Mo’thik. Sind wir frei und so richtige Individualisten? Oder richten wir uns mehr nach externen Faktoren? Wer bestimmt darüber, was man macht? Wir selbst oder der Gruppenzwang? Oder Kirche, Staat und Eltern? Sind wir die zitternde Nadel im Moralkompass, wie in der Sendung gefragt wird? Moralische Maßstäbe werden in der übergeordneten Ethik behandelt. Die Ethik ist also so etwas wie der theoretische Überbau und das Regelwerk der Moral, ihre Systematisierung. In unserer Gesellschaft haben Philosophen und Religionsgemeinschaften Ethik-Modelle ausgearbeitet, manchmal hat das in der Praxis aber zu einer argen Doppelmoral geführt. In der Sendung heißt es, Moral sei dem Menschen zum einen Teil in die Wiege gelegt, andererseits entsteht sie in Gruppen-Zusammenhängen. Die Bezugsgruppe oder die Gesellschaft können moralische Werte verstärken, abfedern oder gar brechen. Die Kirche hätte, so wird an anderer Stelle gesagt, eine feindliche Übernahme der Moral vollzogen. Sie reklamiert für sich auch, sagen zu können, dass es Gut und Böse gäbe und was gut und böse sei – ein allerdings nicht ganz menschengerechter Anspruch. Gut und Böse sind kulturell gewachsen relativ. Als Beispiel werden der ehemalige amerikanische Präsident George W. Bush und Osama Bin Laden, der inzwischen getötete Al-Kaida-Führer angeführt, die sich beide als Vertreter des Guten gesehen haben. Aber wer hat Recht bzw. wer will sagen oder beurteilen, wer in einer Situation Recht hat? Maßgeblich für die Bewertung und das konkrete Ausleben von Moral sind eher gesellschaftliche Verständigungsprozesse und Übereinkünfte. Moral erzeugt so einen gesellschaftlichen Konsens oder einen Gruppenkonsens. In unserer Gesellschaft wird Moral zusätzlich durch Medienwirklichkeiten beeinflusst, was aber in dem ZDF-Neo-Beitrag kein Thema war. Moral und Ethik sollten jedenfalls nicht verwechselt werden; denn die Ethik als übergeordnete Instanz, die die Moral auf Stimmigkeit abklopft, fragt auch, ob alle gesellschaftlichen Interessen berücksichtigt sind. Eine der Gesprächspartnerinnen, Sarah Wagenknecht, sagt: „Wenn man Dinge bei anderen verachtet, muss man sich selbst verachten.“ Woran orientiert man sich? Am abstrakten Moralbild oder am eigenen Gefühl? Man wird seine Handlungen vermutlich im Spannungsfeld dieser beiden Extreme ausrichten. Dabei gibt einem die Einschränkung und Vorgabe moralischer Grenzen auch Handlungsvorschläge und damit Sicherheit. Gut aber, wenn das eigenes Denken dadurch nicht überflüssig wird. Denn die Selbstbestimmung war eine Errungenschaft, ein Anspruch und Fortschritt, der aus der Aufklärung kam. Oder wie es Immanuel Kant ausgedrückt hat: „Habe den Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen.“ Gut und Böse bleiben Verhandlungssache, dabei ist ein Gerüst, auf das man sich bei seinen Individualentscheidungen stützen kann, in seiner Funktion wichtig. Aber vielleicht ist es besser, den Begriff der Moral durch den der Ethik zu ersetzen, weil Moral aus einer Zeit stammt, in der der Begriff das eigene Denken ersetzt hat. Kommentieren.