"Der Buchleser", 1936 von Ernst barlach geschaffen.

"Der Buchleser", 1936 von Ernst barlach geschaffen.

Immer kultiger wird Apple, immer größer die mediale Aufmerksamkeit. Ehrfürchtig werden Produktneuvorstellungen herbei gehofft. Was Jobs anpackt, wird zu Gold. Erstmals findet der Hype ohne mich statt.

Als ein nicht im Geringsten an Fussball Interessierter habe ich bei die ganze Nation in Atem haltenden Fussballgroßereignissen immer ein etwas schales Gefühl. Ich bin nicht dabei, gehöre nicht dazu.

Ein weiterer Schritt, nur ein Schritt

Heuer setzt dies Gefühl erstmals bei der Ankündigung eines weiteren Evolutionsschritts der elektronischen Datenverarbeitung ein. Steve Jobs kündigt ein Gerät an, und es interessiert mich nicht. Aber die Medien sind über Tage voll davon. Freunde rufen an, um darüber zu reden. Über einen elektronischen Reader, der größer, bunter und stromfressender ist als die überflüssigen elektronischen Reader, die man schon kennt.

Ich mag Bücher. Man kann sie knicken, mit Eselsohren verschandeln und vor allem in die Tasche schmeißen und die Tasche selbst schmeißen, ohne dass sich die Buchstaben gleich ins Daten-Nirwana verflüchtigen. Ein einmal liegen gelassenes oder verliehenes Exemplar tut nicht weh. Hat ja kaum was gekostet.

Mit elektronischen Lesegeräten wird alles anders. Man muss darauf achtgeben. Es schmiegt sich in der Jackentasche nicht gefällig an den Schwung des eigenen Oberkörpers. Es ist zerbrechlich. Es will regelmäßig mit Strom gefüttert werden, wie jene überflüssigen Tamagotchis im Jahr 1997. Das Verleihen der Inhalte führt direkt in die Kriminalität. Es ist so teuer, dass man während einer Bahnfahrt sicherheitshalber mit ihm aufs Klo geht.

Kaum zu glauben, was es kann

Dafür kann es, zumal in der aktuellen, bzw. zukünftigen iPad-Ausprägung, allerhand. Internetseiten anzeigen zum Beispiel. Aber ohne Flash, also doch wieder irgendwie nicht, bedenkt man den Verbreitungsgrad von Flash-Animationen im Netz. Viele Seiten werden ohne Flash-Implementierung schlicht unsichtbar.

Es kann Videos in Artikeln anzeigen. Videos? Gibt’s im Netz doch schon lange?

Man kann damit Texte tippen. Kaum ein sensationelles Feature.

Wie schon beim iPhone sollten Apps das Gerät aufpeppen. Apps werden nur über den Apple-Shop downloadbar sein, was das Ende von Open Source bedeutet. Open Source war aber in den letzen Jahrzehnten eine wichtige Voraussetzung für Demokratisierung und Proletarisierung des Word Wide Web. Dafür also, dass sich heute jeder das Internet leisten kann.

Lizenzpolitik

Apple mag in Sachen Userbillity einen Vorsprung vor Microsoft haben. Moralisch unterscheidet es sich nicht, es sei denn in der durch Größe und Markmacht skalierten Rücksichtslosigkeit Geschäftspartnern und Kunden gegenüber. Apple ist ein auf Gewinnmaximierung ausgerichteter kapitalistischer Betrieb. Ihn Lieb zu haben mag dem innigen Wunsch vieler Menschen entsprechen, mit der digitalen Revolution Eins zu werden. Vernünftig ist es nicht.

Kommt mit Lizenzpolitik (gegen die Verlage) und Featurearroganz (gegen die Konkurrenz, letztlich gegen die Kunden) zu viel des kapitalistischen Charakters Apples, also des eigentlichen Geschäftszwecks, zum Vorschein, könnte sich die Stimmung gegen Apple wenden. Dann könnte es eines Tages uncool sein, mit sichtbaren Apple-Logos über den Boulevard zu schlendern.

Bargeld lacht

Als positiv könnte sich ergeben, dass Apple uns User lehrt, digitale Produkte im Netz zu bezahlen. Eine ausreichende Gewöhnung an diesen Gedanken könnte das Netz für neue Geschäftsfelder öffnen und wäre ein Gewinn für alle.

Dieser letze, tröstliche Gedanke reicht aus, mich vorerst mit dem Neuen von Apple zu versöhnen. Haben will ich ihn trotzdem nicht. Warum nicht?

Weil Jobs Gerät mein Leben auf sensationelle, aber ungebetene Weise beschleunigt. Wenn ich abends um 23:00 schnell mal einen Blick in die Washington Post werfen will, kann ich es mit Hilfe des iPad in Sekundenschnelle tun. Doch wann hatte ich jemals in der Vergangenheit nachts um 23:00 das Bedürfnis die Washington Post zu studieren? Noch nicht einmal – so fern pulsierender Aktualität lebe ich – zu irgendeiner andern Uhrzeit. Tatsächlich ist es so, dass ich mich um 23:00 entschleunigen will, dass ich runterkommen muss. Bei einem guten Buch zum Beispiel. Einem, dem auch ein paar Rotweinflecken nichts anhaben können.

Links zu Beiträgen zum Thema „iPad“ auf Endoplast:
Artikel über einige technische Grundlagen des iPad
Artikel über das iPad als Musthave-Accessoire
Artikel zum iPad und dem Verlagswesen
Artikel zur erstmaligen Vorstellung des iPad
Grundsatzartikel zu Apple und dem Tablet-PC
Video zum wahren Kern des iPad
Video zur Vorstellung des iPad in San Francisco