HerztotenkopfPolitik ist ein ernstes Metier, weil Politik das Leben der Bürger durch Entscheidungen entscheidend beeinflussen und verändern kann. Seit sich die politische Landschaft in Folge der Weltwirtschaftskrise von 2007 auch in den westlichen Ländern nach und nach geändert hat, stellt sich immer wieder die Frage, warum fragwürdige politische Figuren Erfolge unter anderem mit viel Unernst und Irrwitz feiern können.

Was sie eint, ist, dass sie alles anders machen, als das bisher möglich schien. Sie bewegen sich am Rande des Irrsinns und die Indigrenzien ihres politischen Süppchens sind neben Wirklichkeitsverzerrungen auch Witze als Unterhaltungsfaktor. Wo inhaltliche Tiefe und richtungsweisende Entscheidungen wichtig wären, herrscht die Lockerheit einer Unterhaltungsshow. Lachend in den Untergang – das neue Rezept?

Der Ernst der Humoreske

Hohe Würdenträger, ob in Kirche, Staat, Militär oder Wirtschaft, umweht ein Ehrfurcht erzeugender Nimbus. Anbetungswürdige Gestalten tauchen den Betenden in eine Atmosphäre von Ernsthaftigkeit und unbedingter Ergebenheit. Wer hätte sich in dieser Situation nicht mal gewünscht, der Angebetete wäre weniger unnahbar und sogar richtiggehend witzig? Und siehe da: The-Real(ity-TV)-Donald-Trump erfüllt seinen Fans diesen Wunsch. Nichts Ungewohntes oder sogar völlig Abgründiges wäre vorstellbar, was bei ihm nicht denkbar wäre. Leichtfüssig nimmt er jede Hürde guten Geschmacks, jede der sieben Todsünden scheint ihm nicht fremd zu sein, ob Hochmut, Neid, Zorn, Trägheit, Habgier, Völlerei und Wollust.

Der Präsident, der nur so tut, als ob

Gerade der Witz als rhetorisches Element in der politischen Rede oder sogar als Dreh- und Angelpunkt der politischen Medien-Aktivität ist nicht zu unterschätzen, denn ein witziger amerikanischer Präsident, der immer mal wieder zu verkörpern scheint, dass er nur so tut, als sei er Präsident – das hat Unterhaltungswert. Und wann in der neueren Geschichte konnte man den Namen des amerikanischen Präsidenten googeln und sich jeden Tag aufs Neue von völlig unwahrscheinlichen aber tatsächlich stattgefundenen Nachrichten unterhalten lassen. Das ist zugleich witzig wie auch erschreckend – manchem amerikanischen Wähler scheint vor allem die Angstfreiheit des orangen Riesen zu gefallen.

Big Brotherhood of Men

Die Situation hat was von „Rattenfänger von Hameln“, von politischem Harlekinismus und wird von einem humunkulösem Hauch umweht, den sich die Republikaner eau-de-colognend erschaffen haben. Der Irrwitz der Welt – er ist inzwischen beheimatet an Staatsspitzen in Form von lächelnder Amateurhaftigkeit, grinsender Unwahrheit und sarkastischem Faschismus. Diese Eigenschaften jedoch sehen viele Amerikaner nicht gegen sich selbst gerichtet sondern gegen ein krankes Parteiensystem, das nicht mehr in ihrem Sinne agiert hatte. Die Gleichung scheint einfach: Wohlstand = Sicherheit. Wer aber immer wieder Unsicherheit schafft, etwa durch ein durchgängig korruptes Finanzsystem, das in Weltwirtschaftskrisen mündet, der ist des Wählervertrauens nicht mehr wert. Dabei ist es egal, dass der neue amerikanische Präsident das ökonomische Ungleichgewicht hemmungsloser gesellschaftlicher Selbstbereicherung weiter verstärkt.

Traumatisierte Wähler

Aber wie soll man sich vorstellen, dass jemand wie Donald Trump – oder in Brasilien Präsident Jair Bolsonaro – überhaupt gewählt wird? Wie traumatisiert muss ein Wähler sein, um das zu tun? Die Erklärung ist ganz einfach: Stell dir vor, dein großer Bruder ist ein Psychopath. Ganz abgesehen davon ist er sowieso irgendwie seltsam und unsympathisch. Du wolltest mit ihm nie wirklich etwas zu tun haben, weil er im Rahmen einer irrlichternd borderlinenden Persönlichkeitsstruktur schnell ausfallend wird oder sogar unvermittelt um sich schlagen könnte.

Psycho schlägt Psycho

Du hast immer schon gemutmaßt, dass ihm eines Tages irgendjemand zum Opfer fällt. Deshalb wolltest du ihn immer tunlichst von anderen Menschen isolieren. Nur hast du gerade einen ziemlich bedrohlichen Konflikt mit dem Klassenschläger. Da denkst du plötzlich daran, dass es doch ganz gut wäre, wenn dein absonderlich gewalttätiger Bruder dich zur Schule begleiten würde. Plötzlich fühlst du dich in seiner Gegenwart ganz gut, während du befriedigt zusiehst, wie er den einstmals unbesiegbaren Klassenschläger zusammenschlägt. Nur weißt du insgeheim, auch wenn er dein jetziges Problem zunächst gelöst hat, er wird auf Dauer viel größere und schlimmere Probleme schaffen. Solange redest du dir ein, dass erstmal Zeit gewonnen ist.

Die korrupte Demokratie

So ähnlich ist es nicht nur mit Donald Trump und Boris Johnson geschehen, die Tendenz in der westlichen politischen Welt ist unverkennbar: die Männer für’s Grobe müssen ran, um den vermeintlichen Schutt der vor kranken Begehrlichkeiten verkommenen Demokratie und all der Unübersichtlichkeit aus dem Weg zu räumen. In Deutschland hat das dazu geführt, dass Faschisten salonfähig werden, also Menschen, die all das ablehnen, was eine Demokratie und ein menschliches Miteinander ausmacht.

Die neue Politik

Der Bürger als Wähler ist von dem Parteienfilz zurecht genervt. Zu lange waren die üblichen Parteien an der Macht und haben, gefangen in den verwucherten Strukturen ihres internen Filzes, nicht nur keine Konzepte mehr für die Zukunft, selbst ihr Verhältnis zur Demokratie ist angesichts ihrer permanenten Trickserei fragwürdig geworden. Das Ergebnis von all dem: Neurechtelnde Politiker, die nicht mehr tun, was sich gehören sollte. Sie lassen keine Fakten gelten, sie lügen im großen Maßstab und sorgen planvoll dafür, dass diese Lügen verbreitet werden.

Polytainment nach Rezepten des Reality-TV

Aus Politik ist für diese Politiker Politainment geworden. So sind auch Trump, seine Regierungsgeschäfte und Reality-TV nicht mehr auseinander zu halten. Wie nachhaltig kann ein Präsident agieren, der sich schon mit Ein-Satz-Postings auf Twitter sprachlich abmühen muss? Was ist das für ein Präsident, der sich wie eine Mischung aus Clown und Kleinkind geriert – aber die Leute, die ihn wählen, finden’s amüsant. Denn neben der Lüge feiert der Witz als politisches Mittel Urständ.

  • Boris Johnson serviert Journalisten, die draußen vor seinem Haus mit Kamerateams auf ihn warten, weil er wieder Gesprächsstoff geboten hat, leichtfüssig lächelnd Tee – nach dem Motto „Ihr könnt gerne ewig warten“.
  • Ein andermal geht mit er mit seinem Hund zur Wahl und sorgt dadurch für mediale Aufmerksamkeit.
  • Trump macht in der Öffentlichkeit eine Ex-FBI-Mitarbeiterin beim Orgasmus nach, weil sie sich in privater Korrespodenz über ihn lustig gemacht hatte.

Politik als Witz, Politiker als Witzfiguren

All das ist skuril und entbehrt nicht eines gewissen Humors, der der Politik ihre Schwere nimmt und ihre Ernsthaftigkeit – was allerdings Methode hat. Bei Boris Johnson ist es zuweilen ein trockener, etwas hintergründiger englischer Humor, bei Trump scheint manchen seiner Witze eine sadistische Atmosphäre zu unterliegen. Etwa wenn er wie vorher erwähnt bei öffentlichen Veranstaltungen stöhnend einen Orgasmus simuliert, um die Ex-FBI-Anwältin Lisa Page zu diffamieren, in Anspielung auf deren bekannt gewordenes Liebesverhältnis mit einem FBI-Agenten. Der Grund? Sie hatte sich in ihrer öffentlichen gewordenen privaten Korrespondenz lustig über Trump gemacht. Nicht nur der Trumpsche Humor auch viele andere seiner Reaktionen wirken sadistisch. Herabwürdigung scheint hier Methode zu haben. Aber wer als Wähler ganz unten ist, wer über die Finanzkrise sein Geld, seine Lebensgrundlage oder sein Haus verloren hat, gar obdachlos geworden ist und die große Überlebensangst bekommen hat, der mag sich an dieser Art der politischen Witzelei mit harten Bandagen erfreuen. Auge um Auge, Zahn und Zahn – mit einem stets grinsenden Joker-Gesicht.

Gewalt und Jokerschaft

Sich ins Fäustchen lachend sieht der republikanische Wähler einer Dekonstruktion des Bestehenden zu, das längst als falschgerichtet und bedrohlich empfunden wird. Herausgekommen sind nicht nur in Amerika Politikerfiguren, die mehr Comicfiguren oder Schauspielern aus billig produzierten Reality-TV-Formaten ähneln. Mal sind sie verbal gewalttätig, mal locker-witzig. Sie verkörpern keine Werte mehr, sind zum klaren Sinnbild eines grassierenden Werteverfalls geworden. Der Irrwitz hat Methode: Das Ziel scheint eine chaotische Barbarei zu sein, auf deren Trümmern man autoritäre politische Strukturen errichten kann. Ganz im Ernst.