Öfter mal wenn ein neuer kontroverser aber dennoch vermarktbarer Star die Medien-Bühne betritt, ist davon die Rede, er hätte die Regeln bzw. Spielregeln des Business verändern. So auch im Fall von Billie Eilish (O’Connell). Natürlich hat kein Star die Regeln verändert, regelverändert waren bisher vor allem Technologien. Aber Billie Eilish ist dennoch bemerkenswert in Zeiten gleichmacherischer Popmusik-Langeweile.

Anfänglich hatte sie etwas von Lana Del Rey, sowohl stimmlich als auch bezüglich des melancholisches Grundtones ihrer Lieder. Inzwischen findet sie zu einem eigenen exaltierten Stil und zelebriert ihn ikonisch als eine Art Depri-Pop zwischen Augenzwinkern und tiefgründiger Abgründigkeit.

Billie the Kid mit melancholischer Popmusik

Die Dezember 2001 geborene Amerikanerin hat 2017 eine EP vorgelegt und nun 2019 ein Album mit dem bemerkenswerten Titel „When We All Fall Asleep, Where Do We Go?“ Das gesamte Songmaterial ist von Billie Eilish O’Connell und ihrem Bruder Finneas O’Connell geschrieben, der die Musik auch produziert. Die schön produzierte Musik der EP haben die beiden in Finneas O’Connells Schlafzimmer aufgenommen.

Strategie statt Kreativität

Die Popmusik hat sich seit den 1980er-Jahren in ihrem kommerziellen Teil immer mehr in unsäglich seichte und austauschbare Mainstream-Gewässer navigiert, in denen die meisten Pop-Artisten früher oder später ersoffen sind. Man konnte den Eindruck gewinnen, dass die professionellen Strategien der Musikverlage und ihrer immergleichen Produzenten dominierten.

Popactrice Billie Eilish

Gute PR wird wichtiger als die Musik

Ein weiteres dazu tat der Trend der letzten Jahrzehnte, nicht mehr ganze Erfolgs-Pop-Kommerz-Alben von einem Produzenten betreuen sondern jedes Lied auf einem Album von einem anderen Produzententeam entwickeln zu lassen. So wurden die großen Pop-Stars untereinander immer mehr zum Verwechseln ähnlich. Gutes Songmaterial, originelle Töne und Konzepte gerieten im Pop-Mainstream in den Hintergrund. Gleichzeitig wurde die Streetcredibility anderer Künstler vor allem im Rap zunehmend wichtiger, weil die kommerziell erfolgreiche Popmusik ein Glaubwürdigkeitsproblem hat, wenn sie nur noch am Reissbrett konstruiert wird. Manchmal wurde diese Streetcredibility wichtiger als die Musik selbst. Die kruden Geschichten um die Künstler zwischen Verbrechen und Megaruhm wurden ein wichtiger Bestandteil der Vermarktung, die Musik stand manches Mal nicht mehr als wesentlicher Faktor im Fokus der Aufmerksamkeit. All dies nahm irrwitzige Züge an. XXXTentation wurde ermodet, 6ix9ine wird vermutlich für immer hinter Gitter wandern.

Alleinstellungsmerkmale im Land der Seichtheit

Es ist kein Wunder, dass soviel popkulturelle Austauschbarkeit krasse Gegenbilder erzeugen musste. Dazu gehören immer wieder Rapper wie die beiden genannten aber auch eigentlich klassische Pop-Acts wie Lana Del Rey, die mit Texten und Videos die amerikanische Wohlfühlperspektive einriss. Ein Künstler, der sehr erfolgreich sein will, muss aber zugleich auch eine Stilikone und Verhaltensikone werden. Billie Eilish setzt dabei noch einen drauf, zumindest setzt sie aktuelle Akzente: Horrorvideos, Blut, Tot und Depression jenseits des Herzschmerzes zeigen menschliche Abgründe. Ihren Kleidungsstil beschrieb sie 2017 in einem Vanity-Fair-Interview mit „Judge me, please“ und 2018 mit „I don’t fucking know“. Ihr Äußeres ist wenig aufgeblasen, leger, shocking oder oversized. Sie kommt ansonsten daher, wie ein Mensch von nebenan. Den Kids gefällt’s. Es ist in dem produzentengeschwängerten Popbreigedudel auch tatsächlich mal etwas Anderes. Eine Singer-/Songwriterin, bei der schon im Alter von 12 Jahren Tourette diagnostziert wurde, hat etwas mehr drauf, als nur ihre Lippen zu bewegen. Sie bewegt die Teenie-Massen.