Must the show go on? Der Spaß geht weiter, vielmehr: weiter im Text

Must the show go on? In diesem Fall ja, also weiter im Text.

Ich halte ein schmales Bändchen in Händen, das dem geneigten Leser ergänzend zu Infinite Jest, dem als Jahrhundertroman apostrophierten Werk von David Foster Wallace, sekundärliterarisches Zusatzmaterial bieten möchte.

Als 1998 William Gaddis‘ Roman „Die Fälschung der Welt“ (englisch: „The Recognitions“) herausgekommen war, wurde das umfangreiche Werk verlegerisch um das Bändchen „Die Fakten hinter der Fälschung“ ergänzt, das immerhin 290-seitig allerlei Erklärungen enthielt und den gelehrigen Leser tatsächlich noch schlauer machte. Als im letzten Jahr Jonathan Littells hochliterarischer Blockbuster „Die Wohlgesinnten“ erschien, folgte auch ihm wie ein beredsamer Adlatus ein „Marginalienband“.

Der neue Schlankheitswahn: Begleiter für die Westentasche
Inzwischen gehört das offensichtlich zum guten Ton. Es ist fast so, als müsste jede dicke Schwarte von einem magersüchtigen jüngeren Brüderchen begleitet werden, der, befreit vom Ballast der Dickleibigkeit, den großen Bruder – den eigentlich keiner versteht, mit dem sich aber jeder zeigen will – der staunenden Öffentlichkeit erklärt. Das scheint eine Art symbiotisches Huckepackverhältnis zu sein: Ein verlegerischer Schachzug, der unter Umständen eine Bereicherung für den Leser sein kann – wie es im erstgenannten Beispiel, in Sachen Gaddis, durchaus der Fall war.

Sekundärliteratur im dünnen Bändchen
Nach dem Büchlein „Über Infinite Jest“ (96 Seiten Umfang) des Übersetzers des Werkes, Ulrich Blumenbach, ist also nun ein weiteres Bändchen erschienen, auf dem kleingedruckt und fast verschämt „Zusatzmaterial“ zu lesen ist. Das Bändchen bietet auf etwas mehr als 90 Seiten allerdings nicht viel Neues.

Infinite Jest: Neue Worte braucht das Land
Den sehr lesenswerten Text „Am Fuß vom Text“ konnte man lange vor Erscheinen des Romans in Deutschland im Schreibheft Nr. 68 lesen. Er thematisiert die besonderen Schwierigkeiten, die der Übersetzer mit diesem Romanungetüm hatte, vor allem mit dem Spleen David Foster Wallace’, unbekannte oder seltene Worte zu verwenden, für die es eigentlich gar keine Übersetzung geben kann. Die Badische Zeitung von heute nennt ein paar Beispiele und schreibt davon, dass der Übersetzer jetzt wisse, „dass ‚Achondroplasie‘ Zwergwuchs ist, ‚gluteale Hyperadiposität‘ ein vornehmeres Wort für Fettarsch.“ Um das auf die Spitze zu treiben, widmet sich inzwischen ein Wort-Wiki all jenen besonderen Worten, die Schöpfer Wallace seinem Publikum offeriert hat. Hier gibt es viel zu lesen und zu recherchieren – ein unendlich abendfüllender Spaß.

Weniger bekannte Fakten: Der Mensch, der auch ein Autor war
Bereits veröffentlicht ist auch der Artikel von David Lipsky über Leben und Sterben David Foster Wallace‘. Der war bereits im Dezember 2008 im deutschen Rolling Stone nachzulesen und ist deshalb gemäß unseres gelebten Zeitgeistes der Augenblicklichkeit vielleicht schon wieder in Vergessenheit geraten. Wenn das so sein sollte, hätte die Wiederveröffentlichkeit dann doch ihre Berechtigung. Den Artikel zu lesen bleibt jedenfalls eine Bereicherung für den am Leben Wallace‘ Interessierten.

Jonathan Franzen und Dave Eggers haben etwas zu sagen
Zum ersten Mal auf Deutsch zu lesen sind die Vorworte der Schriftsteller Dave Eggers (aus der amerikanischen Ausgabe von Infinite Jest) und Jonathan Franzen (aus einer Ehrerbietungsrede „anlässlich der Gedenkfeierlichkeiten“ zum Tode David Foster Wallace‘). Glück im Unglück, weil der geneigte Fan ja nach allem lechtzt, was mit dem verstorbenen Autor zu tun hat. Franzen schreibt aus der Buddyperspektive über seinen verstorbenen Freund. Er schreibt von der „knisternden Präzision seiner Satzstruktur, seines mühelosen und tonsicheren Wechsels zwischen zehn verschiedenen Ebenen…“

Weiteres Material zu David Foster Wallace
Schön wäre es gewesen, hätte man noch etwas vom Autor selbst hinzuzugefügt, z.B. aus den Vorlesungen, die er gehalten hat und die man im Web nachlesen kann. Oder Auszüge aus den Interviews. Da die Namen Eggers und Franzen schon gefallen sind, könnte man noch das Interview der FAZ mit dem postmodernen Jeffrey Eugenides nennen, das athmosphärische Einblicke in die Art Literatur gibt, wie sie Wallace geschrieben hat. Man könnte auch sagen, Eugenides‘ Thema ist jene Schriftstellergeneration, zu der er und auch Wallace gehören. Der Spiegel hatte etwas über den Stellenwert der Familie Wallace hinzuzufügen, ein immer noch lesenswerter Aspekt. Ehre, wem Ehre gebührt: In der Badischen Zeitung vom heutigen Tag ist ein Artikel über den aufopferungsvollen und preisgekrönten Übersetzer von Infinite Jest erschienen. Dieser Artikel rundet den deutschen Wallace-Kosmos mit einem Blick hinter die Kulissen ab.

Das Genie, der Lehrer, die Bewertung
David Foster Wallace war ja nicht nur Autor: Um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten, hielt er Vorlesungen, z.B. am Pomona Collage für kreatives Schreiben und Englisch. Ganz witzig, hier kann man sehen, wie David Foster Wallace von seinen Studenten als Lehrer bewertet wurde.

Der Autor live im Interview
Als letztes ein Aspekte-Feature über den Autor. Auch wenn Moderator Wolfgang Herles nicht zu sagen vermag, wovon Infinite Jest handelt, der nachfolgende Beitrag gleicht dieses Manko gebührlich aus und wirft zum Schluß einen Blick auf den armen Übersetzer und sein Jahre währendes Martyrium. Ein Beitrag für alle also, die das Buch nie lesen werden aber dafür umso beflissener mitreden wollen:

http://de.wikipedia.org/wiki/Ulrich_Blumenbach