Pablo Picasso

Manche Bilder sind so schrecklich, sie erschüttern uns, sodass wir erst später fragen, was sie bedeuten mögen. Aber eigentlich ist es wichtiger, welche Assoziationen sie in uns wecken. Das Bild mit dem Stier, der so wütet, weckt bei mir Erinnerungen an den Neoliberalismus. Warum ist das so?

Pablo Picasso, die Ikone der modernen Kunst, 1881 geboren, 1973 gestorben, hat das Motiv des Stierkampfes oft behandelt. Mal konkreter, mal abstrakter, mal wilder und mal ungestalteter. Wir haben das obige Bild der etwas wilderen Variante nachempfunden.

Der Neoliberalismus als Hardliner-Kapitalismus

Der Stier oder Minotaurus war für Picasso ein Sinnbild unbezwungener Männlichkeit, der in seinen Bildern immer wieder aufgetaucht ist, zum Beispiel auch in seinem berühmten Bild Guernica (das übrigens auch gerne mal kopiert wurde). Oft kommt der Stier gewaltig und gewalttätig daher. Genauso, wie der sogenannte Neoliberalismus. Der bezeichnete vor dem zweiten Weltkrieg eine alternative politische Strömung zwischen Kapitalismus und Kommunismus. Heute ist Neoliberalismus das Wort der Stunde. Zwar schon seit langer Zeit, also etwa seit den 1970er-Jahren, aber kaum ein anderer Begriff ist so sehr Sinnbild und Erklärung für das, was im Moment in der Welt ökonomisch-gesellschaftlich vor sich geht. Heute steht der Begriff für Marktradikalismus, also eine Auffassung, die an die Regulierungsfähigkeiten der Märkte glaubt. Die Donald-Trump-Administration hat es dieser Tage mehrfach vorgemacht, was Neoliberalismus bedeutet: Sie schafft den Naturschutz ab, um Fracking ausweiten zu können und ebenso die Netzneutralität – in dem Glauben, dass Märkte und Unternehmen größte Freiheiten brauchen und dass sich diese Märkte in der Konkurrenz der Unternehmen untereinander regulieren werden.

Thatcher, Reagan und Kohl als Neoliberalismus-Wegbereiter

Protagonisten und große Vorbilder der Neoliberalen sind Margaret Thatcher (1979-1990 Premierministerin) in England und Ronald Reagan (1981-1989 Präsident) in Amerika gewesen. Die inzwischen widerlegte These war, dass liberalisierte, hürdenlose Märkte die Volkswirtschaften antreiben und prosperieren lassen und so neue Arbeitsplätze entstehen. Auch Helmut Kohl (1982-1998 Bundeskanzler) hat in Deutschland in enger Verzahnung mit Großunternehmen Politik gemacht und die Ablösung der sozielen Marktwirtschaft durch den Neoliberalismus vorbereitet. Mit welchem Ergebnis?

Millionen Millionäre im Deutschland der Jetztzeit

Heute haben wir in Deutschland eine immer größere Anzahl an Millionären. Der Global- Wealth-Report kommt auf ca. 1,6 Millionen Millionäre in Deutschland (Stand Juni 2016). Die aktuellere Capgemini-Studie beziffert ihre Anzahl auf 1.198.700 für 2015 und 1.280.300 für 2016. Der finanzielle Zugewinn der Reichen hatte durch die Weltwirtschaftskrise eine Delle bekommen, die sich inzwischen aber wieder ausgeglichen hat. Die Schere zwischen Arm und Reich geht nun wieder weiter auseinander. Andererseits gibt es in Deutschland 12,9 Millionen nach amtlicher Definition arme Menschen. Auch ein Ergebnis des Neoliberalismus, der Erfolg egoistisch definiert und das Gemeinwohl als Wert weitestgehend ausspart.

Neue Armut in der Reichenhochburg „Silicon Valley“

Und das alles als Assoziation angesichts eines Picasso-Bildes? Das übergeordnete Thema des Picasso-Bildes ist für mich „Gewalt“. Die wird oft mit körperlicher bzw. physisch sichtbarer Gewalt gleichgesetzt. Es gibt aber auch strukturelle Gewalt, die nicht sichtbar wirkt. So gibt es Profiteure und „Verlierer“ in einem Wirtschaftssystem. Je brutaler das Wirtschaftssystem möglichst viel von dem, was in einer Gesellschaft geschieht, dem Profitstreben unterordnet und damit dem Gemeinwohl entzieht, desto größer werden die Unterschiede zwischen Arm und Reich. Wie sich dieses Prinzip auswirkt, sieht man im heutigen Amerika oder an Städten wie London, in denen Wohnraum kaum bezahlbar geworden ist. Auch in Regionen wie dem amerikanischen Silicon Valley, in dem ebenfalls eine neue Armut droht. Und das, obwohl die Durchschnittseinkommen dort hoch sind. Dennoch sind die Lebenshaltungskosten so exorbitant hoch, dass Menschen mit normalem Einkommen im Silicon Valley wirtschaftlich kaum noch existieren können.

Verlierer, Abgehängte und Opfer

In einem reichen Land wie Deutschland entstehen jedes Jahr mehr Abgehängte und sogenannte „Verlierer“. Man müsste jedoch den Begriff „Verlierer“ durch den Begriff „Opfer“ ersetzen – Opfer des neoliberalen Denkens und Handelns. Durch die digitale Revolution, die jede Arbeit und jeden Arbeitsschritt effizienter macht und dadurch weiter rationalisiert, werden zukünftig Millionen ihre Arbeitsplätze verlieren bzw. wird die Schere auch bezüglich der Qualität der Arbeitsplätze und ihrer Entlohnung weiter auseinander gehen. Wenn das keine strukturelle Gewalt ist. Neoliberales Handeln ist hochgradig profitorientiert – auf Kosten der Allgemeinheit. Wenige sanieren sich, die Masse verarmt immer mehr. Viel brutaler kann auch ein Gemälde nicht sein, das einen Existenzkampf blutig thematisiert.

Ein Kriegsbild neu interpretiert

Hier, hier, hier und hier sind übrigens weitere Interpretationen von Pablo Picassos Guernica-Bild zu sehen.