Publikum Messe Buch Berlin

Durch die Welt geistert – je nach Perspektive – ein Trend oder ein Schreckgespenst: „Digitalisierung“ wird es genannt. Dass es kein Schreckgespenst ist, sondern sehr real, allerorten bereits vorhanden und heiß diskutiert, davon kann man sich inzwischen auf jeder Buchmesse überzeugen. Die vierte Buch Berlin2017 bildete da keine Ausnahme.

Die „Buch Berlin“, die am 25.-26. November 2017 stattfand, warb damit, nach Frankfurt und Leipzig die drittgrößte Buchmesse in Deutschland zu sein. Wo in Frankfurt und Leipzig Flächen für Selfpublisher, Books on Demand und alle möglichen E-Book-Konzepte immer mehr Raum einnehmen, deren Gemeinsamkeit es ist, neue Wege an den etablierten Verlagsstrukturen vorbei zu gehen, waren in Berlin kleine Independent-Verlage zu sehen, die mit den Qualitätsstandards des großen Literaturbetriebs kaum etwas gemein hatten.

Welche Genres waren auf der Buch Berlin 2017 vertreten?

Es ging hier oft durchaus um gedruckte Bücher, die mehrheitlich aber eher der Trivialliteratur zuzurechnen waren: „Mystery“ und „Erotikroman“, „Fantasy“ und „Liebesroman“, „historischer Roman“ und „Reisebuch“, „Space Opera“ und „Romance“, „Jugendbuch“ oder „Horror“, „High Fantasy“ oder „Kinderbuch“, „Thriller“ oder „Actionthriller“, „Fitness“ oder „Liederspaß“, „Phantastik“ oder „Gay und Lesbian Romance“ lauten die Kategorien, „Gnomengroll und Glühweingrimm“, „Schabernack, der kleine Fratz von Hullifatz“, „Ein Arsch, ein Ziel: Meine Challange“, „Blut & Rache“, „Die Nicolae-Saga“ oder „Prickelbeeren: erotische Höhenflüge, stilvoll erzählt“, lauten die Titel. Solche Genres oder Titel gab es auch auf den anderen beiden Buchmessen, nur waren sie dort ein Teil unter vielen. In Frankfurt und Leipzig findet man neben Publikumstiteln auch hoch stehende, künstlerische und ambitionierte Literatur.

Was hat die „Buch Berlin2017“ mit Digitalisierung zu tun?

Es war noch nie so einfach, ein Buch zu produzieren und vor allem zu veröffentlichen. Anders gesagt: Bücher zu produzieren, ist günstiger, schneller und flexibler geworden. Auch deshalb, weil der Digitaldruck, kleine bis sehr kleine Auflagen möglich macht und sowieso das E-Book die Latte für den Einstieg als VerlegerIn oder AutorIn von den Kosten und dem Aufwand her noch einmal tiefer legt. Das Konzept von „Books on Demand“ etwa geht so weit, Bücher erst dann zu drucken, wenn sie bestellt werden. Das heißt: es werden keine Bücher vorproduziert, sondern die Bücher werden einzeln oder in kleinen Auflagen gedruckt, wenn die Bestellungen hereinkommen. Grundlage dieses Modells ist der schnelle Digitaldruck. Book on Demand ist gleichzeitig eine Vertriebsplattform, die gedruckte Bücher oder E-Books verschickt. über 2.000 Verlage vor allem aber Selfpublisher gehören zum Kundenkreis des deutschen Dienstleisters, der international arbeitet und auf jeder Buchmesse präsent ist. Auf der „Buch Berlin“ waren deshalb auch unter anderem Digitaldruckereien und Selfpublishing-Dienstleister zu finden.

Gegenbewegung zur Verlagskonzentration

Überlegenswert an der „Buch Berlin“ ist auch, dass hier unterhaltende Bücher von kleinen Verlagen zu finden waren, fast wie eine Gegenbewegung zu den etablierten Verlagsstrukturen gerade der großen Verlage. Schaut man sich diese andere Seite an, die Szene der etablierten Verlage, fällt vor allem die ehemalige „Verlagsgruppe Bertelsmann“ auf, die inzwischen mit dem amerikanischen Verlag „Random House“ und mit „Penguin Books“ in „Penguin Random House“ aufgegangen ist – übrigens mit aktuellen Titeln wie „Der kleine Bauernkalender 2018“, „Frag doch mal…die Maus!“, „Nein! Ich geh nicht zum Seniorenyoga“, „Der Todesmeister“, „Die schönsten Kekse der Welt“ oder „Reiselust und Gartenträume“. Sie ist seit 2013 die größte Publikumsverlagsgruppe der Welt. Ihre Eckdaten:

  • Zu ihr gehören über 250 Verlage, die meisten davon großauflagenorientierte Publikumsverlage
  • jährlich ca. 15.000 Neuerscheinungen
  • jährlich 800 Millionen verkaufte Einheiten (bezogen auf Bücher, E-Books und Hörbücher)
  • 10.594 Mitarbeiter (Stand 2017)
  • Umsatz 2015: 3,717 Milliarden Euro, Umsatz 2016: 3.361 Milliarden Euro

Damit kontrolliert „Penguin Random House“ etwa ein Viertel der Buchproduktion weltweit. Übrigens gehört die Verlagsgruppe inzwischen zu drei Vierteln Bertelsmann in Gütersloh, Ostwestfalen, und zu einem Viertel der englischen Mediengruppe Pearson. Schaut man sich an, welche Verlage zu „Penguin Random House“ gehören, wird die Größe der Gruppe auch hierzulande noch einmal klarer. Unter anderem sind das: blanvalet, Blessing Verlag, btb, der Hörverlag, DVA, Goldmann, Heyne, Knaus, Limes, Luchterhand, Manesse, Prestel – insgesamt 45 Verlage in Deutschland.

Kleine Verlage und Selfpublisher als Gegenbewegung

Auf dem Buchmarkt ist es also zu einer nie dagewesenen Konzentration gekommen, das kann man auch mit Blick auf die Vertriebsmacht von Amazon sagen. Angesichts dieser Entwicklung versteht man, warum es eine Gegenbewegung zum etablierten Buchmarkt gibt. Die besteht aus kleinen Verlagen, aus Selbstverlegern/Selfpublishern und aus reinen E-Book-Verlagen. Die Buch Berlin, das war ein Ausschnitt mit Publikumstiteln. Man kann den Trend aber noch größer setzen: Vielerorts in der Gesellschaft wird Tradiertes in Frage gestellt:

  • in der Politik beispielsweise durch die Schwierigkeiten einer Regierungsbildung oder das Erstarken der AfD,
  • bei den Kommunikationsformen durch die Kommentar(un)kultur im Internet und
  • eben auch bezogen auf Publikations- und Vertriebskonzepte von Medien wie Büchern.

Der Graben zwischen Produzenten auf der einen und Lesern auf der anderen Seite wird kleiner.

Konsument + Produzent = Prosument

Man kann hier den Begriff des „Prosumenten“ oder des „Prosumers“ ins Feld führen. Der meint, dass die klare Unterscheidung zwischen Konsument und Produzent verschwimmt. Ein paar Beispiele:

  • So können Besucher bei Wikipedia sowohl Leser als auch Autoren sein.
  • Genauso wie der Leser eines Blogs durch seinen Kommentar zum Inhalt des Artikels beiträgt. Manchmal sind die Kommentare auch auf Nachrichtenseiten eine inhaltliche Erweiterung oder Differenzierung des Themas, auf jeden Fall ein hoffentlich breit gefächertes Meinungsbild.
  • Ein weiteres Beispiel ist das Crowdfunding: Der Nutzer einer Innovation wird gleichzeitig ihr Finanzier.

Manchmal ist es aber so, dass durch Schwarmintelligenz und Schwarmkommentare die Kompetenz der Fachleute unfreiwillig in den Hintergrund tritt.

  • Man kennt das aus der Entwicklung zum Beispiel bei der Satztechnologie: Früher war der Schriftsatz von Drucksachen ein Facharbeiterjob, das heißt: Expertenwissen und Experten-Know-how waren gefragt, um hochwertige Satzergebnisse zu produzieren. Mit dem Desktop-Publishing, das in den 1980er-Jahren Einzug hielt, wurde jeder mit seinem Computer zum Setzer – egal ob er das Fachwissen hatte oder nicht.
  • Dasselbe beim Privattaxi-Unternehmen „Uber“: Aus dem privaten Fahrzeugbesitzer wird ein Taxiunternehmer. Kenntnisse und Erfahrung des Taxifahrers sind plötzlich obsolet. All das wird über eine simple App für das Smartphone koordiniert.

All diesen Entwicklungen ist eine Technologie gemein, die die ehemals fachspezifischen Möglichkeiten einer größeren Anzahl von Personen zugänglich macht. Das ist gleichbedeutend mit der Demokratisierung der technischen Mittel. Dabei handelt es sich um eine vereinfachte Zugänglichkeit und Handhabbarkeit der Mittel durch technologische Innovationen. Nicht anders ist es in der Verlagsbranche. Gedruckte Bücher zu verlegen, sie zu setzen und drucken zu lassen, war noch nie so einfach und noch nie so gut finanzierbar wie heute. Mit der inhaltlichen und gestalterischen Qualität der Bücher hat das aber nichts zu tun. Die Demokratisierung der Mittel führt eher zu mehr Mittelmaß und zu vielem, das vom ehemaligen Expertenwissen nicht profitiert. Dabei bezieht sich „Mittelmaß“ auf beide Enden: Die ehemaligen Höchstleistungen werden etwas seltener, dafür wurde die Qualität der Amateurarbeiten am unteren Qualitätsende durch die Möglichkeiten der Technik verbessert.

Die Größe der drei Buchmessen in Deutschland

Man sollte die Relationen der verschiedenen Buchmessen abschließend auch rein quantitativ betrachten – denn hier tun sich große Unterschiede in den Größenordnungen auf:

  • Auf der Frankfurter Buchmesse waren zwischen dem 11.-15. Oktober 2017 ca. 286.000 Besucher und ca. 7.300 Aussteller.
  • Auf der Leipziger Buchmesse waren zwischen dem 23.-26. März 2017 ca. 208.000 Besucher und 2.439 Aussteller.
  • Auf der Buch Berlin waren zwischen dem 25.-26. November 2017 ein paar tausend Besucher und zwischen 250-300 Aussteller. (Auf der 3. Buch Berlin 2016 waren es noch etwa 200 Aussteller und 2.500 Besucher. Auf der 1. Buch Berlin waren es 60 Aussteller.)