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Tagebuch 22.04.2013: Die 8 und die Suche nach den Enden der Alltags-Unendlichkeits-Parabel

After Eight ist alles zu spät.

Vor der Endlichkeit des eigenen Seins flüchten wir uns in die Unentwirrbarkeit und Unendlichkeit unserer Träume.

Was ist Glück? Was ist all das zutiefst Positive, das einem passieren kann und das einen glücklich machen kann? Vor allem aber: Wie lange wird dieses Glück wohl anhalten? Klar ist, dass jede extreme Hochphase, jedes anhaltende Glücksgefühl genauso ein Ende finden wird wie jede abgrundtiefe Negativspirale. Letzteres ist ein Trost, ersteres hilft dem Menschen, seine Bodenständigkeit zu bewahren.

Als ich diese Gedanken habe, trat ich auf das vor mir auf dem Radweg liegende Vorderrad meines Fahrrads ein. Es hatte exakt die Form einer 8, langsam fand es durch meine beharrliche Treterei zu seiner alten Form zurück. Bei seinem Anblick musste ich einen ganz kurzen Moment lang an die Unendlichkeit denken. Gedanken an die Unendlichkeit helfen uns immer, unsere Endlichkeit zu verleugnen. Die Religion funktioniert so, jedes Streben, jeder in die Zukunft gerichtete Gedanke, jedes Eifern nach einem unerreichbaren Ziel.

Ich war gerade aus dem Krankenhaus von einem Besuch gekommen, zeitweise umgeben von Einarmigen, Bandagierten, von Verbundenen, Versehrten, Hilfsbedürftigen, von Menschen mit tiefen Falten und sorgenvollen Worten im Gesicht. Als ich die paar Meter zurückfahren und eine Ampel überqueren wollte, fuhr mich ein schickes PS-starkes Motorrad um, eigentlich nur wenige Meter vom Kranken-Klotz entfernt. Ich musste daran denken, dass ich gar nicht so weit weg von hier, vielleicht 200 m entfernt, schon mal umgefahren worden war. Ebenfalls auf dem Fahrrad sitzend, damals aber von einem Auto. Nur dass im Kindersitz hinter mir damals meine Tochter gesessen hatte. Auch da hatte das Vorderrad eine leichte Acht, allerdings nicht so ausgeprägt wie jetzt.

Immer schon hatte ich gehofft, sofern mich das unkalkulierbare Schicksal ereilen sollte, totgefahren und ohne viel Schnickschnack in den Himmel befördert zu werden, dass es an einem Sonnentag wie heute passieren sollte. Dass ich entweder von einem Cabriolet oder von einem Motorrad umgefahren werden sollte. Ein Gewinner sollte mich aus meinem Dasein schießen, einer, der positiv und nach vorne denken sollte, jemand, dem ein Lächeln im Gesicht zu stehn hatte. Wie deprimierend wäre es dem gegenüber, von einem Depressiven aus dem Leben katapultiert zu werden, einem Griesgram, der das Leben nicht zu würdigen wußte und also auch nicht das Recht haben sollte, mir mein Leben in einem Akt symbolischer Verachtung oder als sublimierten Weltüberdruß zu nehmen. Ich sozusagen als sein (Rück-)Spiegel oder er als meiner, jedenfalls wäre das eine unklare Situation, der man nichts hätte abgewinnen können, nichts über das man später hätte lächeln können.

Die 8 als neue Form des Fahrradreifens schien mir zu versinnbildlichen, dass mein Leben jetzt nicht zu enden hatte. Was aber wäre gewesen, wenn der Fahrradreifen eine andere Form gehabt hätte? Sagen wir einen harten Totalknick, der an eine Messerspitze oder -schneide erinnern könnte. Was, wenn die Felge komplett geborsten wäre? Wäre dann ein härterer Schicksalsschlag nicht die unausweichliche Folge gewesen?

Wenn ich mein Fahrrad so betrachte, ahne ich, dass das Glück im Unglück gewesen ist. Ich habe ja noch den linken Arm. Also bin ich dankbar dafür, dass nichts Schlimmeres geschehen ist, weiß aber nicht, ob Glück im Unglück nun bedeutet, dass alles demnächst besser oder schlechter wird.

 

 

 

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