Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans (Spitzname: NoWaBo) sind die beiden neuen Bundesvorsitzenden der SPD, die am liebsten die große Koalition beenden wollen würden oder ihr zumindest aber kritisch gegenüber stehen. Auffällig ist das unsachliche Medienecho nach ihrer Wahl am 6. Dezember 2019. Das heißt: Wer soviel medialen Widerstand erzeugt, der neben der Spur liegt, an dem muss etwas Positives sein.

Dabei ist den politischen Beobachtern klar, dass die SPD sich reformieren muss, will sie nicht in der politischen Bedeutungslosigkeit versinken. Diese Neuausrichtung kann aber schwerlich von jenen politischen Kräften in der SPD ausgehen, die die Misere mit verursacht haben bzw. tatenlos dabei zusehen, wie immer weniger Wähler wissen, warum sie die SPD wählen sollen. „Misere“? Ein Hauptgrund des Erschwachens der SPD liegt in ihrer Position als Sidekick der CDU-Regierung. Wie besonders bzw. geradezu einmalig diese Situation ist, zeigt ein kurzer Blick zurück in die bundesdeutsche Geschichte.

Wie sich CDU und SPD verändert haben

Es gab im Nachkriegs-Deutschland zwei große die Interessen ausgleichende Volksparteien: Die CDU/CSU, die mit Wirtschaftskompetenz auftrumpft, zum anderen die SPD, deren Ansatz soziale Gerechtigkeit ist. Inzwischen haben sich diese klaren Positionen verwischt. Die SPD hat mit der Regierung Schröder und den Hartz-IV-Gesetzen gegen ihre Klientel gearbeitet, die CDU hat sich von ihren konservativen Wurzeln entfernt. Dennoch kommt auch in der Großen Koalition zwischen CDU/CSU und SPD die ursprüngliche Positionierung noch zum Tragen. Ein wesentliches Ergebnis der drei Groko-Legistratur-Perioden ist ein immer größeres gesellschaftlich-ökonomisches Ungleichgewicht, das unter anderem der AfD in die Karten spielt.

Die erste große Koalition

Es gab vor der jetzigen sogenannten „GroKo“ (als „Wort des Jahres“ 2013 das Kürzel für „Große Koalition“) in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland nur einmal eine andere GroKo: Die erste große Koalition zwischen CDU/CSU und SPD fand 1966–1969 unter Kanzler Kurt Georg Kiesinger statt. Auch sie wurde im Rahmen einer ökonomischen Zwangslage eingegangen. Damals hatte die CDU/CSU in der vorherigen Koalition mit der FDP eine immer höhere Staatsverschuldung verursacht und wollte dem durch höhere Steuern begegnen. Eine neue politische Konstellation sollte die Probleme angehen. Seit dem – also weit über drei Jahrzehnte lang – gab es nie wieder eine große Koalition zwischen CDU/CSU und SPD – bis zum Jahr 2005.

Die große Koalition als Dauerzustand

Man sieht also, dass historisch betrachtet eine große Koalition die absolute Ausnahme gewesen ist. Inzwischen ist die große Koalition aber ein Dauerzustand politischer Bequemlichkeit geworden. Besondere Relevanz bekam die große Koalition von 2005–2009 durch die Weltwirtschaftskrise. Nach einer Koalition der CDU/CSU mit der FDP, der zweiten Amtszeit von Angela Merkel, ergab sich von 2013–2017 die nächste Große Koalition mit der SPD und damit die dritte Amtszeit von Angela Merkel. Das heisst, die SPD hat seit 2005 in der großen Koalition dreimal mitregiert und war einmal in der Opposition.

Die No-Esprit-GroKo der Langeweile

Eine große Koalition, die wegen ihrer Stärke gute Chancen hat, fast alle ihre vereinbarten Vorhaben durchzubringen, ist eine politische Entscheidungsstruktur von Spannungslosigkeit und Langeweile des kleinsten gemeinsamen Nenners. Politische Auseinandersetzung wird im Permanentkonsens erstickt. Dass dies keine adäquaten Ergebnisse bringt, sieht man bei Entscheidungs- und Entwicklungsbereichen wie „Digitalisierung“, „Energiewende“ oder „Klimawandel“. Bei allen diesen Themen hinkt die Politik hinterher. Beide Parteien haben ihre Macht gesichert, was trotz koalitionärer Auseinandersetzung in Bequemlichkeit und Lethargie mündet. Der alltägliche vorweggenommene Kompromiss wird zum höchsten der Gefühle.

Die SPD als kleiner Bruder

Für die SPD ist aber in der Außenwirkung noch etwas anderes entscheidend: sie ist als kleinerer Partner der Sidekick der CDU. „Sidekick“, das bedeutet, dass sie neben dem Hauptdarsteller CDU eine „Nebenrolle“ inne hat. „Sidekick“ heisst anders übersetzt aber auch „Handlanger“. Wenn man es nicht so negativ sehen will, kann man sich an Batman erinnern, dessen Sidekick seit jeher „Robin“ heisst. Robin ist toll und kann viel, aber erinnern wird man sich immer nur an Batman, weil der der eigentliche Überheld ist. So war es bisher auch bei der SPD. Sie konnte erreichen, was sie wollte, im Rampenlicht als politisch Verantwortliche stand immer nur die große Schwester Angela Merkel – und leider kann es nur eine geben.

Kevin Kühnert zieht die Strippen

Dass SPD-Politiker wie der egozentrische Sigmar Gabriel oder der wenig enigmatische Olaf Scholz das ändern würden, bleibt eine Phantasie. Einer, der nicht entweder müde, wenig visionär oder korrupt in seiner Ich-Zentriertheit wirkt, ist Kevin Kühnert, der das Duo Ecken/Borjans unterstützt hat. Ihm kann man zutrauen, der SPD direkt oder hinter den Kulissen einen anderen politischen Drall zu geben. Zur Erneuerung der SPD gehört jedenfalls die Arbeit in der Opposition jenseits der großen Koalition.

Kurz-Profil von Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans

Die Wahl von Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans zu SPD-Bundesvorsitzenden wird in den Medien mit dem Fatalismus des Brexit verglichen, es wird zuweilen sogar beanstandet, sie seien Nobodys. So ganz stimmt das aber nicht:

  • Norbert Walter-Borjans war sieben Jahre, von 2010-2017, Finanzminister in Nordrhein-Westfalen, ist durch den Ankauf von Whistleblower-Daten-CDs bundesweit bekannt geworden und hat einige Milliarden an veruntreuten Steuergeldern dadurch zurückgeholt. Natürlich hat er sich dadurch nicht nur Freunde gemacht, was man jetzt sehen kann.
  • Saskia Esken ist ein Paradebeispiel eines aktiven SPD-Mitgliedes – bis hin zu ihrem Mandat als Bundestagsabgeordnete ab 2013. Beruflich als Programmiererin und politisch als Netzpolitikerin bringt sie zeitgemäße Kompetenz in den SPD-Vorstand. Sie hat sich unter anderem gegen die Artikel-13-Uploadfilter, gegen die Vorratsdatenspeicherung und für das Recht auf Verschlüsselung ausgesprochen.

HalbgesichtWo ist das eigene Profil der SPD?

Seit all den SPD-Politikern, die nach außen hin wie CDU-Abziehbilder gewirkt haben – ob Gerhard Schröder, Sigmar Gabriel oder Olaf Scholz – und ganz direkt oder indirekt neoliberale Politik unterstützt haben, steht nun ein Führungs-Duo der SPD vor, das linke Positionen einbringt und für eine ausgewogenere Umverteilung nicht nur durch Steuergerechtigkeit steht. Es erscheint als eine der wenigen Möglichkeiten, die SPD von grundauf zu erneuern, ein Vorsitzenden-Duo wirken zu lassen, das unbelastet ist. Schwierig wird das dennoch, denn die SPD hat sich an ihrer Spitze darin eingerichtet, das konservative Politik-Hauptgericht nur noch mit SPD-Gewürzen abzurunden, um damit an den Brotkrumen der Macht teilhaben zu können. Die ursprüngliche politische Ausrichtung der Partei trifft das schon lange nicht mehr – was dazu geführt hat, dass die SPD ihr Profil sozialer Gerechtigkeit und des sozialen Ausgleichs verloren hat. Seit einer kleinen Ewigkeit hat mit Kevin Kühnert ein Politiker als stellvertretender SPD-Vorsitzender die große politische Bühne betreten, der nicht nur für profilschärfende sozialdemokratische Inhalte steht sondern sie auch rhetorisch geschickt und glaubwürdig in der Öffentlichkeit und den Medien kommunizieren kann. Ist das ein Neustart für die SPD?