Als Pop-Superstar Prince sich mit seiner Plattenfirma überworfen hatte, nannte er sich fortan „The Artist Formerly Known As Prince“, kurz „TAFKAP“. Das war damals neu. Twigs hat es ihm gleich getan, allerdings aus Copyrightgründen, weil der Name „Twigs“ schon vergeben und Gegenstand eines Rechtsstreits war. Nun stellte auch sie ein „Formerly Known As“ ihrem Künstlernamen voran und hieß nun kurz „FKA Twigs“. Das klingt wenig schmuckvoll und schnörkellos pragmatisch.

Ähnlich sachlich, wie Tahliah Barnett – wie FKA Twigs mit bürgerlichem Namen heisst – ihre Alben betitelt: Ihre erste CD von 2014 heisst „LP1“, ihre EPs „EP1“ (2012), „EP2“ (2013) und „M3LL155X“ (2015), das typografisch für „MELLISSA“ steht. Diese technische Sachlichkeit bildet einen Kontrast zu ihren vertrackten Musiktracks und ihren teils aufwendigen und immer eigenwilligen Videos, die fast alle vom kalkulierten Tabubruch leben und oft sexuell aufgeladen sind wie etwa in „Papi Pacify“.

Drama-Hingucker und Trip-Sounds

Im Video zum Song „Videogirl“ spielt sie mit dem Motiv einer Hinrichtung, in dem zu „Cellophane“ legt Twigs, die eigentlich Tänzerin ist und sich zum Gesamtkunstwerk ausgebaut hat, eine gewagte Pole-Dance-Performance hin. FKA Twigs Videos tut alles, um ein starker Hingucker zu werden und trotz der für herkömmliche Ohren ungewöhnlichen Sounds visuell dramatische Seh-Erlebnis-Welten zu kreieren, die zum voyeuristischen Hingucken verführen.

Avantgade-Marketing für Popmusik

Andere Videos wie „How’s That“ sind visuell noch außergewöhnlicher und geradezu innovativ. Wobei eigentlich fast alles, was FKA Twigs tut, in keine gängige Pop-Schublade mehr passt und gerne Sehgewohnheiten aufbricht. Das ist Teil einer Marketingstrategie der abgedrehten Überdeutlichkeit, um eine ganz eigene Nische im Pop-Business zu besetzen.

FKA Twigs und ihre Produzenten

Musikalisch umgibt sich Twigs für ihren „avantgardistischen R’n’B“, wie es schick heißt, bisher mit Audio-Querdenker-Produzenten oder Profi-Produzenten mit dem richtigen Gespür für den Sound der Zeit aus allen möglichen musikalischen Genres, die zwischen Hippness, Anspruch und Eingängigkeit changieren:

  • Produzent Arca wirkt, als käme er direkt aus einer anderen Dimension
  • Boots hat mit Beyoncé zusammengearbeitet
  • der zugängliche Sampha kollaborierte mit Drake
  • Paul Epworth (Pseudonyme: „Phones“ und „Epic Man“) ist Adele-Produzent
  • Emile Haynie hat mit Lana Del Ray und Kanye West zusammengearbeitet
  • Devonté Hynes (Pseudonyme: „Blood Orange“, „Lightspeed Champion“) hat unter anderem Florence and the Machine oder die Chemical Brothers musikalisch betreut
  • Clams Casino (= Michael Volpe) hat mit Rappern wie ASAP Rocky und Lil B gearbeitet

Sie alle sind angesagte Musiker und Produzenten, die als Soundarchitekten für FKA Twigs einen Trip-Hop-Sound kreierten, wie man ihn etwa von Björk kennt.

Dynamic_faceMusikalische Pop-Innovationen

Denn diese Nische will sie besetzen: FKA Twigs will ungewöhnliche Sounds und Videos mit Tanz- und Bewegungs-Performances zu einer Hingucker- und Hinhör-Mixtur verbinden. Ziel erreicht: Das sperrige Video-Audio-Crossover der visuell gefälligen Künstlerin hat gepunktet und lebt von einer Kontrastwirkung zwischen Schönheit und Tabubruch. Sie will dadurch eine Nische des Anspruchs besetzen, in der vorher neben Bjök auch Kate Bush verortet war. Beide wollten mehr als schöne Musik. Während Kate Bush musikalisch meist pop-klassisch blieb, favorisierte Björk den Avantgardismus in Reinkultur deutlich jenseits des Mainstreams. Alle drei Künstlerinnen eint ihr Anspruch, mehr oder anderes zu wollen als das übliche Popmusik-Einerlei.

Die Produzenten des nächsten Albums

Inwieweit FKA Twigs tatsächlich Musikerin ist oder mehr Performance-Künstlerin und mediales Gesamtpaket, wird sich erweisen. Für ihr neues Album, „Magdalene“, das im Oktober 2019 erscheinen soll, hat sie wie andere Popmusiker auch, mit einer bunten Armee neuer Produzenten und Songschreiber aus den Genres „Metal“, „Rap“, „Pop“ und „experimenteller Avantgarde“ zusammengearbeitet. Das sind:

  • Jack Antonoff (Kooperationen mit Taylor Swift und Lorde),
  • Kenny Beats (zum Beispiel Arbeiten für die Rapper Vince Staples und Freddie Gibbs),
  • Metro Boomin (Arbeiten für Drake und Kanye West),
  • Nicolas Jaar (eigene Alben, auch als Teil des Duos „Darkside“ oder unter Pseudonym „A.A.L.“/„Against All Logic“),
  • Oneohtrix Point Never (=Daniel Lopatin, mit experimentellen eigenen Alben, Soundtracks und etwa einer Kooperation mit Iggy Pop),
  • Jeff Kleinman (produzierte Frank Ocean),
  • Skrillex (Zusammenarbeit z.B. mit Korn),
  • Sounwave (als Produzent u.a. für Taylor Swift) und
  • Michael Uzowuru (produzierte Acts wie Frank Ocean oder Beyoncé).

Musikerin oder Performance-Artistin?

Bis dahin entzückt FKA Twigs die Feuilletons und die Zuschauer ihrer Videos. Die Feuilletons auch deshalb, weil medial oder sogar kommerziell erfolgreiche Musik meist nicht sehr anspruchsvoll ist. Dass Anspruch für ein größeres Publikum relevant sein kann, ist also selten und gerade deshalb reizvoll. Manch ein Kritiker wirft FKA Twigs eine Art von kluger Medien-Hype-Manipulation zum Teil auch durch eine dosierte Verweigerungs-Haltung vor. Was zählen wird, ist, ob die provokativen Videos nur provokativ sind, um einen Medien- und Aufmerksamkeitseffekt zu generieren oder ob eine Haltung dahinter steckt, es sieht sehr danach aus.