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Flußfahrt im Wundkanal

Puppenspiel

Sie hielt die Hand über ihre Augen und kam ganz nah an das Schaufenster des Kopieshops, um besser hineinzuschauen.Die glänzende Scheibe zeigte ihr ihr Spiegelbild. Sie trug ein rotes Kleid, schwarze Strümpfe, Stiefel, eine dunkle Lederjacke. Ihre braunen Haare waren hochgesteckt, ein paar Haarsträhnen fielen in ihr Gesicht. Unter dem Arm hatte sie einen Stapel Papier, Texte, Zeichnungen, die sie kopieren und binden lassen wollte. Sie kniff die Augen zusammen, lenkte ihren Blick durch sich hindurch. Als sie auf den Laden zugelaufen war, hätte sie schwören können, dass sie Licht und Menschen darin gesehen hatte, aber jetzt schien es so, als hätte er bereits geschlossen, obwohl die Öffnungszeiten an der Tür anderes versprachen. Dann wurde auf einmal die Türe des Ladens von innen aufgerissen. Ein Mann stand im Türrahmen und lächelte sie an. Sie erkannte ihn, vor einiger Zeit hatten sie sich kurzzeitig füreinander interessiert, an einem anderen Ort. Sie war erleichtert, so konnte sie sich einer Vorzugsbehandlung sicher sein, sie hatte es eilig. „Wir haben uns ja eine lange Weile nicht mehr gesehen. Komm doch rein“, und dann, als könne er ihre Gedanken lesen, „für dich habe ich natürlich noch geöffnet.“

„Ich wusste gar nicht, dass du hier arbeitest.“ „Nur gelegentlich“, war seine Antwort, „was kann ich für dich tun?“. Sie legte den Stapel Papier, den sie unter dem Arm gehalten hatte, auf einen Tisch ab. „Ich brauche Kopien, Farbkopien in sehr guter Qualität.“ Er nickte, „Kein Problem“. Dann drehte er sich um, machte eine kurze Handbewegung ihm zu folgen und ging voraus in Richtung Hinterzimmer, in dem offenbar der Farbkopierer stand. Sie ging hinterher.

In dem Raum stand ein Kopiergerät in einer Größe, in der sie noch nie ein solches Gerät gesehen hatte. Sie staunte, wollte gerade ihre Verblüffung darüber äußern und ihren Bekannten darauf hinweisen, dass sie die Kopiervorlagen draußen auf der Theke hatten liegen lassen, als er sie am Arm packte, gegen eine Metallplatte drückte, ihr blitzschnell und fast gleichzeitig einen Gurt um Hüfte, Beine und Kopf legte und dann einen großen Hebel nach unten zog. Die Metallplatte mit ihr hob sich in die Luft, drehte sie mit ihrer Vorderseite nach unten. Nun hing sie über einer riesigen Glasscheibe, unter der sie eine leuchtende Walze erkannte. Die Platte senkte sich und drückte sie auf das kalte Glas, unter der sie bereits die Wärme, des sich aufheizenden Geräts spürte.

„Na, wieviel Kopien sollen wir von dir machen?“, hörte sie die Stimme des Mannes. Es klang höhnisch. Sie schrie, streckte ihre nicht festgeschnallten Arme an der Seite des Gerätes heraus, kriegte den Vorsprung der Papierschublade zu fassen, krallte sich daran fest. Ein Fingernagel brach ab, sie blutete. Ihre andere Hand suchte die Schnallen der Gurte, die sie festhielten. Panisch schrie sie weiter. „Hör auf mit der Gebrüll, es passiert doch nichts Schlimmes. Außerdem beschlägt von deinem Atem das Glas und dann wird dein Gesicht nicht deutlich zu sehen sein. Möchtest du das? Für den Rest deines Lebens entstellt herumlaufen?“ Die Lichtwalze unter ihr setzte sich in Bewegung. Sie musste die Augen schließen. Es blendete so sehr, ihre Augen fühlten sich an, als ob sie verglühten. Der Mann packte sanft ihre Hand, löste ihre Finger von der Schublade und schob sie zurück unter die Platte. „Halt die Arme ganz nah am Körper, sonst bist du nicht komplett drauf.“ Aber sie wehrte sich, schob die Hände wieder an dem einzigen möglichen Spalt hinaus. „Na gut, wenn du es so willst.“

Ein Papier wurde ausgeworfen, sie erkannte das Geräusch. Ein Murmeln war zu hören. „Hättest du nicht ein weniger farbiges Kleid anziehen können. Du leuchtest viel zu kräftig. Das muss blasser sein. Ich muss das ändern.“ Sie hörte, wie er auf einem Display herumdrückte. Bei jedem Drücken gab es ein kurzes Piepgeräusch. Erneut setzte sich die heiße Lichtwalze unter ihr in Bewegung und fuhr wieder zuerst unter ihrem Gesicht vorbei. Wieder glühten ihre Augen. So ging es ein ums andere Mal. Der Mann murmelte, veränderte die Einstellungen am Display, die Maschine lief an, Papier wurde ausgedruckt. Sie lag ganz still, spürte sich inzwischen nicht mehr. Ihre Hände hingen schlaff an der Seite des Geräts heraus.

Dann aufeinmal setzte sich die Platte, an der sie befestigt war, in Bewegung. Sie wurde hoch gehoben und stand wenige Sekunden später wieder in der Senkrechten. Die Gurte lösten sich wie von selbst. Der Mann betrachtete sie, er hatte Tränen in den Augen. Seine Stimme sagte :„Wie wunderschön du bist. Viel schöner als vorher.“ Sie sah an sich hinunter, musste die Augen zusammen kneifen, um irgendetwas erkennen zu können. Sie war zu einer farblosen Kopie ihrerselbst geworden.

Sie musste hier weg, stolperte aus dem Hinterzimmer, wollte den mitgebrachten Papierstapel greifen, dessen Silhouette sie auf der Theke nur erahnen konnte. Doch als sie ihre Arme ausstreckte, waren keine Hände mehr da. Ihre Handgelenke endeten in vernarbten Amputationsstümpfen, kleine fleischige Halbkugeln. An einer kleinen Stelle trat Blut hervor. Sie stieß damit gegen den Papierstoß. Der Stapel neigte sich, das oberste Blatt rutschte, segelte hinunter und die anderen Blätter folgten. Der Mann schob sie durch die Türe auf die Straße. „Die brauchst du nicht mehr. Bis bald.“

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