Jürgen Weh Möllemann: Hoch gepokert, tief gefallen.

Jürgen Weh Möllemann: Hoch gepokert, tief gefallen.

Mein Wählertagebuch (2)

Habe Montag abend die Debatte mit Westerwelle, Trittin und Lafontaine verfolgt. Hat mir gut gefallen. Es ging um Inhalte. Alle drei hatten eine gute Performance.

Keinen von ihnen würde ich zum Bundeskanzler wählen können. Zum Bundeskanzler kann man in dieser Republik aktuell ja nur Merkel oder Steinmeier wählen, auch wenn die beiden auf fast keinem Wahlzettel stehen werden.

Selbst Westerwelle, den ich nie wählen würde, hatte überzeugt. Ich musste wohl an meiner Einstellung arbeiten. Denn es war klar, das ich unfair war. Ich würde die FDP schon deshalb nicht wählen, weil ich Westerwelle, den selbstverliebten Chefentertainer einer Spaßpartei, die mir noch nie Spaß gemacht hat, so ganz persönlich-menschlich abscheulich fand. Ich hatte, das musste ich mir eingestehen, eine tiefe Abneigung gegen diesen Mann, dem ich nie persönlich begegnet war. Ich war echt unfair zu ihm und damit zu seiner gesamten Partei. Wenn ich so weitermachte, überließ ich meinem scheußlichen inneren Kind meine Wahlentscheidung. Ich beschloss, darüber hinauszuwachsen. Nach vernünftigen Kriterien zu wählen.

Westerwelles Vorgänger, Möllemann, der 2003 den Fallschirm nicht öffnete, war ich persönlich begegnet. Das ist schon viele Jahre her. Damals mochte ich die FDP auch schon nicht. Und deshalb pauschal alle, die sich in der FDP wichtig taten.

Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Die Fußgängerüberführung über die Universitätsstraße. Sonnenschein. Eine Woche vor der Bundestagswahl. Die Grüne Hochschulgruppe und die Jungen Liberalen verteilten auf der kleinen Grundfläche der Fußgängerüberführung Flugblätter an mäßig interessierte Studenten. Ich war bei den Grünen (die damals wirklich noch so hießen) und Möllemann bei den Liberalen. Die Prognosen standen damals schlecht für die FDP. Die Demoskopen waren sich einig: Unter 5 Prozent. Den Möllemann so direkt neben mir, nahm ich das zum Anlass, über die Zukunft der FDP zu lästern. Möllemann nahm sich Zeit für mich. Wir plauderten etwas. Er nannte mir voller Selbstvertrauen eine Prognose „aktuell von gestern Abend“ für die FDP, die deutlich über denen der beiden öffentlich-rechtlichen Sender lag. Ich glaubte ihm nicht. Trotzdem, netter Mann. Ich hatte ihn angepöbelt und er ist souverän geblieben.

Am Wahlsonntag zeigte sich, dass die FDP überraschend in den Bundestag gewählt wurde. Und zwar mit einem Ergebnis, das nur 0,5 % von Möllemanns Prognose abwich. Und mehrere Prozent von jeder anderen. Wie konnte Möllemann einen solchen Wissensvorsprung vor dem Rest der Welt haben?

Möllemann erlebte noch einige Hochs und Tiefs, bevor er die Reißleine seines Fallschirms nicht zog. Dann kam die Ära Westerwelle. Meine Abneigung gegen die FDP verwandelte sich in Ekel vor der FDP. Aber daran arbeite ich ja gerade.

Es vergingen etliche Jahre. Dann kam das TV-Duell mit den nicht überzeugenden Merkel und Steinmeier, von denen ganz klar einer Kanzler werden würde. Dann die Debatte mit den überzeugenden Westerwelle, Trittin und Lafontaine, von denen ganz klar keiner Kanzler werden würde. Heute morgen bin ich mit Paranoia aufgewacht.

Wie konnte Möllemann so genau den Wahlausgang seiner Partei kennen? Entweder verfügte er über demoskopische Deutungen, die wesentlich genauer waren, als die dem Wahlvolk präsentierten. Dann stellen sich die Fragen, wie viele Menschen noch über diese genaueren Daten verfügten. Wer jetzt schon alles weiß, wie die Bundestagswahl ausgehen wird. Und existieren diese tollen Prognosen auch für andere Wahlen?

Die andere – von mir damals nicht in Betracht gezogene – Möglichkeit war, es existiert irgendwo ein Zettel, auf dem konspirative Vertragspartner ihre Vorstellung von einem Wahlergebnis festgehalten haben. Dann wurde die Wahl so „gebastelt“, dass es möglichst genauso wie verabredet hingekommen ist. Wie auch immer im Detail das bewerkstelligt wurde.

Das TV-Duell am vergangenen Sonntag schien deutlich zu zeigen, dass Merkel und Steinmeier weiter zusammen regieren wollen. Dachten wir alle. Was aber, wenn es in Wirklichkeit zeigte, dass Merkel und Steinmeier schon sicher wussten, dass sie weiter zusammen regieren werden, weil der Zettel der konspirativen Vertragspartner schon geschrieben ist?

Der Gedanke verstört mich. Wer sind die Vertragspartner? Und was wird mit mir passieren, nachdem der Bundesnachrichtendienst diesen Tagebucheintrag gegoogelt hat? Weiß jemand, was man tun muss, um eine abhörsichere Telefonleitung zu bekommen. Conrad Electronic? Mediamarkt?

Diese Bundestagswahlen zerren an meinen Nerven. Meine Wahlbegeisterung macht mal einen Schritt vorwärts, dann wieder einen zurück.

Zu der schon schwierigen Frage, wen ich wähle, gesellt sich aus anderen Gründen als einem politikverdrossnen Befinden die seltsame Frage, ob das nicht völlig egal ist.