Coldpay. Betrachtet man manch eine Band, kann man sich nicht des Eindrucks erwehren, es handele sich im Verlauf der Bandgeschichte um zwei verschiedene Gruppen. Das hat eine gute und eine schlechte Seite: Die gute ist, dass sich was bewegt, dass eine Band sich entwickelt. Dabei kann sie zwar einen fatalen Weg einschlagen aber besser irgendeine Bewegung als Stillstand. Die negative Seite ist, dass einige Bands vielversprechende Debutalben veröffentlicht haben, bis man später merken musste, dass es das dann auch schon war. Die weitere Entwicklung ist eine Dekonstruktion des Unverwechselbaren. Viele Bands haben sich entweder endlos wiederholt oder sind diesen Weg der künstlerischen Auflösung gegangen. (Ein gutes Beispiel sind die Stranglers, eine Punkband, die mit den drei Alben Rattus Norvegicus (1977), No More Heroes (1977) und Black and White (1978) eine  eigenständige Stilistik geschaffen hatte, um dann unspezifisch im Art-Pop abzutauchen.) Im Debüt einer Band jedenfalls kann mehr oder weniger bereits alles stecken, was sie zu sagen hat. Ein bisschen so aber noch ganz anders ist es mit Coldplay gekommen. Ihr Debutalbum Parachutes (2000) war sensibel aber gleichzeitig selbstbewusst. Die Band war auf der Suche nach ihrer musikalischen Formel, die sich bereits auf dem zweiten Album A Rush of Blood to the Head voll entfaltete. Vor allem die Stimme des Sängers Chris Martin gekoppelt mit hingetupften Klaviertönen entfaltete einen eigentümlichen Reiz, der gefühlvoll-atmosphärisch wirkte. Die gelungenen Kompositionen taten das übrige. Coldplay war eine Band mit eigenem Stil. Zeitigte bereits das Debutalbum astronomische Verkaufszahlen von weit über 8 Millionen Exemplaren, war das Album danach mit 15 Millionen Stück auch ein früher monetärer Höhepunkt. Coldplay war aus dem Stand mit dem ersten Album in die Oberliga des popkulturellen Erfolgs aufgestiegen und blieb dort bis heute. Erfolg ist schön aber bald auch eine Bürde. Nach dem zweiten Album änderte sich der Sound, man konnte den Eindruck gewinnen, Coldplay opferten ihre Unverwechselbarkeit einem hybriden Konzept. Die Eigenständigkeit schimmerte immer noch hinter den Songs hindurch aber zwischen dem dritten und fünften Album klang der Sound zu nah an U2, die Songs verloren zum Teil ihre Ecken und Kanten und wirkten glattgeschliffener, manchmal wie ein Soundbrei, der für jeden weiteren Song einmal umgerührt wurde – fertig. Mit so einer Einschätzung tut man der Band etwas Unrecht, denn tatsächlich haben Coldplay als eine der wenigen international erfolgreichen Rock-/Pop-Bands dennoch ein Profil und damit etwas sehr Eigenes in ihrer Musik. Immer wieder erinnert die Instrumentierung der Stücke jedoch an U2, manchmal an Radiohead. Initiierende Inspiration war aber eigentlich die englische Band Travis. Nach dem dritten Album, X&Y (2005) folgten zwei Alben mit dem Produzenten Brian Eno. Der ehemalige Roxy-Music-Mann (1972-73) ist im Laufe der Jahrzehnte ein begehrter Produzent geworden, der David Bowie in seiner kreativsten Phase (Low/Heroes/Lodger) begleitete oder den Erfolgs-Sound von Bands wie den Talking Heads oder U2 mitgeformt hatte. So kann man die unter seiner Ägide entstandenen Alben Viva la Vida or Death and All His Friends (2008) und Mylo Xyloto (2011) als Experimentierfeld für Coldplay sehen. Sie waren zu früh vom kommerziellen Erfolg überrascht worden, jedes ihrer Alben war ein Millionenseller und einiges in ihrer Musik driftete ab in Richtung Mainstream und Stadionrock. Der kommerzielle Erfolg war immer auch dem Umstand geschuldet, dass jedes ihrer Alben auch einen oder mehrere Ohrwürmer enthielt. Die Sensibilität der ersten Tage war genau genommen schon nach dem Debut-Album dahin. Die Wende in der Ausrichtung von Coldplay, einer Band, die sich parallel sowohl musikalisch durchkommerzialisierte als auch ständig auf der Suche war, kam wohl, als die Ehe von Sänger Chris Martin mit seiner Frau Gwyneth Paltrow 2012 in die Brüche ging, weshalb 2013 offiziell die Trennung bekannt gegeben wurde. So ist das aktuelle Coldplay-Album Ghost Stories (2014) textlich wohl eine Aufarbeitung dieser persönlich harten Zeit für Chris Martin, und es ist musikalisch wieder introspektiver geraten. Dem Stück Magic hört man es an, obwohl an dem Album neben Coldplay selbst ganze fünf Produzenten mitgearbeitet haben. Es ist eine Rückbesinnung auf die eigenen Wurzeln, ein sich Stemmen gegen zu kommerzielle Erfolgsformeln. Mit Magic aus dem neuen Album zeigen Coldplay, was sie können: einfühlsamer Gesang, schöne Melodik, flankiert vom Understatementsound – die Einfachheit vergangener Tage ist hier zu hören und zu sehen, denn im Zeitalter des „Storytelling“, erzählen Coldplay im Video eine schön geschauspielerte und inszenierte Geschichte. Chris Martin spielt darin eine Doppelrolle. Viele gute Musikvideos gibt es dieser Tage nicht mehr, so ragt das Video heraus. Seinen Anfang genommen hatte die professionelle, flächendeckende Musikvideoproduktion mit Bohemian Rhapsody von Queen (1975), hatte in den 1980er-Jahren ihren Höhepunkt und erlebte mit dem Niedergang der alten Geschäftsmodelle der Musikindustrie durch den Vertriebskanal Internet ihr Waterloo erlebt. Oft fehlt seitdem das Geld für gute Musikvideos. Coldplay haben eine Stummfilm-Charakteristik gewählt, die dem sympathischen Song gerecht wird. Reduzierte Pop-Musik findet ihre Wurzeln. Mal sehen, wie es weitergeht. Chris Martin will den neuen Schwung nutzen und würde am liebsten bereits in 2015 das nächste Album veröffentlichen. Kommentieren.