Realitäten, die nicht mehr wahrgenommen werden, auch weil der traditionelle Recherche-Journalismus vielerorts nicht mehr entscheidend ist; Gerichte, die kein Recht mehr sprechen; ein republikanischer Präsidentschaftskandidat, der offenkundig erhebliche persönliche Probleme hat, in deren Folge er alle Zivilisiertheit längst hinter sich gelassen hat und eine morbid-sadistische, rechtsradikale Rhetorik verwendet – all das und noch viel mehr findet man im politischen „Make-America-Great-Again“-Amerika, und auf der Schleimspur dieser giftigen Mixtur surft Donald Trump über die Bildschirme.
Sofern Donald Trump (geb. 1946) nicht wieder getrickst hat, ist er nach dem heutigen vorläufigen Wahlergebnis als Präsident wiedergewählt, und zwar nicht knapp: nach heutigem Stand hat Trump bisher 292 Wahlmännerstimmen erhalten und Kamala Harris nur 224. Dabei hätte Trump bereits mit 270 Stimmen gewonnen.
Fiebertraum-Trump
Trump ist wieder der unmögliche, der unwahrscheinliche Kandidat. Aus der Perspektive planerischen Handelns hat er das meiste falsch gemacht, aus der Perspektive politischer Improvisation alles richtig. Es gab einiges, das ihm hätte schaden können, etwa dass er sich gegen das Recht auf Abtreibung ausgesprochen hatte, dass er wie in der Agenda 2025 dargelegt, die Demokratie abschaffen will oder einfach, dass er 78 Jahre alt und geistig nicht mehr auf der Höhe ist. Auch seine radikalen Vernichtungsphantasien, sein Preisen all der Diktatoren, denen er sich verbunden fühlt, hätte zu viele vernunftbegabte potenzielle Wähler abschrecken können. Was also hat ihm geholfen?
Der starke Milliardär von nebenan
Am ehesten der Mythos eines Kino-Westernhelden wie John Wayne (1907-1979), der selbst ein rechtsgerichteter politischer Extremist gewesen war. Dieser Mythos enthält als Botschaft, dass Amerika einen starken, durchsetzungsfähigen Anführer braucht. Keinen, der nur rumredet und nichts tut, sondern einen, der (schnell) handelt. Diese Medien-Figur „Donald Trump“ setzt sich aus zwei Kernelementen zusammen:
Der reale Donald Trump
Einerseits ist Trump, wer wollte es ihm absprechen, tatsächlich durchsetzungsstark und dabei sehr real: alle die politischen Auseinandersetzungen, die Prozesse, die zahlreichen Skandale oder sowieso, dass er ein verurteilter Straftäter ist – all das hat er politisch überlebt. Anders ausgedrückt: Nichts hat ihm letztlich geschadet. Man könnte diese Hälfte von Trump den „realen Trump“ nennen, also den, der wie ein Elefant im Porzellanladen permanent Grenzen überschreitet, aber als Person tatsächlich auch so ist, wie er medial verbrämt mäandert. Für seine Anhänger ist es eine Befreiung, jemanden zu sehen, der konsequenzlos scheinbar alles sagen und tun kann, was er will.
Der irreale Donald Trump
Zum anderen aber ist das, was man als einen „Donald Trump“ bezeichnet, eine real nicht existente Kunstfigur. Als Showmaster einer amerikanischen Fernsehshow, in Büchern und im permanenten medienbefeuerten Selbstmarketing hat er sich als virtuelle Figur mit wählerkompatiblen Eigenschaften etabliert. Für seine Anhänger hat er Erlöserqualitäten, er verspricht Entscheidendes, das er nie umsetzen wird. Er ist ein Macher von Dingen, die nicht geschehen werden. Schon einmal war er vier Jahre lang Präsident und hatte versprochen, Amerika wieder groß zu machen und für Wohlstand zu sorgen. Er wollte eine Mauer bauen und Mexiko dafür zahlen lassen – nichts davon ist geschehen. Anstatt dessen hat er in seiner Amtszeit einen Trillionen-schweren Schuldenberg hinterlassen, den das Land und damit auch seine Wähler zu zahlen haben, auf Kosten von immensen Steuererleichterungen für Unternehmer. Ein Erlöser also, der vor allem sich selbst und andere Unternehmer erlöst. Aber längst kommt es im Trump-Amerika nicht mehr darauf an, was jemand tatsächlich sagt, verspricht oder tut – es geht vor allem darum, wie er empfunden wird. Mit einer rosaroten Brille vor Augen kann ein Betrachter einen Scharfrichter wie einen Botschafter der Liebe wahrnehmen.
Schauspieler als Politiker
Sein entfernt betrachtet geistiger Vorgänger, der Schauspieler Ronald Reagan (1911-2004), der den Slogan „Make America Great Again“ erfunden hatte und nie ein Star war, sondern meist B-Movies gedreht hatte, wirkte als Präsident (1981-1989) bereits höchst unwahrscheinlich. Ein Schauspieler von Billigfilmen als Politiker? Gar als amerikanischer Präsident? Weiter aufmerken musste man dann, als Arnold Schwarzenegger (geb. 1947) Gouverneur von Kalifornien (von 2003-2011) geworden war. Denn hier hatte ein deutlicher Image-Transfer zwischen der von ihm im Kino verkörperten „Terminator“-Figur hin zur echten Person „Arnold Schwarzenegger“ stattgefunden. Schwarzenegger als Republikaner in einem traditionell von den Demokraten dominierten Bundesstaat war vor seiner Wahl ähnlich unwahrscheinlich wie Trump heute. Man konnte darin den Wählerwunsch ablesen, jemanden zu wählen, der mehr handelt als redet – ganz so wie in den Kinofilmen. Trump setzt hier noch einen drauf: Er hat die politische Kommunikation und die Politik insgesamt zum Showbusiness umfunktioniert. Trump ist in all seiner Surrealität und politischen Gefährlichkeit als Medienfigur unterhaltsam und täglich für eine Schlagzeile oder einen Kommentar gut.
Amüsiert Amerika sich zu Tode?
Der Kommunikationswissenschaftler Neil Postman (1931-2003) hatte die infantile Durchdringung des (politischen) Lebens durch das Entertainment bereits in seinem 1985 erschienen Buch „Wir amüsieren uns zu Tode – Urteilsbildung im Zeitalter der Unterhaltungsindustrie“ konstatiert, in dem es um die Medien-Entwicklung in den USA vom Buchdruck bis zum Fernsehen geht. Er kommt darin zum Schluss, dass das Fernsehen plakativ gesagt, die Gesellschaft verblödet. Das Internet kannte Postman damals noch nicht, aber vieles, was er feststellt, lässt sich auf die aktuelle Medien-Situation übertragen.
Die zwei Amerikas
Dass Amerika nur schwer vereinbare Gegensätze in sich trägt, ist keine neue Erkenntnis. Da ist das erz-kapitalistische, hoch-innovative Land, das die modernsten Technologien entwickelt und neue soziale Standards einführt (repräsentiert vor allem in den großen Städten); und da ist jenes rückwärts gewandte Amerika, dem all dieser Wandel zu schnell geht. Eine Medien-Figur wie Donald Trump erfüllt in ihrer Wirkung den Wunsch nach Überschaubarkeit, indem soziale Komplikationen wie etwa die Diskussion um das Thema „Transgender“ oder geschlechtsdiverse Pronomen als nichtig erklärt werden sollen. Zur Ausstrahlung eines „Macher“-Kandidaten gehört auch Zuversicht: man muss ihm als geneigter Wähler abnehmen können, dass er Wohlstand schaffen wird. Vielen Wählern in ländlichen Regionen geht es aber vor allem um ihre Sehnsucht nach einem diffusen Gestern, in dem sie sich mental zurechtfinden. Dazu gehört:
- dass Männer das Sagen haben sowie die Geldverdiener sind, und Frauen sich unterordnen müssen.
- dass also genormte Rollenbilder auch was Sexualität anbelangt nicht in Frage gestellt werden dürfen.
- dass körperliche Gewalt ausgeübt werden darf, dass ein Mann z.B. seine Kinder und seine Frau schlagen darf (wie es etwa Tucker Carlson propagiert).
- dass überwiegend weiße Christen die Macht innehaben.
Dass Bedenken jeglicher Art untergeordnet sind, wenn Wohlstand erhalten werden soll. Dazu zählt, dass es keinen Natur- oder Klimaschutz geben soll, weil der die Rendite verringern würde.
Die deregulierte Autokratie
Die neue Einfachheit ist die alte Einfachheit. Mit der Ausnahme, dass sich die oberste Finanzelite nun mit anschickt, die Demokratie abzuschaffen. Figuren wie Elon Musk sind nicht nur reich, sondern wollen nun auch ganz offiziell politische Macht. Andere Milliardäre kaufen Richter. Generell sehen viele Reiche oder auch große Unternehmen in den Regularien der Demokratie eine Einschränkung ihres Wirkens. Trump ist auch für sie der Macher und Umsetzer ihrer Phantasien.
Demokratie-Verdrossenheit
Guckt man sich an, was für das politische Miteinander und den Konsens in Amerika wichtig ist, sieht man, wo überall die Säulen dieser Demokratie bereits unterspült sind: Die Hetze in sozialen Medien hat überhand genommen, aber zugleich hat der informationelle Austausch im Web die Macht der alten Medien relativiert – nun formt die persönliche Meinung und Befindlichkeit die gelebte „Realität“. Erlogene Fake-News wie von Trump ständig verbreitet, werden bei seinen Anhängern zu Glaubenssätzen und verfangen auch im weiteren Wahlvolk. Dagegen kommen Fakten und schlicht „die Wahrheit“ nicht mehr an. Mehr noch: Die Wahrheit als kommunikatives Ziel hat keine Konjunktur. Man sieht an dem „Q-Anon“-Mythos, bei dem ein angeblicher Whistleblower aus den Reihen der demokratischen Partei am laufenden Band Verschwörungstheorien über sie verbreitet, dass die angenommenen Verschwörungen, die im Hintergrund lauern, für viele die eigentliche Realität abbilden. Gespeist wird dies in einem Riesenstaat wie den USA durch ein tradiertes Misstrauen der Regierung gegenüber und durch ein Bildungssystem, dass schwerpunktmäßig die Eliten in wenigen Vorzeige-Universitäten hyperbildet während in strukturschwachen Gegenden Bildung Privatsache sein kann.
Immunität für Donald Trump
Längst sind auch die Gerichte und ihre Besetzung zum Politikum geworden. Das Oberste Gericht hat Trump freie Hand gegeben. Er darf im Rahmen eines offiziellen präsidialen Handelns weitreichend vieles tun und darf dafür rechtlich nicht belangt werden – weil das Gericht eine ausufernde „präsidiale Immunität“ festgelegt hat, die Trump vor strafrechtlicher Verfolgung schützt. So könnte er als Präsident zum Beispiel unter Vorwänden das Justizministerium anweisen, seine politischen Gegner vor Gericht zu stellen, was er auch mehrfach in Interviews und bei Wahlkampfveranstaltungen angekündigt hat.
Wut-Politiker
Das politische Washington ist längst von Republikanern geprägt, die keine Grenzen im Umgang mit dem politischen Gegner kennen, auch weil sie die kritische Öffentlichkeit, die früher durch die traditionellen Medien hergestellt wurde, nicht mehr fürchten und durch ihre diversen Social-Media-Filterblasen ersetzen, in denen so viele Lügen verbreitet werden, dass man sich im Dickicht von Unwahrheit und Wahrheit schwer zurechtfindet. Werte der Zivilisiertheit werden von vielen republikanischen Politikern nicht mehr akzeptiert, an ihre Stelle ist eine flächendeckende infantile Wut getreten.
Neandertaler-Politik
Dieser Tribalismus, bei dem es im Kern um das alte, weiße, männliche und christliche Amerika geht, ist in seiner Rückwärtsgewandtheit radikal und will alles, was von außen kommt, am liebsten ausschließen. Trump als Projektionsfläche für vielerlei rechtsgerichtete Visionen, könnte das Fremdeln der Wählerschaft mit einem Kapitalismus, wie es ihn in seiner Rigidität auf der Welt kein zweites Mal gibt, nutzen, um dieses System mit einer autokratischen Ausrichtung noch unmenschlicher zu machen. Trump nutzt die Verzagtheit breiter Bevölkerungsschichten, um ihnen zu spiegeln, dass sie mit weniger Demokratie und mehr Autokratie besser fahren. Die neue Einfachheit ist ein Weg in die Vergangenheit.
One Response to “Trumpismus: Alternative Fakten, alternative Medien und ein alternativer Präsident”
[…] warum erscheinen die Trump-Rallys eigentlich wie verbale Ein-Mann-Gladiatoren-Kämpfe oder erinnern an eine verstörend-grausame […]