Das schmeichelt der Eitelkeit: Sympathie- und Hoffnungsträger Oskar Lafontaine gibt in Essen als Polit-Star auch mal Autogramme.

Das schmeichelt der Eitelkeit: Sympathie- und Hoffnungsträger Oskar Lafontaine gibt in Essen als Polit-Star auch mal Autogramme (Foto: Claus Szczendzina).

17. April 2010. Kandidaten von „Die Linke“ aus Essen stellen ihre Politik dar. Dann kommt Oskar Lafontaine. Er sagt nichts anderes als das, was sie vorher gesagt haben, das aber verkäuferisch professionell aufbereitet. Und plötzlich scheinen die Leute mehr zu verstehen. Vielleicht liegt es aber auch nur am Promi-Faktor.

Wahlwerbung: Der Prophet hat gerufen und die Jünger pilgern.

Wahlwerbung: Der Prophet hat gerufen und die Jünger pilgern (Foto: Claus Szczendzina).

Popstars, Revuen, Zirkusse und Poltiker gehen auf Tournee durch das Land
Bei Musikkonzerten gibt es eine Vorgruppe, die das Publikum locker macht. Bei Politveranstaltungen, auf denen prominente Politiker die Zugpferde sind, heizen die Lokalpolitiker vorher ein, bis die Spannung steigt und alle auf den Hauptredner warten. Worauf genau warten sie eigentlich? Gibt der Plakatierte etwas von sich, was andere nicht schon längst gesagt hätten? Er fasst, offenbar beseelt von unbeirrbarer Selbstsicherheit, das zusammen, was das Publikum hören will. Heutzutage mag sich die eine oder andere Negativbotschaft mit einschleichen, wenn, dann aber verklausuliert. Vielmehr ist „Zuversicht“ bei Wahlveranstaltungen das Gebot der Stunde. Wenn es bei Rockkonzerten mal eine Zugabe gibt und vielleicht sogar ein Lied aus dem Konzert nochmal gespielt wird, weil das alle wollen, so ist das bei Wahlveranstaltungen anders: Es werden sowieso zentrale Botschaften ständig wiederholt. Ein geschickter Redner macht das aber so, dass es nicht weiter auffällt.

Der Wähler-Flüsterer:

Der Wähler-Flüsterer: Oskar Lafontaine mit Direktkandidatenaus Essen für die Landtagswahl in NRW. Von links nach rechts: Ismail Soy, Wolfgang Freye, Holger Vermeer und Laura Wollny.

Die Wahlkampfstädte Recklinghausen und Essen
Wir hatten am 16. April von der „Die Linke“-Wahlveranstaltung in der Kreisstadt Recklinghausen mit Gregor Gysi berichtet. Recklinghausen im Ruhrgebiet ist mit etwa 120.000 Einwohnern beileibe keine kleine Stadt, aber eine wirtschaftlich gebeutelte. Mit Essen verglichen, wo nun Oskar Lafontaine auftrat, ergeben sich aber doch Unterschiede. Essen, die Dienstleistungs-Stadt, die Konzernstadt, mit „RWE“, „EON Ruhrgas“, mit „Evonik“, ehemals „RAG/Ruhrkohhle“ und dem Kraftwerksbauer „Steag“ die europäische Energiehauptstadt, außerdem zusammen mit dem Ruhrgebiet „Kulturhauptstadt 2010“. Sie ist mit rund 580.000 Einwohnern eine der großen Städte Deutschlands.

Schicksal und Chance: Der Redener im Zentrum der (Medien-)Öffentlichkeit.

Schicksal und Chance: Der Redener im Zentrum der (Medien-)Öffentlichkeit (Foto: Claus Szczendzina).

Ein Location-Name als Programm: „Willy-Brandt-Platz“
Während die Bühne in Recklinghausen größer wirkte als die Essener, war der Marktplatz in der Recklinghäuser Altstadt, zumal genutzt von vielen Cafés, bei Gysi gut gefüllt. Auf dem vergleichsweise weitläufigen Willy-Brandt-Platz in der Essener Innenstadt, direkt vor dem Hauptbahnhof und sozusagen als Fußgänger-Einflugschneise zur Innenstadt, verliefen sich die Leute etwas. Dafür der Name: „Willy Brandt Platz“ – etwas worauf sich Oskar Lafontaine öfters in seiner Rede beziehen konnte.

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Rhetorik als Maß der Dinge: Oskar Lafontaine vollführt einen Seiltanz zwischen pragmatischer Politik und die Zuhörer aktivierender Rede.

Eines der Zugpferde für „Die Linke“: Gregor Gysi
Prominente Politiker touren in Wahlkampfzeiten von einem Termin zum nächsten und halten ihre Reden, die sie weit über das Maß des Auswendiglernens hinaus verinnerlicht haben. Hier ist jeder gute Redner und Rhetoriker gefragt. Gysi ist begnadet, hat eine sehr prägnante Stimme und muß sich offenbar kaum anstrengen – er ist ein lockerer und pointierter Redner.

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Emotionen im Dienste der Überzeugungsarbeit: Der Wähler glaubt dem, der authentisch wirkt.

Lafontaine: Zwischen Autogramm und Redereise
Anders Lafointaine. Der hatte Samstag morgens einen Wahlkampftermin in Bochum, der Opel-Stadt, dann kam er nachmittags nach Essen. Seine Stimme war bereits rauh vom vielen Reden. So ist das im Polit-Zirkus mit dem Politiker als Medienstar: Da wollen Hände geschüttelt werden, die Parteikollegen wollen am Rande einer Parteiveranstaltung ein gemeinsames Foto. In Essen waren Autogramme zu geben, manche Leute wollen Lafontaine berühren. Er muß umringt von Bodyguards freundlich aber bestimmt sagen: „Nicht anfassen.“ Es geht zur Bühne. Ganz vorne stehen Menschen mit Fotohandys, Fotokameras und der einen oder anderen Videokamera. Ein Politiker spürt instinktiv, wo die Kameras stehen, wendet sich immer wieder dort hin. Kameras, das sind mediale Multiplikatoren. Im Alltag nerven sie wie Fliegenschwärme, zum Politiker-Alltag gehört das mit dazu. Lafontaine stellt sich nicht hinter das schicke Rednerpult. Er steht nach einer spontanen Entscheidung frei vor dem Mikro, in das vorher die Bluessängerin gesungen hat.

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Die große Geste als Instrument: Oskar Lafontaine hebt rhetorisch ab.

Appell gegen die Wahlmüdigkeit
Er leitet seine Rede mit einem Appell ein: Man solle unbedingt wählen gehen. Auch wenn „Die Linke“ keine Regierungspartei ist, jede Stimme zähle auf dem Weg etwas zu verändern. Dann spult er in einer Rede, die dennoch persönlich wirkt, sehr gestenreich sein Politprogramm ab. Als ein Zwischenrufer fordert, die Konzerne zu enteignen, dreht Lafontaine die Aussage im Sinne eines noch dramatischeren Effektes: Nicht „Die Linke“ wolle enteignen sondern alle anderen politischen Parteien, indem die nämlich die kleinen Leute schröpften und praktisch enteigneten. Darum geht es im Polit-Talk mit dem Publikum: Nicht um die feine Zieselierung, nicht um das Klein-Klein der Argumente. Es geht darum, die Komplexität der alltäglichen Politik verständlich zu machen. Es geht um Vereinfachung unter dem Gesichtspunkt der Glaubwürdigkeit. Lafontaine kann das. Aber er muß sich mehr anstrengen als Gysi. Was seine Stimme nicht mehr hergibt, das gleicht er mit Gesten aus. Oft streckt er die Arme weit von sich, hebt sie weit über den Kopf nach oben. Es wirkt, als wolle er alle Zuhörer in eine große, imaginäre Familie mit einschließen und die zu sich auf die Bühne holen. Während Gysi hinter seinem Rednerpult stand und sich wie ein schweizer Uhrwerk im Rhythmus seiner Worte immer wieder im Halbkreis den Zuhörern links, vorne und rechts zuwandte und dann wieder zurück, um jedem das Gefühl zu geben, er spräche ihn persönlich an, bewältigt Lafontaine diesen Bewegungs-Marathon, der für eine Politprofi dazugehört, weniger aktiv. Anstatt dessen die großen Gesten.

Kein Ort der leisen Töne: Das Wahlkampfgeschehen verlangt nach Deutlichkeit.

Kein Ort der leisen Töne: Das Wahlkampfgeschehen verlangt nach Deutlichkeit.

Kontrastierend: Eine Partei gegen alle anderen
Im Laufe solcher Polit-Reden merkt man, wie ein Redner den Zuhörer für sich einzunehmen vermag. Gysi schafft das durch ein der Aussage immanentes Augenzwingern, Lafontaine, der auch mal Vorsitzender der SPD gewesen war, ist ein Politiker mit langer Geschichte, man kann ihn verorten, er steht für viele in Deutschland deutlich wahrnehmbar für etwas. Für eine bessere SPD aber auch für den Wankelmut in der Politik. Jedenfalls bleibt er unter all den Politikern der Parteien ein Hoffnungsträger mit Persönlichkeit – und auch mit Schattenseiten. Die Menschen, die gekommen sind, um ihn zu sehen, sind sehr durchmischt: Eine breite Spreizung der Altersklassen, offenbar viele Menschen mit wenig Geld, viele so genannte „einfache Leute“. Auf sie bezieht er sich in seiner Rede, kontrastiert das gesamte andere Parteienspektrum als einen Block, gegen den „die kleinen Leute“ anwählen müssten, wenn sie ein Chance auf Bildung, auf günstige Energie und auf einen finanziell ausgeglichenen Lebensabend haben wollten. Die Abstrahierung, alle anderen vier Parteien „im Fünf-Parteien-System“ zu einem Negativblock zusammenzufassen, ist kühn und leitet sich aus dem Aufbegehren der jüngsten Partei mit bundesweiter Strahlkraft ab. Die anderen Parteien machen das Lafontaine aber auch leicht und dem Wähler schwer. Man gewinnt manchmal den Eindruck, die heutige Politik profiliere und überbiete sich vor allem durch Negativ-Schlagzeilen – Medienschicksal und ein gefundenes Fressen für „Die Linke“ zugleich.

Primat der Deutlichkeit: Auf Wahlkampfveranstaltungen zählen die einfachen Wahrheiten.

Primat der Deutlichkeit: Auf Wahlkampfveranstaltungen zählen die einfachen Wahrheiten.

Zwischen Pragmatismus und Aktivierung
Auffällig ist, dass „Die Linke“ durchaus nicht die Horror-Szenarien aposthrophiert, die man demagogisch ausschöpfen könnte. Der Ton ist kämpferisch, es wird die eine oder andere verbale Karikatur der Gegenseite gezeichnet und viel mit Polemik gearbeitet. Aber insgesamt ist der Ton nicht schrill oder überzogen. „Die Linke“ will Argumente bringen, will ihre Nische nutzen. Sie will aber auch niemanden verprellen. Eine Gradwanderung: Gysi sagte in Recklinghausen, er wolle ein Bildungssystem, in dem der Professor seinen Kindern die gebührende Bildung zukommen lassen könne, im Zuge der Chancengleichheit aber auch der „Hartz-IV“-Empfänger. Oder er wolle ein Renten-System, in das jeder einzahlen solle – auch der Beamte, auch der Bundestagsabgeordnete – aber von dem im Gegenzug auch jeder profitieren solle. Lafontaine lädt angesichts der massiven Stellenstreichungen im öffentlichen Dienst durch die Landesregierung sogar „die Polizeibeamten“ ein, Teil von „Die Linke“ zu werden. Auf der Ebene der großen Politik, herrscht König „Pragmatismus“, man nimmt, was – oder wen – man kriegen kann.

Tag der großen Gestern: Oskar Lafontains Körpersprache beschwört die Zuhörer.

Tag der großen Gestern: Oskar Lafontains Körpersprache beschwört die Zuhörer.

Strukturelle Defizite der Partei „Die Linke“
„Die Linke“ ist gerade im Westen Deutschlands schnell gewachsen und deshalb strukturell unterversorgt. Das heißt, vieles vor Ort, vor allem die personelle Unterfütterung der Partei, läßt zu wünschen übrig. Betroffenheit alleine ist eine starke Kraft, die aber auf der langen Strecke der politischen Arbeit nicht ausreicht. Inzwischen haben viele linke SPDler ihre Partei verlassen und sind in „Die Linke“ eingetreten. Ihr Know-how stabilisiert die neue Partei. Das ist fast so, als hätte die SPD ihren linken Flügel outgessourcet.

Lafontaine verbreitet sich in seiner Rede über die „Möwenpick-Partei“ FDP und geht danach ins Möwenpick-Restaurant etwas essen – die üblichen unauflösbaren Widersprüche in der Politik.

Lafontaine verbreitet sich in seiner Rede über die „Möwenpick-Partei“ FDP und geht danach ins Möwenpick-Restaurant etwas essen – die üblichen unauflösbaren Widersprüche in der Politik.

Jenseits des Wahlprogramms: Vereinfachende Reden erklären Polit-Komplexität
Kein Mensch liesst mehr umfangreiche Wahlprogramme. Die wahlmüden Wähler wollen in Talkshows und auf Polit-Veranstaltungen die Politiker persönlich hören, um sie einschätzen zu können. Die sind Kommunikationsprofis, die nichts anderes tun, als Inhalte auf das Wesentliche zu reduzieren und diese mit ein paar unterhaltsamen Bestandteilen zu unterfüttern – eine Eigenschaft, die im übrigen jeden guten Redner und Geschichtenerzähler auszeichnet. Wer am Lagerfeuer im Urlaub zu vorgerückter Stunde eine Geschichte erzählen kann, die alt und jung verstummen läßt und zum Zuhören bewegt, der sollte sich überlegen, ob er einen Platz in der Politik finden kann. Wenn diese Geschichten zudem viel mit der Lebenswirklichkeit der Zuhörer zu tun haben, bringen sie sie auch noch zum Nachdenken. Lafontaine hat gestern in Essen als Meister der anschaulichen Rede seinen Job gemacht. Die Tour der „Überzeugungs-Täter“ geht weiter. Obwohl man vermutet hatte, Lafontaine würde kürzer treten, kann „Die Linke“ im Wahlkampf – zumal im größten und bevölkerungsreichsten Bundesland mit großen Struktur-Problemen und vielen „Hartz-IV“-Empfängern – auf das Zugpferd „Lafontaine“ nicht verzichten.

Oskar Lafontaine, der Wahlkämpfer: Nah am potenziellen Wähler dran (Foto: Claus Szczendzina).

Oskar Lafontaine, der Wahlkämpfer: Nah am potenziellen Wähler dran (Foto: Claus Szczendzina).

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