Können Unternehmen Teufel sein?

Sascha Lobo, der in Deutschland so etwas wie das personifizierte Web auf zwei analogen Beinen ist, hat einen Artikel bei „Spiegel online“ veröffentlicht. Er heißt, vielleicht in Anlehnung an einen deutschen Heimatfilm, „Dreh um, Google“. Jetzt kommt mir der Gedanke, dass „Google“ ein Hund auf einer bayrischen Alm sein könnte, der der Lawine entgegen geradewegs ins Verderben laufen würde, wenn nicht Sascha, der 12jährige Sohn des Bauern, ihn in letzter Minute zurückpfeifen würde.

Fernab solcher Gedankensprünge geht es hier aber um etwas Anderes, um etwas viel Ernsteres: Sascha Lobo will die Webbude Google zurückpfeifen. Ob das klappen wird? Wird Google auf ihn hören? Sascha Lobo möchte, dass Google wieder gut wird. Er sagt dass Google von alten Werten des Gutseins abgerückt sei, dass ungefähr, nachdem CEO Erik Schmidt die Leitung des Unternehmens nach einer beispiellosen Erfolgsgeschichte wieder an Larry Page, einen der beiden Gründer, zurückgegeben hatte, das Böse um sich gegriffen habe.

Trivialgeschichten: Gutsein als Märchen

Kein Wort davon, dass Google lange vorher mit orwellmäßigen Technologien zu seinem Erfolg gekommen ist, dass es fast schlimmer als ein Geheimdienst Daten in nie gekanntem Umfang sammelt, ohne die Nutzer zu fragen. Lobo geht auch nicht auf StreetView ein. Da ist ihm sogar die Bildzeitung dieser Tage voraus, die fragt, was eigentlich alle wissen wollen: „Was weiß Google alles über mich?“ Diese Frage gilt aber nicht erst seit 2011. Sascha Lobos implizierte Frage hat wie die Suche nach der heilen Welt etwas märchenhaft Versponnenes, so nach dem Motto: „Warum bist Du so böse, Wolf?“

Die Google-Coups: Google+ und Motorola

Die Ereignisse innerhalb des Technologie-Businesses in den letzten Monaten haben sich zugespitzt, wie man es selten erlebt hat. Im Zentrum dieses digital-virtuellen Medien-Technologie-Tsunamis mit ganz realen Wurzeln in der Wirklichkeit stand Google. Das Unternehmen hat zuletzt den großen und vor allem traditionsreichen und damit patentschweren Mobilfunkhersteller Motorola gekauft. Kurz vorher, am 28. Juni 2011, war das neue soziale Netzwerk Google+ an den Start gegangen und bot damit Marktführer Facebook die hohe Stirn. Aber seit längerem schwelte ein ganz anderer Konflikt.

Die Apple-Klagewelle schwappt über

Apple hatte die Schnauze voll davon, dass alle Welt seine Technologie- und Design-Ideen klaut und verklagte den koreanischen Riesenkonzern Samsung. Das iUnternehmen konnte sogar erreichen, dass Samsung ein kurzzeitiges europaweites Vertriebsverbot für seinen Galaxy-Tablet-PC auferlegt wurde, das inzwischen wieder aufgehoben ist und nur noch in Deutschland besteht. Apple ist in Klagelaune. Ein Konsortium bestehend aus den Technologie-Milliardären Apple, Microsoft und Oracle hat Klage eingereicht, weil Googles extrem erfolgreiches Betriebssystem für Mobil-Devices, Android, teils auf Patenten und geistigem Eigentum beruhen soll, das anderen gehört. Seltsamer Zufall, dass Samsung ausgerechnet mit die beste und eleganteste Hardware zum Android-Betriebssystem liefert, die zugegebenermaßen sehr Apple-like ist. Die Smartphones Galaxy S-I und S-II sind ambitioniert, die entsprechende Tablet-PC-Reihe war die erste ernstzunehmende Konkurrenz zu Apples iPad gewesen. Das grafische Interface eigentlich aller Smartphones ist dabei eine direkte Kopie von Apples iPhone-Benutzer-Schnittstellen-Design.

6.000 Patente: Kampf um die Nortel-Insolvenzmasse

Vor diesem Hintergrund ist auch der Kampf um den Kauf der ehemaligen Nortel-Insolvenzmasse Anfang Juli diesen Jahres zu sehen. Google hatte schon 900 Millionen US-Dollar geboten und das Ok der Kartellbehörde für den Kauf erhalten, als ein Konsortium, das sich um den Computer- und Unterhaltungs-Elektronik-Konzern Apple gruppiert hatte, eingriff. Es bestand aus Betriebssystem- und Anwendungs-Softwareentwickler Microsoft, Unterhaltungs-Elektroniker Sony, Netzwerkausrüster Ericsson, Blackberrys RIM und Speicherhersteller EMC. Dabei ging es vor allem um rund 6.000 Mobilfunk-Patente, die sich in der Insolvenzmasse befanden und die sich das Konsortium in einer Auktion für 4,5 Milliarden Dollar sicherte. Google war an diesen Patenten interessiert, weil zur Zeit diverse Patentklagen gegen das Android-Betriebssystem anhängig sind und die Patente in der Schlacht vor Gericht geholfen hätten. Auch beim Kauf von Motorola für sage und schreibe 12,5 Milliarden Dollar spielen die Motorola-Patente eine Rolle.

Was sagt die Suchmaschine zu den Patentstreitereien?

Den Irrsinn der Klagelawine, mit der sich die Mobilfunkbranche überzieht, merkt man ein bisschen, wenn man „Apple kauft Patente“ googelt. Man findet hintereinander folgende irrwitzige Überschriften in der Suchmaschine: „Android-Klage: Oracle soll Beweise gefälscht haben“; „Android-Klage: Microsoft soll Patente missbrauchen“; „Google antwortet auf Oracles Android-Klage“; „Motorola erwägt trotz Microsofts Android-Klage Einsatz von Windows“; „Neue Android-Klage: Jetzt Microsoft gegen Motorola“; „Android-Klage bringt Google in Bedrängnis“; „Google antwortet auf Oracles Android-Klage“; „Apple gegen Google Android – Klage gegen Samsungs Galaxy Reihe“; „Android-Klage: Microsoft soll Patente missbrauchen.“ Was sagt uns das? Jeder gegen jeden? Alle gegen einen? Nämlich gegen Google? Beides ist richtig.

Apple und Microsoft: Brüder im Geiste

Betrachtet man einen Augenblick lang den Werdegang Apples, wird einiges klarer. Als Microsoft, der ehemals alles beherrschende Monopolist auf dem Markt der Betriebssysteme für PCs gewesen war, war Apple der einzige verbliebene Widersacher. Ein kleiner zwar, der in einer Nische lebte und auch von den Umsätzen her nicht wirklich gefährlich war, aber einer, der über Jahre ein eigenes innovatives Betriebssystem mit Vorbildcharakter entwickelte, das lange Jahre dem des Marktführers überlegen war. Bis Microsoft sich vieles für sein Windows von Apple abguckte und mit WindowsXP etwas schuf, gegen das Apple nicht mehr eindeutig besser wirkte. Apple sollte den Weg des eleganteren und design- und ergonomiemäßig besseren Betriebssystems gehen. Dann kam die Zeit des Internets und der komplexeren Mobilfunktechnik und neuen Technologien. Apple erfand sich neu: Die PC-Herstellung mit stationärem Betriebssystem war immer noch erfolgreich, doch der PC in Form von iMac und iBook wurde zum Lifestyleprodukt.

Gut und Böse singen gemeinsam den Techno-Blues

Microsoft blieb noch mächtig, doch wurde bezüglich seines Börsenwertes von Apple überholt. In 2011 ist Apple die wertvollste Marke (gefolgt von Google) und an der Börse das wertvollste Unternehmen der Welt geworden. Apple hat sich – genau wie Microsoft seinerzeit – eine eigene abgeschottete Parallelwelt aufgebaut, mit iGadgets, iTunes und AppStore sowie zwei eigenen Betriebssystemen, eins für den traditionellen Computerbereich und eines für die mobilen Applikationen. Der Aufstieg des zwischenzeitlich auch mal insolvenzgefährdeten Unternehmens vom PC-Business mit Spezialisierung auf Publishing-Technologien zum Elektronik-Mischkonzern erinnerte an den Aufstieg Microsofts in jenen Zeiten, als Microsoft als Bösewicht galt und Apple als der gute Gegenspieler, quasi der einzige, der der dunklen Macht Bill Gates’ Paroli bieten konnte. Steve Jobs wurde in diesen frühen Jahren kultisch verehrt, weil er nicht nachgab in seinem Ringen, das vermeintlich Böse zu besiegen.

Die Transformation von Apple

Apple ist das innovativste Unternehmen der letzten Jahre, hat mit jedem neuen Produkt die Märkte aufgerollt und produktmäßig modelliert. Und das Geschäftsgebahren wurde auch immer rüder. Noch ist das Image von Apple als Konzern bei der Käuferschaft hervorragend. Microsoft, das nicht mehr die Rolle spielt wie in der Vergangenheit, wirkte plötzlich neutraler und wird vielerorts nicht mehr als die Bedrohung wahrgenommen – eher wie ein ehemals gefährlicher Tiger ohne Krallen und Zähne. Und die Berichte mehren sich, dass Apple immer mehr zum Bösewicht mutiert ist, der arrogant und besserwisserisch von Klage zu Klage gegen die unliebsame Konkurrenz stolpert und seine Geschäftspartner verprellt.

Google betritt die Bühne

Auch Google stand am Anfang als höchst ehrenwertes Unternehmen da. Geschildert wurde es als Ansammlung genialischer Ingenieure, die nerdisch Technologien entwickelten, ohne genau zu bedenken, welche Konsequenzen diese haben würden – verrückte aber nicht gefährliche Wissenschaftler? Was für eine Verklärung der Wirklichkeit. Als die Suchmaschine groß und mächtig geworden war, diversifizierte Google. Erst war nicht ganz klar, was das alles sollte. Google schuf eine ganze Reihe kostenloser Dienste, die schon früh in der Cloud arbeiteten, also nicht stationär auf der Festplatte eines Computers im Büro oder zuhause sondern auf Servern im Internet. Dort betreibt Google zum Beispiel eine komplette Office-Suite, mit der man kostenlos im Internet das bearbeiten kann, wofür man sonst teuer Microsoft Office hätte kaufen müssen. Google schuf das revolutionäre „Google Docs“, mit dem man in Echtzeit zu mehreren Personen von jedem Punkt der Welt aus gemeinsam an Dokumenten arbeiten konnte.

Integrierte Dienste: Die nachhaltige Google-Strategie

Börsen-Analysten quittierten all diese Dienste als Investment, das nichts bringt, bis schließlich nach und nach die Konturen einer Strategie sichtbar wurden: Google hatte die Suchmaschine, die immer noch 80% aller Suchergebnisse weltweit lieferte. Google schuf mit „Google Mail“/„G-mail“ einen weltumspannenden Mail-Dienst und begann in mehreren Versuchen ein soziales Netzwerk zu etablieren, das mit dem Maildienst eine Synthese einging. Die sozialen Netzwerke „Wave“ und „Buzz“ waren nicht von Erfolg gekrönt. Doch nun, mit Google+, wendet sich das Blatt. Google+ ist das sich am schnellsten entwickelnde soziale Netzwerk aller Zeiten. Aufgrund der Verquickung mit Google Mail, das über 200 Millionen aktive Nutzer verfügt, waren innerhalb von 7 Wochen 30 Millionen Nutzer gewonnen. Staunend konnte man zusehen, wie Google plötzlich das soziale Netzwerk mit seinen Dienste koppelte. Die Fotoverwaltung in Google+ übernimmt die Google-Fotosoftware Picasa. Das Google-Video-Angebot „YouTube“ stellt Videos bereit. Die ersten Kontaktdaten aus Google+ werden aus Google Mail automatisch importiert. Standortangaben, die sich in die Postings von Google+ einbinden lassen, kommen von Google Maps. Alles gesteuert über eine zentrale Navigation, eingeloggt über ein zentrales Konto, das für all diese Dienste gilt. Und all das funktioniert ressourcenschonend in der Cloud. Wovon andere vollmundig reden, praktiziert Google seit Jahren und ist nun gut aufgestellt.

Google mobil: Die Zukunft des Webs

Doch das ist inzwischen der unbedeutendere Teil, den Google geschaffen hat. Denn Google hat parallel dazu „Android“, ein Betriebssystem für mobile Geräte, eingeführt. Außerdem „Chrome“, einen Webbrowser, der die Vorteile der Suchmaschine integriert hat. Und jüngst hat Google seine Vision endlich komplett Gestalt annehmen lassen: Das erste „Chromebook“ kam auf den Markt. Das ist ein Laptop, der nicht mehr mit einem traditionellen Betriebssystem funktioniert, sondern in erster Linie als Einloggstation in die Cloud, die dem Anwender bereitstellt, was er braucht. Die Vision: Bisherige, etwas schwerfällige PC-Arbeit mit all ihren Abstürzen und Updates wird ersetzt durch die Arbeit in einem Browser, der sich aus dem Netz alles lädt. Und dieses „alles“ wird dann kontrolliert von Google. Google hat mit der Konkretisierung dieser Vision einen Vorsprung erreicht. Selbst Apple, das jetzt Clouddienste eingeführt hat und in dem Bereich groß investiert, tut nicht mehr, als lediglich nachzuziehen.

Android und der Kampf in der Cloud

Das Mobil-Betriebssystem „Android“ ist unix-open-source-basiert und wird den Smartphone-Herstellern kostenlos zur Verfügung gestellt. Es überzeugt an Apple vorbei mit rasanten Zuwachsraten. 150 Millione mobile Devices gibt es, die unter Android laufen. Damit hat Google ebenfalls noch vor Apple eine Richtung für das mobile Internet entwickelt, die integraler Bestandteil seiner Web- und Clouddienste ist. Hier mögen wieder Google Mail oder Google+ als Anschauungsbeispiele dienen. Das oben erwähnte Google-Konto, das ich einmal mit einem Namen und einem Passwort für all die zahlreichen Dienste einrichte, pflanzt sich auch mobil fort: Die Fotos und Filme, die ich mit meinem Android-Smartphone fotografiere und aufnehme, können automatisiert zu Picasa und YouTube hochgeladen werden – ohne, dass ich jedesmal einen Finger dafür rühren muß. Den Upload erledigt das Handy intelligent im Hintergrund. Alle E-Mail-Kontakte, die ich in Google-Mail gespeichert habe, stehen mir automatisch auf meinem Handy zur Verfügung. Sie bilden auch die Grundlage meiner Kontakte in Google+. Es gibt ansonsten sowieso keinen gravierenden Unterschied mehr, ob ich im Büro sitze, zuhause am Computer oder mit dem Smartphone unterwegs bin. Natürlich ist der E-Mail-Verkehr synchronisiert.

Die angereicherte Suchmaschine

Informationsgigant Google hat synergetisch auch einige Dienste rund um seine Suchmaschine gruppiert: Goggle Alerts, Google News und Google Reader, die spezialisierte Blogsuche, Google Scholar, die Suche innerhalb wissenschftlicher Literatur, der Übersetzungsdienst in 124 Sprachen, der zumindest zur Verständnis-Unterstützung hilfreich ist, und damit zum ersten Mal in der Geschichte automatoisierter Übersetzungen brauchbare Ergebnisse liefert.

Werbung, wo Du gehst und stehst

„Google Offers“ macht dem Rabatt-Unternehmen Groupon mächtig Konkurrenz und jüngst hat Google „Dealmap“ erworben, ein Schnäppchenportal, das Kunden standortbezogen Produkte bietet. Für standortbezogene Dienste nutzt Google seinen Dienst „Google Maps“ und darauf aufsetzend den Ortungsdienst „Google Lattitude“, das seinem Nutzer verrät, wo sich seine Freunde aufhalten aber Google auch umgekehrt sagt, wo sich der Nutzer befindet. Diese Daten kann Google nutzen, um maßgeschneiderte Werbung anzubieten. Den potenziellen Kunden an seinem Standort abzuholen und ihm vor Ort Angebote zu machen, gilt als Zukunftsmarkt, für den die Mobilfunktechnik und die GPS-Technik die Basis sind. Koppeln kann Google diese Dienste mit seiner Produktsuche und anderen spezialisierten Diensten für den Onlinehandel der Unit „Google Commerce“.

Zielgruppengenaue Foltermethoden

Google ist wie der böse Onkel, der das kleine Kind mit Süssigkeiten lockt. Die Süssigkeiten sind die kostenlosen Dienste. Dafür wird der Anwender gläsern, das heißt Google kann, wenn er die Dienste nutzt, immer mehr über ihre Nutzer sagen. Da Google inzwischen bei der Anmeldung Echtnamen fordert und bei Kommerzdiensten wie „Adwords“ auch ein Geburtsdatum, weiß es viel zu viel. Google scannt alle E-Mails und ermittelt anhand der Terminologie in der Webkorrespondenz bestimmte Inhalte, zu denen es passende Werbung gruppiert, die in Echtzeit für jeden Nutzer individuell auf der Seite platziert wird. Google verfolgt das Surfen seiner Anwender zum Beispiel über Cookies oder das Setzen der +1-Klicks und lässt auch diese thematischen Bezüge in die Zielgenauigkeit der durch das Unternehmen verkauften Werbung einfließen. Google Inc. kontrolliert 80% der Online-Werbung. Während der Nutzer in der Suchmaschine nach Webseiten sucht, filtert Google seine Daten. Je mehr der User mit Google-Software macht, desto genauer wird er ausgespäht. Da frohlockt das Diktatorenherz. Vielleicht wird dazu korrespondierend zukünftig die zielgruppengenaue Foltermethode eingesetzt.

Mobilfunk-Schach: Wer hat die beste Strategie?

Man ahnt anhand dieses Kurzübersicht der Geschäftsfelder Googles, dass die Marktdurchdringung und die Ziele des Unternehmens beängstigend weltumspannend angelegt sind. Das erinnert an ein Schachspiel, bei dem man lange Zeit, während die Partie läuft, noch nicht versteht, warum das Gegenüber diese Züge macht – bis es zu spät ist. Man ist geschlagen, weil man die Strategie zu spät erkannt hat. Die Konkurrenz im Mobilfunkmarkt aber hat inzwischen Lunte gerochen.

Erzrivalen: Google und Facebook

Google wird bisher allenfalls von Facebook bedroht, das die Suchmaschine von Google durch sein eigenes Universum aushebelt und sich auch immer mehr vom Online-Werbekuchen abschneidet – weil Facebook das gleiche Geschäftsprinzip realisiert: Der Kunde gibt intime Auskünfte über sich, damit Facebook genauestens Werbung auf ihn zuschneiden oder seine Daten verkaufen kann. In vergangenen Zeiten hätte man das „Seelenhandel“ genannt. Da abzusehen war, dass Facebook Google den Rang als größte Website in naher Zukunft ablaufen könnte und die Tendenz sich verstärkt hatte, dass immer mehr Webseiten von Facebook aus besucht wurden – und tendenziell weniger von Googles Suchmaschine – hat Google nun zurückgeschlagen: Google+ ist kein Dienst an der Menschheit sondern eine Breitseite gegen den unliebsamen Konkurrenten am Werbemarkt.

Technikevolution: Welcher Dinosaurier stirbt zuerst?

Apple hat die Cloudentwicklung etwas verschlafen und nun den Vorsprung Googles erkannt. Es musste nicht mehr viel Zeit vergehen, damit Google alle seine Dienste zwischen Cloud, Mobilität und Desktop zusammenführte, um hochgradig aufeinander abgestimmte Lösungen zu bieten. Die zahlreichen Patentklagen, die nun in der Mobilfunkbranche toben und bei denen direkt oder indirekt Android das Angriffsziel ist, sind Ausdruck eines verbitterten Kampfes zwischen Dinosauriern, die alle wissen, das ein paar von ihnen sterben werden müssen, wenn sie sich nicht schnell genug anpassen. Keiner will der erste sein.

Moral, Philosophie, Religion: Technikboshaftigkeit einmal anders

Wenn es um das Überleben geht, gibt es kein „gut“ oder „böse“. Aus der ehemaligen moralisch erscheinenden Instanz „Apple“ wird ein erzkapitalistischer Konzern, der um sich schlägt. Aus Google, dem Unternehmen, dem man voller Naivität Gutes unterstellt hatte, ist der bisher ungeträumte Mega-Alptraum jeden Datenschützers geworden. Geträumt worden ist er bis dahin nur deshalb nicht, weil die Datensammelwut Googles weder mit Stasi noch mit einer Krake vergleichbar ist, sie ist technologisch schier unvorstellbar, sogar unträumbar. Wem angesichts der Sequenzierung des menschlichen Genoms sehr unwohl geworden ist, dem müsste – um im Bild zu bleiben – so richtig schlecht werden, wenn er sich vorstellen könnte, wieviel Google über 1,5 Milliarden Menschen auf der Welt weiß. Google zu unterstellen, es habe nichts Böses gewollt bis jetzt, ist die falsche Kategorie. Fernab religiöser Definitionen, moralischer Einordnungen und philosophischer Betrachtungen, was das Böse sei, tritt es praktischerweise nämlich immer dann auf, wenn sich Egoismus Bahn bricht. Das ist ebenfalls schwer denkbar, weil das Böse eher außerhalb, in Form eines Wesens wie des Teufels etwa, bequem zu betrachten wäre – weil es in dieser Vorstellungswelt nichts mit einem selbst zu tun hat. Spricht man über das Böse in einem Menschen selbst, muß der Mensch sich unter Umständen hinterfragen. Wie unbequem. Auch für Sascha Lobo.

Steve Jobs: Einstelliger oder zweistelliger Milliardär?

Egoismus dominiert den weniger egoistischen Menschen und wird von ihm als „das Böse“ empfunden. Dabei ist Egoismus andererseits der Treibstoff höchst erfolgreicher Unternehmen wie Apple, Google, Facebook oder Microsoft, die mit viel Energie ihre eigenen Kosmen konstruieren. Was man inzwischen über die Überheblichkeit und bedenklichen Geschäftsmethoden von Apple hört, ist dessen Megaerfolg geschuldet und erinnert bis ins Detail an das Microsoft vergangener Tage. Steve Jobs hat am eigenen Leib erfahren, was es heißt ausgebootet, rausgeschmissen und erfolglos zu sein. Gut, er ist nie in der Gosse gelandet. Es ging bei ihm eher darum, ob er ein einstelliger oder zweistelliger Milliardär sein würde. Aber die Geschehnisse um das Ende seiner ersten Apple-Phase, als er von John Sculley, dem CEO, den er selbst in den Konzern geholt hatte, hintergangen wurde, und sein gescheitertes NeXT-Projekt haben ihn lernen lassen, wie man ebenso rücksichtslos überlebt wie andere Egoisten. Gerade Großkonzerne müssen zutiefst egoistisch sein, sonst gehen sie unter. Das ist keine Entschuldigung oder Rechtfertigung, sondern die Beschreibung eines Grundprinzipes im unerbittlichen Überlebens-Mechanismus.

Cloud-Paranoia: Wer hat Angst vor wem?

Apple hat Angst, Nokia hat Angst, Sony hat Angst. Zusammen mit Microsoft haben alle die Angst, bald nicht mehr dort zu stehen, wo sie in der Business-Nahrungskette zur Zeit stehen. Alle haben viel zu verlieren. Wer Angst hat, betreibt zügellosen Egoismus. Google hat ein Zeichen gesetzt und für einen hohen Preis einen Mobilfunkriesen gekauft. Google wird Motorola in seinen Konzern integrieren und mobile Devices produzieren, die eine besondere Synthese mit der Google-Software eingehen werden. Google hat vor Facebook Angst. Aber im Moment hat vor allem Facebook vor Google Angst. Denn Google ist ein Konzern, der drauf und dran ist, ähnlich komplex konstruierte und aufeinander abgestimmte Gesamtlösungen zu formen, wie es sonst nur Apple kann, der augenblickliche Weltmeister vollintegrierter Businessmodelle. Angst ist aber nicht nur ein schlechter Ratgeber, der Böses gebiert, Angst ist auch im positiven Sinn ein Agressivitäts-Aphrodisiakum, das Märkte durcheinander wirbelt, wieder neu entstehen läßt und den Nährboden für Innovationen bereitet.

Fiktion „gut oder böse“

Google war nie gut, Apple war nie gut, Microsoft war nie böse – ganz oben angekommen folgten und folgen sie den Prinzipien eines ungehemmten Egoismus und erscheinen wie das Corporate Böse. Das zu erkennen würde Selbstreflexion voraussetzen, mit dem Erkenntnisgewinn, dass wir alle Apple oder Google sind oder werden könnten – unter dem Einfluß der Umstände.

Sascha Lobo: Celebrity versus Credibility

Nehmen wir im Abspann mal Sascha Lobo selbst: Seit er für Vodafone Werbung gemacht hat, in Talkshows herumgereicht wird oder für die CeBIT und den Spiegel arbeitet, erscheint seine Punkfrisur manchem nur noch wie eine Pose. Er ist eine deutsche Web-Celebrity-Ikone geworden – und wo ist die Street-Credibility geblieben? Aber ist er, weil er erfolgreich ist, das Böse? Muß man ihn verachten, weil er durchsetzungsstark ist? Was würdest Du an seiner Stelle machen? Dich schämen und in die Ecke stellen?