Augen zu und durch? Die NRW-SPD trägt ganz schön dick auf.

Augen zu und durch? Die NRW-SPD trägt ganz schön dick auf. Die SPD in NRW hat's aber auch nicht einfach, nachdem sie es aber drei Jahrzehnte lang in Folge relativ einfach gehabt hatte. Jetzt fallen mir einfache bunte Worte auf Wahlplakaten in die Augen, Worte, die deutlich zu fett wirken.

Was muss man machen, um in Nordrhein-Westfalen an die Macht zu kommen? NRW ist mit fast 18 Millionen Einwohnern das weitaus bevölkerungsreichste Bundesland, beherbergt mit dem Ruhrgebiet den größten Ballungsraum der Bundesrepublik – und damit auch das wirtschaftlich größte Problemkind. Eine politische Rezeptur, die zu diesem Land passt, ist schwer zu mixen.

Fast 40 Jahre lang, von 1966 bis 2005, stellte in NRW die SPD den Ministerpräsidenten. Angefangen bei Heinz Kühn, der ab 1966 zwölf Jahre lang amtierte, über Johannes Rau, der es auf sagenhafte zwanzig Jahre Regierungszeit brachte, bis hin zu Wolfgang Clement (1998-2002) endete die SPD-Herrschaft schließlich 2005 mit Peer Steinbrück. Das waren über drei Jahrzehnte beispielloser Kontinuität und vier Jahrzehnte politischen Filzes, in dem man sich leicht verheddern konnte.

Multifunktions-Werkzeug NRW-CDU
Die CDU mit Jürgen Rüttgers als Ministerpräsident hat diese Herrschaft gebrochen. Zu einem Zeitpunkt, als die SPD an ihrer eigenen (Führungs-)Schwäche krankte. Seit fünf Jahren hat die CDU nach Lösungen für die schwierige Aufgabe gesucht, dieses Land zu regieren, indem sie sich wie ein multifunktionales Leatherman-Tool gebärdet hat, um alle Wählerstimmen, derer sie habhaft werden konnte, zusammenzukratzen. Fast schon symbolisch gipfelte diese Suche in dem Sponsoring-Skandal um die Gespräche mit dem Ministerpräsidenten gegen Bezahlung und die Entlassung des Generalsekretärs Hendrik Wüst.

Personal Branding: Die Kunst, einen Menschen zum Markenartikel zu machen
Die SPD-Ministerpräsitentinnen-Anwärterin Hannelore Kraft hat die kräftezehrende Aufgabe, nach Clement als vollständig gescheitertem Rau-Kronprinzen und nach Steinbrück, der damals vor seiner Zeit als Bundesfinanzminister zu unbekannt gewesen war, wieder einen SPD-Markenartikel, eine „Personal Brand“, in die Köpfe der Wähler zu hämmern. Marken als wirkungsvolles Instrument im klassischen Marketing geniessen einen hohen Bekanntheitsgrad und zeichnen sich dadurch aus, dass man weiß, was man an der Marke hat. Sie ist qualitätskontrolliert, hat streng definierte Eigenschaften und steht allgemein für ein Höchstmaß an Verlässlichkeit und Einschätzbarkeit. Aber Hannelore Kraft ist noch zu unbekannt, noch steht sie für zu wenig. Deshalb findet man auf den aktuellen SPD-Großflächen-Plakaten – neben den Konterfeis von CDU-Rüttgers und FDP-Pinkwart auf deren Wahl-Plakaten – nicht Hannelore Kraft sondern allgemeine Themen, repräsentiert durch werblich anmutende Fotos und verfettete Schlagworte.

Vertrauen klingt gut, Wissen ist konkreter
So lese ich auf einem Plakat, als ich in Gelsenkirchen, einer Hochburg der Arbeitslosigkeit und sozialen Dissonanzen, unterwegs bin, den Begriff „Vertrauen“. Wer vertraut, muß an etwas glauben. Wer glaubt, hat zu wenig Informationen, um wirklich etwas zu wissen. Vielleicht, weil man es ihm nicht gesagt hat und weil die wenigsten Politiker sich klar positionieren – aus Angst irgend jemandem vor den Kopf zu stoßen. Politisch kommen diese diffusen Allerweltsaussagen einem Offenbarungseid gleich, das liegt aber im Trend. Keine so genannte Volkspartei darf noch klare Worte reden, das könnte ganze Zielgruppensegmente vergraulen oder zumindest Teilzielgruppen verschrecken. Die Bundes-SPD hatte sich unter Gerhard Schröder dazu durchgerungen, dringend notwendige Reformen anzugehen, hatte sich aber als soziale Partei dadurch selbst demontiert. In NRW war die SPD immer eine eindeutig soziale Alternative zur CDU gewesen. Das hatte sie ausgemacht und die Partei fest in der Wählerschaft verankert, bis die SPD durch die Konzepte der Bundespolitik ihr Sozialprofil verloren hatte und die CDU es sich geschickt wie ein ergänzbares Modul marketingmäßig selbst hinzufügte.

Verfettete Schlagzeilen: Wähl‘ mich oder ich hau‘ Dich
Was mich an den aktuelle SPD-Plakaten stört, ist, dass die Schlagworte zu fett gesetzt sind. Etwas weniger fett wäre deutlich glaubwürdiger gewesen und hätte vielleicht sogar für mehr Vertrauen gesorgt. Während die Linke und die FDP ihre Aussagen immer mehr radikalisiert und dadurch hinzugewonnen haben, während die Grünen das Ausgleichend-Konservative der Sozialdemokratie übernommen haben und immer mehr in Verlässlichkeit erstarren, sodass sie des öfteren als mögliche Koalitionspartner für die CDU gehandelt werden, ist die SPD immer noch auf der Suche nach an die Wähler verkäuflichen Inhalten – und auf der Suche nach sich selbst; denn jede Partei muß auch in Abgrenzung zu den politischen Konkurrenz-Parteien klar für etwas stehen, sonst ist sie für den Wähler nicht mehr wahrnehmbar.

Trikolore des Erfolgs: Trauen, Vertrauen, Zutrauen
Das zu fette Wort „Vertrauen“ will etwas übertünchen, zeugt auch von einem Minderwertigkeitskomplex, so als hätte ein normaler Mann sich per Body-Building lächerlich dicke Muskelpakete zugelegt, die nicht zu ihm passen. Das zu fette Wort sagt der eigenen Partei SPD, das sie selbst sich nicht traut, sich nicht vertraut, sich nichts zutraut. Sie ist zu richtungslos und zu zersplittert. Ein kleineres, weniger fett gesetztes Wort wäre ehrlicher gewesen.

Großflächenplakate ohne Kopf
Vermutlich wird ein Wahlkampf-Stratege der Partei und ihrer Kandidatin gesagt haben, dass sie noch zu unbekannt sei, um mit ihrem Personenfoto auf den Großflächenplakaten gegen das des bekannteren amtierenden Jürgen Rüttgers anzutreten. Um dem direkten Vergleich auszuweichen, hat man den Weg der weichgespülten Standardwerbung beschritten, die Imageaussagen anstelle der zu wählenden Person bringt, die eigentlich für etwas stehen sollte. Politiker funktionieren inzwischen im Prinzip wie Stars aus Musik, Film und Showbusiness, alles läuft über Personen. Und hier offenbart sich das nächste Manko der SPD: Entweder hat sie keine zugkräftigen Namen oder der zugkräftige Namen funktioniert nicht, wie bei Wolfgang Clement, Peer Steinbrück, Matthias Platzeck oder früher Oskar Lafontaine. Wer keine Gesichter bringen kann, bringt großspurige Worte. Im SPD-Wahlkampf sind dies Austauschbarkeits-Begriffe, die alles und nichts aussagen. An Hannelore Kraft ist es jetzt, für etwas zu stehen, ganz konkret und klar und ohne Wenn und Aber. In der Hartz-IV-Debatte hat sie bereits Position bezogen. Demnächst könnte sie weniger fette Begriffe bringen, weil der Wähler etwas mit ihnen verbinden kann. Und dann wird er auch wissen, wer Hannelore Kraft ist.

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