Ai Weiwei macht einen KopfstandAi Weiwei, der Vielgesichtige, stellt die Traditionen auf den Kopf: Als bekanntester bildender Künstler und zugleich als einer der bedeutendsten Konzept- und Aktionskünstler Chinas bleibt Ai Weiwei streitbar und bezieht Stellung, was ihm Repressalien von Seiten des chinesischen Regierungsapparates eingebracht hat. Rund um die emotional sowieso stark aufgeladene Buchmesse mit ihrem Ehrengast „China“ und einer Rückschau seiner Werke ab 1998 als Großausstellung im Haus der Kunst in München, hatten sich die Nachrichten um seine Person überschlagen. Was war geschehen?

Ai Weiwei war bereits seit September in Deutschland, um seine Ausstellung in München vorzubereiten. Er sagt, er sei im August in China in der Provinz Sichuan von (Geheim-)Polizisten in einem Hotelzimmer so geschlagen worden, dass er zunächst unter bleibenden Kopf-Schmerzen litt. Als Spätfolge mußte er sich im vergangenem Monat im Klinikum der Universität München am Gehirn operieren lassen. Im Bulletin des Klinikums zu dem Fall ist von einem Hämatom die Rede, das auf das Gehirn gedrückt hat und entfernt werden mußte. Das Haus der Kunst hat dieses Dokument veröffentlicht und damit ein Zeichen gesetzt. Die Ausstellung „So Sorry“ ist nicht nur ein ästhetisches Vergnügen, ein Denk- und Assoziationsspiel, sie ist vor allem hoch politisch.

Menschenrechte und Kunst: Ein Statement

Die chinesische Regierung hatte ihm – nachdem er seinen Besuch angekündigt hatte – untersagt, die Buchmesse zu besuchen, die sowieso überschattet war von dem Streit darum, welche chinesischen Dichter anwesend sein dürfen und welche nicht. Nachdem er aus dem Krankenhaus gekommen war, hat Ai Weiwei am 7. Oktober dazu eine Stellungnahme abgegeben. Er werde die Buchmesse nicht besuchen, weil er zum einen gesundheitlich noch nicht auf der Höhe und zum anderen mit der Ausstellung befasst sei. Er schloß sein Statement mit folgenden Worten: „Ich bin ein Mensch, der für Redefreiheit, unabhängiges Denken und Individualität mit seinem Werk und in jeder erdenklichen Ausdrucksform kämpft. Ich werde nicht in meinen Bemühungen nachlassen, wenn es um grundlegende Menschenrechte und Werte geht. Es muß klar sein, dass keine Institution – egal ob kommunistische Diktatur oder eine andere politische Allianz – meine Entscheidung [an der Buchmesse] teilzunehmen oder nicht teilzunehmen ändern kann.“ Hier der Eindruck einer Ausstellung in New York:

Wohl bedachte Positionen: Zwischen Kunst und Politik

Ai Weiwei sagt seine Meinung: Ob gegen den westlichen Kapitalismus oder die Willkür im eigenen Lande – er nimmt ein klare Position ein. So ist auch seine Kunst. Sie mischt sich ein, zeigt Sachverhalte augenfällig, macht Leid in seinem Land erfahrbar. Dabei schöpft Ai Weiwei aus dem Gegensatz zwischen Tradition und Moderne im China von heute, für dessen Zerrissenheit er immer wieder neue Darstellungsformen findet.

Ai Weiwei: Eine Kurzbiografie

Die Geschichte des Werdegangs des Künstlers in Stichworten: Ai Weiweis Vater Ai Qing war der bekannteste Dichter Chinas. Vom Regime in den Jahren der „Kulturrevolution“ unterdrückt, wurde er gedemütigt, mußte z.B. öffentlich Toiletten putzen und wurde mit seiner Familie verbannt. Nach der Rückkehr war Ai Weiwei 18 und ging danach nach „Amerika“. Ai Weiwei hielt sich dort mit Gelegenheitsjobs über Wasser und entwickelte nebenher Kunstprojekte. Als sein Vater eine Dekade später im Sterben lag, kehrte er 1993 nach China zurück. Der Künstler wurde landesweit bekannt und ist inzwischen ein sehr wichtiges Rad im Kunst- und Kulturgetriebe. Er arbeitet mit Galeristen und Architekten zusammen und hat 2008 das Olympiastadion „Bird’s Nest“ in Kooperation mit den Architekten Herzog & de Meuron mit gestaltet (mit denen er bei einem Projekt im Haus der Kunst auch wieder zusammengearbeitet hat). Hier eine Impression dazu:

Nachfolgend ein ausführliches Interview, in dem es unter anderem um Konzeption und Erarbeitung dieses Architekturprojektes ging, das dem Künstler eine internationale mediale Breitenwirkung verschafft hatte, aber auch um sein Kunstverständnis und seine Einflußnahme:

Besuch aus Fern-Ost: Auf der Documenta

Dies und vor allem seine Präsenz 2007 auf der Documenta 12 machten ihn auch hier weithin bekannt. Er reiste dort mit 1.000 Landsleuten an. Ein Superlativ nach Aufwand und Umsatz. Das mit 3,1 Millionen Euro teuerste Documenta-Projekt aller Zeiten mit dem Titel: „Fairytale“ (= Märchen) machte für die chinesischen Besucher damit tatsächlich ein Märchen wahr. Nachdem die Gäste zurückgeflogen waren, zeugten 1.001 antike Holzstühle, als Gruppen- bzw. Enzelinstallation verteilt über die gesamte Documenta, von diesem Besuch, den Ai Weiwei als eine Art Bildungsreise ganz im Sinne der Vorgaben der Ausstellung ansah. Deren künstlerischer Leiter Roger M. Bürgel hatte den politischen Ansatz der Ausstellung darin erblickt, „den Besuchern das Gefühl geben… für die Welt in der wir leben, aktiv Verantwortung zu übernehmen. Zu wissen, dass man Gestaltungsspielraum hat und ihn auch in Anspruch zu nehmen.“ Hierzu sei ein Bildungsprozess anzustreben, der sich vom Künstler auf das Publikum übertragen solle. Ai Weiwei hat darauf mit seiner Kunst, die man als soziale Skulptur oder Aktion verstehen kann, auf seine unverwechselbare Weise reagiert.
Fotos der Aktion „Fairytale“ sind übrigens auch im Foyer der Münchener Ausstellung zu sehen und bilden so einen Bezug zur Documenta.

Den Zufall integriert: Wind und Wetter brachten "Template" auf der Documenta zu Fall und gaben ihm seine endgültige Gestalt. Abbildung mit Genehmigung des Haus der Kunst, München.

Den Zufall integriert: Wind und Wetter brachten „Template“ auf der Documenta zu Fall und gaben ihm seine endgültige Gestalt. Abbildung mit Genehmigung des Haus der Kunst, München.

Das alte „Template“ auf der Documenta

Auf der Documenta wurde darüber hinaus im Außenbereich die Installation „Template“ errichtet, eine 12 Meter hohe Skulptur, die aus Fenstern und Türen von Abrisshäusern der Ming- und Qing-Dynastie bestand. Ein Template ist eine „Vorlage“, die man als Ausgangspunkt nehmen kann, die viel vorgibt, von der man sich aber auch weit entfernen kann. Die Skulptur wurde von einem Unwetter umgerissen, fiel aber so ästhetisch in sich zusammen, dass der Künstler sie in dieser zusammengefallenen Form nun wieder im Haus der Kunst präsentiert.

Die Raum-Baum-Installation "Rooted upon" bleibt auf dem Teppich "Soft Ground", der eigens für die Ausstellung geschaffen wurde und Bezug auf den Ausstellungsort nimmt.

Die Raum-Baum-Installation „Rooted upon“ bleibt auf dem Teppich „Soft Ground“, der eigens für die Ausstellung geschaffen wurde und Bezug auf den Ausstellungsort nimmt. Abbildung mit Genehmigung des Haus der Kunst, München.

Das neue „Template“ im Haus der Kunst

Tatsächlich: Der Zufall steht dem gecrashten Werk nicht schlecht. Aus den senkrechten Geraden, die nach zwar stehender aber fragiler (neuer) Architektur aussahen, die sich vielleicht nicht lange wird halten können, ist ein liegender, organischer Holzfächer geworden, der in seiner kreisenden Form, fast eine Zeitachse abbildet und damit Alt und Neu vereint. Dabei hatte der Künstler sicher den dekonstruktivistischen Kontrast im Sinn: Zwischen der alten Bautradition und dem heutigen ungezügelten Wachstum, bei dem Menschen teils zwangsweise aus ihren Häusern vertrieben wurden, um Neuem Platz zu machen. Fast nach dem Motto „Mit Bulldozern gegen Traditionen“.

Tradition des Motivs kontrastiert mit der Machart der Moderne: "The Wave (Prototype)". Abbildung mit Genehmigung des Haus der Kunst, München.

Ein Werk mit lang zurück reichenden Wurzeln: „The Wave (Prototype)“. Abbildung mit Genehmigung des Haus der Kunst, München.

Doppeldeutige Botschaft: „So Sorry“

Seine aktuelle Ausstellung in München, die am vergangenen Sonntag eröffnet wurde und sich über das gesamte Haus der Kunst erstreckt, steht unter dem Motto „So Sorry“. Was das bedeutet? Was macht ein Politiker, wenn ein Skandal publik wird? Er entschuldigt sich mit Nachdruck. Ändert das etwas? „Nicht wirklich“ könnte man meinen. Die Entschuldigung des Politikers (oder der Gesellschaft) als Ablenkungsmanöver, damit nicht weiter nachgegefragt wird? Das „So Sorry“ wirkt in diesem Zusammenhang wie politischer oder sozialer Zynismus und erhält so seine künstlerische Relevanz.

Erinnerungsarbeit: Kunst als Gedenkstätte

Die Fassade des Haus der Kunst jedenfalls ziert die exklusiv dafür kreierte Installation „Remembering“, bestehend aus 9.000 Schulrucksäcken in fünf Farben. Ai Weiwei erinnert damit an die 80.000 Erdbebenopfer von 2008. Bei diesem Erdbeben sind unter anderen Tausende Schulkinder wegen Pfusch am Bau in eingestürzten Schulen ums Leben gekommen. 4.000 Namen solcher Kinder hat Ai Weiwei trotz Widerstand der Regierung auf seiner Website veröffentlicht. Die Rucksäcke formen in chinesischen Schriftzeichen den Satz „Sieben Jahre lang lebte sie glücklich in dieser Welt“ – das Zitat der Mutter eines Erdbebenopfers.

Ein weiteres, eigens für die Ausstellung geschaffenes Werk ist der geknüpfte Teppich „Soft Ground“, der originalgetreu den Boden des Ausstellungsraumes nachbildet.

Dimensionssprengend: Der Tod tausender Schüler dokumentiert mit "Remembering", das über 100 m lang und fast 10 m hoch die Fassade des Haus der Kunst dominiert. Abbildung mit Genehmigung des Haus der Kunst, München

Dimensionssprengend: Der Tod tausender Schüler dokumentiert mit „Remembering“, das über 100 m lang und fast 10 m hoch die Fassade des Haus der Kunst dominiert. Abbildung mit Genehmigung des Haus der Kunst, München

„So Sorry“: Eine relevante Ausstellung

Das Haus der Kunst, das sehr engagiert an das Projekt „So Sorry“ herangegangen ist, gibt einem großen Künstler den Raum, Fragen aufzuwerfen, übrigens auch in einem eigenen informativen Ai Weiwei-Blog. Ai Weiwei ist im Augenblick vielleicht der politischste Künstler, ein Künstler, der den Graben zwischen seinem Schaffen und konkreter Einflußnahme überwunden hat. Ein Glücksfall für eine zu oft elitäre internationale Kunstszene, die sich oft genug von der Basis der Verständlichkeit und Relevanz für die Gesellschaft entfernt hat. Seine visuelle Sprache schafft Zugänge, ist wenig abgehoben und doch von großer Symbolkraft. Sein Drang, mit dem Publikum über seine Werke zu kommunizieren, scheint die Ausstellung zu durchdringen.