Gesicht mit Pflanze

Was ist das Geheimnis erfolgreicher Zwei-Personen-Konstellationen in der Populär-Kultur? Kongeniale Teams sind selten und bilden eine Besonderheit. Deshalb ragen sie heraus und sind einflussreich, wenn sie sich in besonderer Weise ergänzen. Man denke etwa an das Musikautorengespann Mick Jagger und Keith Richards (Komponistenkürzel: „Jagger/Richards“) von den Rolling Stones. Oder man denke bei den amerikanischen Superheldencomics daran, wie sehr einzelne Tuschzeichner kongenial die Bleistiftzeichnungen ihrer Zeichenpartner aufgewertet haben. Etwa Joe Sinnott als Tuscher von Jack Kirby bei den „Fantastic Four“, Terry Austin als Tuscher von John Byrne oder Scott Williams als Inker von Jim Lee, beides mal bei den „X-Men“.

Wir hatten anlässlich des Todes von Marvel-Comics-Texter Stan Lee davon berichtet, wie sich der Konflikt mit Zeichner/Autor Jack Kirby in den Ursprüngen des Verlages gesteigert hatte bis es zum Zerwürfnis gekommen war. Dennoch haben Stan Lee und Jack Kirby ein Kreativ-Team gebildet, das gemeinsam innovativ war. Viele jener Superhelden, die nun im Kino so erfolgreich sind, sind lange vorher von ihnen erdacht und ausgearbeitet worden und haben damit die Populärkultur beeinflusst. Dieses Muster, dass zwei Personen sich ergänzen und dabei etwas Besonderes schaffen, das weit über die Fähigkeiten des jeweils anderen hinausgeht und auch mehr ist als die Summe dieser gemeinsamen Fähigkeiten, findet man vor allem immer wieder im Populär-Kulturbereich.

Marvel: Die echte Welt beeinflusst die Traumwelt

Der Ansatz der damaligen Marvel-Comics war, gemessen an den vorherigen Inhalten von Superheldencomics, ein neuer erzählerischer Realismus. Der Superheld wurde zum ersten mal in seinen Konflikten und seiner menschlichen Beschränktheit gezeigt. Wie im griechischen Drama hatte auch der Superheld ohne eigenes Zutun schicksalhaft Schuld auf sich geladen. Der Grundstein für diesen neuen Realismus war in den 1960er Jahren gelegt worden, in den 1970er-Jahren zogen andere Verlage nach und arbeiteten ihn weiter aus. Für Superhelden wie „Green Lantern“ waren plötzlich „Drogen“ oder „Rassismus“ ein Thema. Marvel hatte bereits vorher in ersten Ansätzen Drogenmissbrauch oder Überwachung in den Spiderman-Comicheften thematisiert. Die echte Welt sollte nachhaltig in die bisherige Traumwelt der Superhelden eindringen.

Kreativteam Jack Kirby und Stan Lee

Jahre später sollten sich die ehemaligen Freunde und Kreativpartner Stan Lee und Jack Kirby überwerfen. Jack Kirby verließ Marvel-Comics und die alte Magie war bald dahin. Weder Marvel mit Stan Lee aber ohne Jack Kirby noch Kirby in Personalunion als Autor und Zeichner für andere Verlage konnten an die alten Erfolge anknüpfen. Man kann als Erfolgsfaktor annehmen, dass Stan Lee gut darin gewesen war, Zeitströmungen zu erkennen, diese zu vermarkten und demgemäß Comiccharaktere strategisch anzudenken – nach dem Motto: „Welcher neue Held erreicht wie welche neue Zielgruppe?“ Jack Kirby andererseits war zweifelsfrei ein überaus prägender und stilbildender Comiczeichner gewesen. Es stellt sich die Frage, warum keiner von beiden es vermochte, alleine oder in anderen Konstellationen so kreativ zu sein wie vorher mit dem jeweils anderen. Was als kreativ angesehen werden kann, ist jedoch relativ. Kirby jedenfalls bereicherte die Comiclandschaft noch viele Jahre mit neuen Kreationen, die aber meist kommerziell durchfielen.

Jack Kirbys Arbeit nach den Marvel-Comics

Tatsächlich hat Jack Kirby nach seinem Weggang bei Marvel-Comics eine Comicheftreihen-übergreifende Storyline mit neuen Helden erdacht, die als „Fourth World“-Zyklus bezeichnet wurde. Dazu gehörten die Serien „New Gods“, „Forever People“, „Mister Miracle“ und „Superman’s Pal Jimmy Olsen“ sowie die Graphic Novel „The Hunger Dogs“. Diese Serien verkauften sich nicht gut genug und wurden eingestellt. Der „Fourth World“-Zyklus gilt dennoch innerhalb des Trivial-Genres „Superheldencomics“ als Meilenstein eines gereiften Autors und Zeichners. Kirby war hier auch offiziell beides gleichzeitig und hatte von Marvels Konkurrent DC-Comics größtmögliche Freiheiten bei der Entwicklung der Stoffe bekommen. Auch schuf er Charaktere wie „Omac“ oder „Kamandi“, die auch heute noch interessant und nicht etwa altmodisch wirken. Die Endzeit-Heftreihe „Kamandi“ verkaufte sich übrigens gut, nur wechselte Kirby schließlich ins Film-Animationsgeschäft und zog von New York nach Los Angeles. Damit war auch das Schicksal „Kamandis“ bald besiegelt.

Die Beatles als Experimentierfeld von Lennon/McCartney

Hinlänglich bekannt ist auch die musikalische Partnerschaft zwischen John Lennon und Paul McCartney. Nach der Auflösung der Beatles stellten die beiden Musiker entweder als Solokünstler oder in neuen Bands wie den „Wings“ bzw. der „Plastic Ono Band“ ihr Können und ihr Potenzial unter Beweis, dennoch wird popmusikhistorisch ihre Zusammenarbeit bei den Beatles wesentlicher bleiben. Man weiß, dass Paul McCartney ein genialer Popkomponist ist, doch mutet es seltsam an, dass er im Rahmen der Beatles Klassiker wie „Yesterday“ alleine komponierte und nahezu im Alleingang aufnahm, ihm aber ähnliches nach den Beatles oft nicht mehr gelingen wollte. Man hätte zum Beispiel annehmen können, dass er befreit aus den Zwängen der Beatles, neues Potenzial hätte freisetzen können. Dies ist ihm zum einen Teil – etwa mit dem „Wings“-Album „Band on the Run“ – auch gelungen, zum anderen Teil aber gerade kompositorisch oft auch nicht. Manch ein Kritiker bemängelte nicht nur seine musikalische Relevanz, auch Innovationsfreude oder inhaltlicher Tiefgang schienen ihm abzugehen. Ebenso hatte John Lennon entweder solo oder mit der „Plastic Ono Band“ Schwierigkeiten, Alben einzuspielen, die durchgängig das hohe Niveau der Beatlesalben erreichten.

Nile Rodgers, Bernard Edwards und „Chic“

Ein anderes populärmusikalisches Beispiel waren Nile Rodgers und Bernard Edwards, die die Ende der 1070er-Jahre die jazzbeeinflusste innovative Disco-Gruppe Chic („Good Times“) gegründet und währenddessen als Kompositionsteam sowohl stilbildend als auch kommerziell höchst erfolgreich andere Künstler produziert und arrangiert hatten. (Zum Beispiel Diana Ross‘ Album „Diana“ mit den Songs „Upside down“ und „I’m Coming out“; Sister Sledge mit „We are Family“ und „Lost in Music“; Johnny Mathis‘ Album „I Love my Lady“, das nach Jahrzehnten im Archiv leider erst jüngst veröffentlicht wurde). Nach ihrer Trennung hatten beide jeder für sich als Songschreiber und Produzent weitergearbeitet, Nile Rodgers bis zum heutigen Tage (z.B. „Like a Virgin“ mit Madonna, „Let’s Dance“ mit David Bowie oder „Get Lucky“ mit Daft Punk) zum Teil mit erheblichem Erfolg. Das Verblüffende ist, dass der begnadete Musiker es aber nicht vermochte, ohne seinen verstorbenen Partner seine musikalischen Möglichkeiten kontinuierlich voll auszuschöpfen. Die Qualität seines Wirkens ob auf Solo-Alben oder als Produzent anderer Künstler lag zum Teil weit unter seinem Niveau, das er zusammen mit Bernard Edwards bei Chic erreicht hatte. Keines der mit Edwards eingespielten Chic-Alben enthält ein schwaches Stück.

Emergenz, Fulguration und Übersummativität

Wie aber kann es sein, dass ein Könner seine Befähigung nicht mehr abrufen kann, obwohl er scheinbar optimale Bedingungen für seine Arbeit hat? Die Erklärung ist einfach und komplex zugleich. Sie liegt im Begriff der „Emergenz“ versteckt.

  • Emergenz: Unter dem in Mode gekommenen Begriff „Emergenz“ versteht man Qualitäten, die durch aufeinander aufbauende simplere Elemente entstanden sind. So erklärt man sich zum Beispiel die Entwicklung des menschlichen Bewusstseins. „Emergenz“ meint, dass eine höhere Ausformung mehr ist als die Summe niederer Elemente, mehr als die Summe seiner Teile, die sich ergänzt und entwickelt haben. Die Besonderheit: Es entsteht etwas Neues, was um so überraschender ist, als man es nicht hat kommens sehen. So stellt die Entwicklung des Neuen gemessen an bisherigen Standards eine Überraschung dar.
  • Fulguration: Ein der Emergenz inhaltsgleicher Begriff ist der der „Fulguration“ nach Verhaltensforscher Konrad Lorenz, der damit ebenfalls die unvermutete Entwicklung neuer Eigenschaften meinte.
  • Übersummativität: Auch der Begriff der „Übersummativität“ aus der Psychologie spricht davon, dass sich entwickelnde Funktionen nicht einfach als lineare Addition von Einzelteilen zu verstehen sind.

Bei genial zusammenarbeitenden Kreativ-Teams scheinen sich die Fähigkeiten der Akteure nicht nur zu ergänzen, sondern gegenseitige Entwicklungsprozesse anzuregen. „Gemeinsames Wachstum“ könnte man das nennen.

Zwei Personen im Team gegen den Rest der Welt

Kreativität und Innovationsbereitschaft in einem Zwei-Personen-Team formen sich innerhalb eines sozialen Spannungsfeldes zwischen den beiden Partnern. Grundlage sind zunächst bestimmte Fähigkeiten, etwa zeichnerisch, schriftstellerisch, kompositorisch oder handwerklich-musikalisch und ein kommunikativer Gleichklang. Darauf aufbauend ergibt sich in einem idealen Team eine Spannung, die alternierend auf Konkurrenz und Sympathie beruht. Es geht also nicht nur darum, etwas zu können, es geht vielmehr darum, dass sich im Zusammenspiel mit einem Partner eine motivierende oder aktivierende soziale Interaktion ergibt. Das kann sein, dem Partner etwas beweisen zu wollen, etwa, dass ein bestimmter Basslauf im Lied sich besser anhört. Es kann auch darum gehen, Recht zu behalten oder ein gutes Gefühl bei der gemeinsamen Arbeit zu haben, weil man die Ergänzung des anderen als beglückend empfindet. Bei den Beatles schien ein schleichender Machtkampf zwischen Paul McCartney und John Lennon eine Rolle zu spielen. Immer ist es in kongenialen Teams so, dass persönliche Freundschaft, musikalisches Können und Motivation durch soziale Interaktion gesteuert komplex zusammenspielten. Wobei am Anfang jeder Zusammenarbeit offenbar das positive Gefühl stand, etwas gemeinsam schaffen zu können – mit einem Partner der etwas mit einbringt, was einem selbst zu fehlen scheint. John Lennon etwa war inhaltlich expliziter und konfrontativer als Paul McCartney. Zudem war Lennon musikalisch expressiv, während McCartney gefälliger war. Lennon wollte neues Terrain erkunden, McCartney eher tradierte musikalische Muster für sich uminterpretieren. Wobei diese Beispiele nur die äußeren beiden Pole der nuancenreichen Spannungsfelder bezeichnen. Tatsächlich ist auch Paul McCartney innovativ gewesen und hat für sich neues musikalisches Land betreten. Und die Frage ist, ob andererseits John Lennon einen klassisch-schönen Song wie „Imagine“ ohne den Langzeit-Einfluß Paul McCartneys hätte schreiben können, wenn der also nicht immer wieder viele der eingängigen Songs der Beatles geschrieben hätte – auf die Lennon Jahre später mit zeitlos schönen Songs wie Imagine reagiert hat. Die Basis vieler Chic-Songs war demgegenüber das Ineinandergreifen von Nile Rodgers Rhythmusgitarre und dem Bassspiel von Bernard Edwards. Man spürt in vielen ihrer Songs die reine Spielfreude und die Lust daran, wie die Instrumente kommunikativ aufeinander reagieren. Rodgers neigte zum Kraftvoll-Expressiven, während Edwards über Arrangement und Produktion den Songs Ausgeglichenheit und vor allem Stil verlieh. Stan Lee hat Jack Kirby in einem gemeinsamen Interview vorgeworfen, er, Kirby, würde die Arbeit von Stan Lee als Texter nicht würdigen. Obwohl beide also mit viel Kraft und Spaß das Marvel-Kreativ-Universum aufgebaut hatten, war eine Distanz zwischen ihnen, die auf Konkurrenz beruht.

Die Geschichte von Jack Kirby und Stan Lee

Jack Kirby hatte als Comiczeichner bereits eine Karriere hinter sich, als er auf den jüngeren Anfänger Stan Lee traf, der sich schnell als Vermarktungstalent entpuppte. Jack Kirby war zu diesem Zeitpunkt zwar ein erfahrener aber kein qualitativ herausragender Schnell-Zeichner gewesen. Er hatte in diversen Comic-Genres gearbeitet, wie Superhelden-Comics, Romantik-Comics, Kriegs-Comics, Horror- oder Western-Comics. Der „Captain America“, den er zuvor mit erdacht hatte, war aber zeichnerisch weit von dem entfernt, was später bei Marvel kommen sollte. Zeichnerisch änderte sich für Kirby alles, nachdem er 1961 angefangen hatte, die „Fantastic Four“ mit Stan Lee als Autor zu zeichnen. Jack Kirby, der viel gelesen hatte und Science-Fiction-begeistert war, steigerte sein zeichnerisches Pensum immer weiter. Das führte dazu, dass er seinen Zeichenstil weiter vereinfachen musste, hin zu wenigen starken und klaren Linien, die schneller zu zeichnen waren als die Schraffuren und all die Details von früher. Kirby musste, um sein Seitenpensum, zu schaffen mehr und mehr vereinfachen, sich konzentrieren und mit wenig viel ausdrücken. Funktioniert hat das, weil er zugleich seine zeichnerische Phantasie aktivierte und vor den Augen des Lesers immer neue nie gekannte phantastische Welten erstehen ließ. Speziell für seine dynamisch dargestellten Kampfszenen einerseits und seine Darstellung von Fantasie-Maschinen wurde er berühmt. Für den Action-Comic wurde Kirbys Stil über ein Jahrzehnt lang in Amerika der unangefochtene Standard. Zeichner wie Jim Seranko, Barry Windsor-Smith oder Frank Miller fingen bei Marvel als Kirby-Klone an. Auch, weil per Direktive jeder neue Zeichner Jack Kirbys Stil als Vorgabe zu akzeptieren hatte. Kirby wurde in dieser Phase des größten Erfolges der Marvel-Comics ungemein produktiv, zeichnerisch versiert und phantasiereich zugleich. Seine lang anhaltende Arbeit für die Heftreihe der „Fantastic Four“ schuf damals die kommerziell erfolgreichste und berühmteste Marvel-Comicreihe. Nach dem Zerwürfnis mit Stan Lee kam deutlich heraus, dass Lee seine Zeichner die Geschichten auch inhaltlich ausarbeiten und damit einen Teil seiner Arbeit machen ließ. Er selbst lieferte immer öfter nur eine kurze Zusammenfassung der Geschichte – und das mitunter auch nur mündlich am Telefon. Deshalb stellt sich die Frage, wer von beiden der eigentliche Geschichtenerzähler war. Genau zu klären ist das nicht. Dennoch ist verblüffend, wie vielfältig und zeichnerisch interessant diese Phase bei Marvel wurde. Einerseits wird die Leistung Kirbys von Fans glorifiziert, denn vieles, was er gezeichnet hatte, war in Wirklichkeit achtlos produzierte Massenzeichenware, zumal sie unter Termindruck teils schlecht getuscht wurde. (Eine grandiose Ausnahme als Tuscher bildete Joe Sinnott, der zum Glück den Großteil der „Fantastic-Four“-Kirby-Zeichnungen tuschte.) Zu bedenken ist andererseits, dass die einfachen Geschichten um die so erdachten Figuren stark genug komponiert waren, dass heutzutage Kinofilmreihen davon zehren können. Überhaupt ist hier die Rede von trivialen Superheldencomics, deren Plots recht einfach die ewig gleichen Muster wiederholten. Physisch superstarke Helden mit Minderwertigkeitskomplexen waren die ideale Spiegelfläche für eine jugendliche Leserschaft. Es war sicher möglich, den jeweils aktuellen Widersacher und die Aufgabe, ihn zu besiegen, in ein paar Sätzen zu skizzieren. Jack Kirby übernahm dann die eigentliche Arbeit, daraus eine Bildgeschichte mit Dramaturgie zu machen.

Motivation und Bestätigung in Kreativ-Teams

Lee und Kirby sagten später unabhängig voneinander, dass ihre Zusammenarbeit sehr gut gewesen sei. Kirby hatte größtmögliche Freiheit, die Geschichten auszuarbeiten, Lee konnte sich darauf verlassen, dass Kirby aus selbst nur angerissenen oder rudimentär hingeworfenen Ideen in wenigen Tagen ganze heftfüllende und immer eindrucksvollere Geschichten mit starken neuen Charakteren entwickelte. Die Heftserie der „Fantastic Four“ wurde mehr und mehr zur Kreativ-Explosion. Vorstellbar ist, dass sich die beiden Partner mit phantastischen Ideen überbieten wollten. Sie befruchteten sich immer weiter, selbst wenn Kirby einen größeren Anteil an der Urheberschaft der Charaktere gehabt haben sollte, war für den kreativen Prozess das Spannungsfeld zwischen beiden das wirklich Entscheidend – und wenn es nur der Umstand war, dass Kirby darin aufging aus dem Fast-Nichts einer simplen Idee einen phantastischen Kosmos entstehen zu lassen. Diese Atmosphäre führte bei den „Fantastic Four“ zu nie gesehenen zeichnerischen Leistungen. Kirby wuchs bei der Arbeit an seinem phantastischen Viererteam über sich hinaus. Lee war ein Verkäufer und Vermarkter von Ideen und drängte sich in der öffentlichen Wahrnehmung in den Vordergrund. KIrby saß währenddessen in seinem Kelleratelier, eher in sich gekehrt und bescheiden und vermutlich auf die Kraft seines intakten Wertesystems vertrauend, anstatt auf die Berühmtheit, die Lee als Person des öffentlichen Lebens bald erlangte. Lee hatte eine klassische Markenbildung betrieben, um sich zu positionieren: Er hatte Marvelcomics als „Haus der Ideen“ vermarktet und sich selbst in einem Imagetransfer mit dieser Marke gleichgesetzt und nicht etwa das Zusammenwirken des Teams Lee/Kirby. Vermutlich wollte Kirby Lee ständig überraschen und dadurch Bestätigung bekommen. Lee bekam seine Bestätigung durch seine Expressivität und seine Identifikation mit Marvel als Ganzem. Er stellte sich in Öffentlichkeit und Medien als genialen Erzähler moderner Märchen vor und wurde als alleiniger Entwickler all der Figuren wahrgenommen. Jack Kirby konnte seine Bestätigung nur bekommen, indem er als Geschichtenerzähler und Zeichner besser und besser wurde und indem er aus jeder Grundidee eine einprägsame Bildgeschichte fertigte. Und das in nur weniger Tagen pro Heft, was aus heutiger Sicht unglaublich erscheint.

Kongenialität und Mehrwert

Unter „Kongenialität“ versteht man, dass man einen Kooperationspartner entsprechend einem gleichen Niveau ergänzt und gegenseitig einen Entwicklungsprozess in Gang setzt. Das ist das Geheimnis von Emergenz, weil sich ganze Bündel von Eigenschaften zwischen Menschen annähern und miteinander verdrahten, sodass man schließlich nicht mehr davon sprechen kann, dass sich Eigenschaften einfach nur ergänzend summieren. Soziale Spannungsfelder zwischen Partnern können dazu führen, dass man sich in seinen Eigenschaften spannt und streckt, um etwas zu erreichen, das vorher so nicht möglich war. Sogar, um etwas zu erreichen, das als Eigenschaft vorher gar nicht existiert hat. Die Kreativ-Teams Lennon/McCartney, Rodgers/Edwards und Lee/Kirby haben diese Eigenschaften als Gemeinsamkeit gehabt. Ihre gemeinsame Arbeit, wie immer sie ausgesehen haben mag, war befruchtend und von innerem Wachstum geprägt. So sehr oft das Zerwürfnis nach einer langen Partnerschaft im Vordergrund steht, so bereichernd ist die Phase der fruchtbaren Kooperation für den kulturellen Raum, in dem sie wirken.

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