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Kultur-Devotionalien: Die Kunst und ihre Zuhälter

Alberto Giacometti hätte für einen Bruchteil des Geldes, das seine Arbeiten nun bringen, in einem Meer aus Champagner gebadet. Denn Alberto Giacometti war ein alter Schwerenöter. Er saß in seinem Verschlag, den man heute verklärt „Atelier“ nennen würde, soff wie ein Loch und schloß seinen kultivierten Tag öfters mit einem gepflegten Puffbesuch. Nebenbei steigerte er sich in seine bulemischen, langgestreckten Plastiken hinein.

Was hätte Alberto Giacometti wohl gedacht, wenn man ihm gesagt hätte, dass eine seiner Bronze-Arbeiten von der Commerzbank für 104,3 Millionen Dollar verkauft und damit zum teuersten Kunstwerk bis dahin werden würde?

Damian Hirst sahnt ab

Oder Damien Hirst, der wichtigste (und inzwischen zum Maler mutierte) Konzeptkünstler dieser Tage, hat genau am Tag der Lehman-Pleite umgerechnet 140 Millionen Euro in einer Auktion mit einigen neueren Arbeiten verdient. Kunst ist eine lohnende Anlageform – bei der Kunst kummulieren hehre Ziele und schnöder Mammon aus Vortrefflichste.

The Show must go on

Die Liste ließe sich beliebig verlängern: Ob Jackson Pollocks Werk „No.5“ 140 Millionen Dollar erzielt, ein Bild von Gustav Klimt 135 Millionen oder ein Picasso 104,2 Millionen Dollar – das Geld ist bis vor der Wirtschaftskrise nur so gesprudelt und sprudelt mit Abebben der Krise fleissig weiter.

Franz Kafkas Briefe als Notgroschen

Doch nicht nur bei der bildenden Kunst ist das so, auch und immer öfter bei literarischen Nachlässen. Nehmen wir Kafka: Zur Zeit tobt ein schriller Streit um seinen Nachlaß zwischen Kafkas Erben und dem Literaturarchiv Marbach, zwischen deutschen und israelischen Wissenschaftlern, am Ende zwischen den deutschen und israelischen Gerichten und den Staatsapperaten. Aus Kafkas Nachlaß hat Esther Hoffe, die die literarischen Devotionalien von Kafka-Buddy Max Brod überschrieben bekam, einiges zu Geld gemacht: Das Original-Manuskript von „Der Prozess“ ging für 2 Millionen Dollar über den Tisch, drei Dutzend Briefe und Postkarten hatten für 90.000 D-Mark den Besitzer gewechselt, ein einziger Brief Kafkas an Franz Werfel brachte 55 000 D-Mark und ein paar Liebesbriefe von Kafka erzielten 25 000 Euro.

Was haben Casanova und Breton gemeinsam?

Oder nehmen wir Giacomo Casanova: Die Handschrift, die 1821 von einem Mitglied der Familie Brockhaus für einen Appel und ein Ei erworben worden und seitdem im Besitz der Familie verblieben war, ging nun an den französischen Staat, für tatsächliche 7,2 Millionen Euro – doppelt soviel wie zwei Jahre zuvor das surrealistische Manifest von André Breton gebracht hat, das für 3,6 Millionen Euro verkauft worden war.

Achtung: Charles Dickens Zahnstocher

Charles Dickens Zahnstocher – aus Elfenbein und Gold bestehend – wurde letztens für 9.000 Dollar versteigert, jetzt gerade eben erzielte ein Hundshalsband aus seinem ehemaligen Besitz 12.000 Dollar. Es ist aus Messing und trägt seinen Namen als Inschrift.

Die Hinterlassenschaft des Yves Saint Laurent

Modemacher Yves Saint Laurent hat einem Ex-Geliebten 300 Zeichnungen vermacht. Die werden jetzt dem Kunstmarkt angeboten und sind der mit Abstand größte verfügbare Bestand an Zeichnungen des Modezaren. Sie werden einiges bringen obwohl sie es nicht verdienen.

Kunst als Seismograf

Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Kunst damit pervertiert wird. Kunst verkommt zum Objekt, nicht zum Kunstobjekt sondern zum Spekulationsobjekt. Kunst wird zur erheischenswerten Devotionalie degradiert. Wie armselig.

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