TrikoloreDas „Ich“ ist eine schwierige Angelegenheit oder anders gesagt: Es hat einen Haken. Denn je näher man ihm zu kommen scheint, desto fragwürdiger ist es. Ist das „Ich“ am Ende eine Illusion und das Gehirn eine Art Projektor? Gibt es eigentlich in dem Sinne, in dem wir uns das wünschen würden, gar nichts zu entdecken, wenn wir auf die Suche nach unserem Ich gehen?

Jedenfalls gibt es vieles, was man als Mensch tut, das geeignet ist, sich selbst zu definieren und so ein scheinbar reales „Ich“ zu formen. Man könnte annehmen, dass durch den Prozess der Fragen nach dem Ich und durch die dementsprechende Suche danach das Ich erst entsteht. Zur weitergehenden Selbstfindung und Ich-Definition gehört auch die Kunst bzw. das künstlerische Wirken. Denn Kunst zu schaffen, ist wie das Traumerleben ein bildgebendes Verfahren der Persönlichkeit mit ungewisser Absicht.

Motivationen der Kunst

Warum zeichnet und malt man ständig? Was treibt einen besessenen Künstler an? Sind es Motivationen von außen? Berühmt, begehrt und wichtig zu sein? Oder Antriebe, die von innen kommen, etwa dass man spürt, dass da etwas ist, das man ausdrücken und dem man eine Form geben möchte? So wie ein Sportler laufen muss, um seine Muskeln zu spüren, malt der Künstler, um seine Phantasie Gestalt annehmen zu lassen. Ansonsten schwer greifbare Vorstellungen nehmen im Kunstwerk Gestalt an. Das, was man im künstlerischen Prozess zu Tage fördert, hilft mit, auch das eigene Ich besser zu verstehen, selbst wenn zunächst die Absicht künstlerisch tätig zu sein, eher im Dunkeln liegt. Aber sie wirft Fragen auf, und die Auseinandersetzung damit, nämlich was Wahrheit und Wahrhaftigkeit des Künstlers sind, beantwortet auch mit die Frage nach dem Ich.

Ich und Charakter

Aber was soll so schwierig daran sein, ein „Ich“ zu ermitteln? Man verfügt beispielsweise  über Eigenschaften wie Expressivität oder Introvertiertheit, man ist schnell oder langsam im Handeln und Denken, auch könnte man entweder empathisch oder gefühlskalt sein. All das sind Eigenschaften, die man spüren und ermitteln kann. All das ist landläufig ausgedrückt Teil des „Ichs“. Im ästhetischen Wirken als Formulierung einer Bildsprache, die auch das Ich abbildet, lernt man sich besser kennen, nähert sich das Unaussprechbare dem Geläufigen an.

Ich und Bewusstsein

Die Frage nach dem „Ich“ ist allerdings seit jeher verknüpft mit der Frage des Bewusstseins. Denn ein „Ich“ wie man es allgemeinhin versteht oder als existent unterstellt, ist mit „Eigenständigkeit“ verknüpft. Jemand, der wie ein Roboter lediglich programmiert oder ein Reiz-/Reaktionswesen wäre, dem würde man ein „Ich“ nicht ohne weiteres zubilligen. Und darin liegt die Krux: Wir bestehen offensichtlich aus großen Anteilen an unbewustem Denken und Handeln und andererseits aus solchen, die bewusst sind. Dem Bewusstsein unterstellt man, das impliziert der Begriff, eine gewisse Bewusstheit, so als wüßte der Mensch zu beträchtlichen Teilen, was er tut. Aber warum er künstlerisch tätig ist, bleibt ein Mysterium.

Komplexe Ich-Definition

Man darf unterstellen, dass wir den Anteil an bewusstem Denken und Handeln zu dominant einschätzen und den an unbewusstem zu gering. Wenn aber ein größerer Teil unseres Seins unbewusst beeinflusst oder gesteuert ist, ist die Suche nach dem „Ich“ in dieser Welt der Interdependenzen und ggf. der „Fernsteuerung“ – etwa durch unser Erbgut bzw. durch dessen Interaktion mit der Lebenswirklichkeit und der darauf basierenden Mechanismen – komplizierter als gedacht.

Fremdbestimmung & Eigenständigkeit

Wo würde das Ich beginnen? Würden wir einer Maschine ein „Ich“ zubilligen? Oder einem Tier? Würden wir bei einem Tier nicht eher sagen, es hätte einen „Charakter“ oder „bestimmte Eigenschaften“, bei denen wir aber nicht so weit gehen, sie zu einem Ich zu verknüpfen? Wenn wir auf die Suche nach dem Ich gehen, dann wollen wir den Kern unserer Eigenständigkeit sehen. Wir wollen uns nicht sagen, wir wären fremdbestimmt. Denn wären wir so konstruiert, wäre unser Ich maximal schwach ausgeprägt.

Die intuitive Kunst

Kein Tier ist künstlerisch tätig. Tiere in freier Wildbahn tun, was unmittelbar ihrer Lebenserhaltung dient. Kunst hingegen ist eine Art der Informationsverarbeitung. Neben der Zweckorientierung unseres Denkens gibt es das Fühlen, das ein anderes Wahrnehmunngssystem ist und als solches viel weniger greifbar ist. Fühlen und intuitives Handeln entziehen sich dem Bewusstsein. Sie finden ihren Ausdruck in der Kunst.

Blackbox Mensch

Das Ich ist also verknüpft mit unserem Anteil an Unbewusstem, an Verdecktem, nicht Sichtbarem. Wer in die Ich-Blackbox des Menschseins eintaucht, braucht ein starkes Nachtsichtgerät. Aber dann sieht er die farblichen Nuancen nicht mehr. Die Kunst ist als eine Suche ein bildgebendes Verfahren, mit dem wir uns vergegenwärtigen, was wir bewusst nicht sehen oder wahrnehmen können. Kunst ist eine Symbolsprache des unkartografierten Menschen und die Suche nach dem ursächlichen Ich, ganz gleich ob es in der von uns gedachten Form existiert oder nicht.