Blut. Im Interview mit den netten Jungs vom Punkrockers-Radio zeigten sich IGNITE noch souverän, wenn auch eine gewisse Distanz nicht verleugnend. Fletcher Dragge dagegen wurde im Interview mit dem selben Radiosender, welches er nach arger Verspätung nachts um Drei gab, sehr viel deutlicher. 20% von Téglás seien in Ordnung, der Rest eben nicht. Wie geeignet Fletcher für unseren Tratsch-Abstecher ist, lässt sich im genannten Radiobeitrag auf punkrockers-radio.de nachhören. Er erschien besoffen und bedrohte den Interviewer wegen zu blöder Fragen immer wieder mit einer solchen Aggressivität, das dieser sich tatsächlich ängstigte und heilfroh war über die andern sich noch im Raum befindlichen Leute, die ihn im Ernstfall – so seine Hoffnung – hätten retten können. Das Interview sei dem Leser zur Rezeption anempfohlen, nachzuhören auf punkrockers-radio.de, einfach mal im Archiv stöbern.

DARKO

Musikalisch war es ein ergiebiges, abwechslungsreiches Festival. Es gab mehr „seltsame“ Instrumente auf den Bühnen zu entdecken als jemals zuvor. Zum Beispiel Trompete und Banjo bei PIGS PARLAMENT, die einen reichen Sound hatten, den einzelne (zu Unrecht) als Jazz-Punk ablehnten, und die mit einem Country-Punk-Song recht ungewöhnliche Töne anschlugen. Eine der originellsten Bands.

Saxophon und Posaune auch bei LESS THAN JAKE für treibenden Ska. In Kroatien, berichten sie, seien sie seit Januar die Nummer Eins in den Charts.

Das für dieses Genre geradeso eben nicht seltsamste Instrument war der Dudelsack der im Schottenrock auftretenden THE REAL MCKENZIES. Diese Herren machen seit nunmehr 25 Jahren ihr ganz eigenes Ding und haben treue Fans. Fans, die im Schottenrock zum Stage-Diving antreten und vor ihrem Absprung durch Lüften ihres Rockes beweisen, dass sie bekleidungstechnisch unter ihrem Schottenrock nicht mogeln durch unangebrachte Unterwäsche. Fans, die auch wissen, wann sie sich auf den Boden zu setzen und zu „rudern“ haben.

Die Fans der THE REAL MCKENZIES wissen, was zu tun ist.

Das anerkannt seltsamste Instrument war das Theremin der Keyboarderin von BARRIER REEF THE GREAT, die es angenehm zurückhaltend einsetzte und ansonsten den Sound auch mal mit elektronischen Grooves bereicherte. Alles gut in die gitarrendominierte Musik integriert und eine bemerkenswerte Ergänzung, mehr ein i-Tüpfelchen als ein Statement.

Die Keyboarderin links spielt das seltsamste Instrument, das Theremin. BARRIER REEF THE GREAT

Wenn man über hervorstechende Instrumente spricht, darf man die hervorstechenden Gesangsstimmen nicht vergessen. Zum Beispiel die von Russ Rankin der Band GOOD RIDDANCE aus Santa Cruz, der es schafft, die durch die dichten Gitarrenflächen des Punkrock oft limitieren Gesangsräume nach unten hin zu erweitern und dabei durchsetzungsfähig und timbral aussagekräftig zu bleiben.

Die amerikanische Band TEENAGE BOTTLEROCKET überrascht mit dem in gebrochenem Deutsch gesungenen „Ich Bin Auslaender Und Spreche Nicht Gut Deutsch“, welches von ihrer EP „American Deutsch Bag“ stammt.

Es finden sich viele Spielarten des Punkrock in Tolmin. Die kompositionsfreudigen mit abwechslungsreichen Riffs und Breaks (u.a. STRAIGHTLINE, deren Interview in den nächsten Tagen auf endoplast.de erscheint), die brutal durchpowernden (BONO!), die politischen (ANTI-FLAG) und glücklicherweise auch die Lustigen, wie die besonders zu erwähnenden THE TOY DOLLS, die als der Ursprung des Fun-Punk gelten. Mittlerweile alte Herren rasen sie in einem Tempo über die Bühne, dass man sie dafür nur bewundern kann. Wie können die in ihrem Alter noch so verdammt fit sein? Das letzte verbliebene Gründungsmitglied Michael „Olga“ Algar singt mit quackender Stimme melodiöse Songs, verpunkte Kinderlieder und Mitsing-Reime in einer erfundenen Quatschsprache. Das Publikum ist begeistert und kann jeden Quatsch mitsingen. Herrlich!

Die gute Laune der hier vertretenen Bands spiegelte sich auch in überraschenden Coverversionen wie Bob Dylans „Blowing in the Wind“ oder Ben E. Kings „Stand by Me“ wieder, gerade von Bands, von denen man es nicht erwartet hätte.

Doch egal wie sehr sich der Berichterstatter auch durchwurstelt, die Sparten der Musik kategorisiert, die Besonderheiten der Auftritte aufzeigt oder den Gossip pflegt, am Ende ist es scheißegal, wer mit wem schlief. Das Punkrock Holiday lässt sich nur erfahren mit einem Tripp an den Ort des Geschehens. Fahrt selber hin, geniesst die Sonne, die Menschen, die Landschaft und geniesst die Musik.

Links:
Interview mit Straightline aus München (folgt in Kürze).
Punkrock Holiday 2016
Punckrockers-radio.de

(c) Fotos endoplast.de