Immer auf der Hut: Vater und Sohn (Quelle: Senator)

Was für eine Katastrophe es war, die die Welt in „The Road“ in Schutt und Asche gelegt hat,  wird nie erklärt. Es ist auch nicht wichtig, fest steht nur, dass sie es gründlich getan hat. Die Kontinente sind verbrannt, alles pflanzliche und tierische Leben ist vernichtet.  Mitten im Ödland, das einmal Amerika war, wandern ein Mann und sein Sohn eine Straße entlang in Richtung Süden.

Ihren ganzen Besitz schieben sie in einem Einkaufswagen vor sich her, in der Pistole des Vaters sind noch zwei Kugeln.  Sie verhungern allmählich und müssen immer auf der Hut vor anderen Überlebenden sein, die der Hunger zu grausamen Taten treibt.  Nur manchmal erleben sie Momente des Friedens. Aber der Vater ist sich nur zu bewusst, dass er nicht mehr lange leben wird.

Dass „The Road“ überhaupt noch in unsere Kinos kommt, grenzt schon fast an ein Wunder, so oft wie der Start verschoben wurde.  Es scheint so, als ob die  Studio-Verantwortlichen nicht so recht wussten, was sie mit diesem schweren Brocken von einem Endzeitdrama anfangen sollten.  Das lässt zumindest der Trailer vermuten, der im letzten Jahr zu sehen war, und  der den Film wie einen xbeliebigen Kannibalen-Reißer aussehen ließ.

Das ist „The Road“ aber gerade eben nicht. Stattdessen ist er die Verfilmung des gleichnamigen Romans von Cormac  McCarthy,  der bereits die Vorlage zu „No Country for old men“ von den Cohen-Brüdern geschrieben hatte.  Die Vorlage erschien 2006 und hinterließ  tiefe Wellen im Literaturbetrieb und auf den Bestsellerlisten, was  2007 mit dem Pulitzer Preis belohnt wurde.  In so knappen wie poetischen Sätzen beschrieb der Autor düstere Tableaus eines untergegangenen Amerikas, vor deren Hintergrund die Verbundenheit von Vater und Sohn umso verletzlicher  und herzzereißender erschien. Diesen verstörenden und drastischen Roman  verfilmen zu wollen, darf schon ehrgeizig genannt werden.

Der australische Regisseur John Hillcoat hat es trotzdem gewagt, und Fans des Romans können beruhigt aufatmen. Spätestens, wenn der Vater ziemlich zu Beginn des Films seinem Sohn beibringt, wie er die Pistole halten muss um sich im Notfall selbst zu erschießen, wird deutlich, dass „The Road“ keiner der üblichen Wohlfühl-Popcorn-Endzeit-Reißer ist.  Hillcoat hält sich fast brutal eng an die Vorlage und zeigt ein ausgeprägtes Händchen dafür, die Sprache des Romans in  eisig-graue Bilder umzusetzen. In den Details beschreibt er den Verfall der  Welt so realistisch und banal wie möglich; die opulenten Totalen hingegen zeigen eine morbide Faszination für die Zerstörung, die dem Szenario eine Beklemmung  verleihen, die das ausgelutschte Endzeit-Genre schon lange verloren hatte.

Kannibalen auf der Jagd (Quelle: Senator)

Auch hätte man sich kaum eine bessere Besetzung für die Hauptrollen vorstellen können. Viggo Mortensen brilliert als hohlwangiger und todkranker Vater, für den der Sohn der einzige Grund ist weiterzumachen.  Kodi Smith-Mcphee auf der anderen Seite strahlt eine Art von Unschuld aus, die in dieser Welt vollkommen fehl am Platz zu sein scheint. Die enge Bindung der beiden zueinander bleibt zu jedem Zeitpunkt glaubwürdig und berührend. Die kurzen Auftritte der Nebenfiguren sind mit Gaststars wie Charlize Theron, Robert Duvall oder Guy Pearce besetzt, die das Maximum aus ihrer begrenzten Screentime heraus holen.

An der Geschichte sind gegenüber dem Buch behutsame Veränderungen vorgenommen worden, etwa in der leicht ausgebauten Rolle der Mutter des Jungen, die immer wieder in Rückblenden auftritt. Auch hat Hillcoat dem Zuschauer die wirklich unerträglichen Szenen des Romans erspart.  Beides schmälert jedoch nicht den Gesamteindruck einer der Vorlage verpflichteten Umsetzung.

Man sollte allerdings schon erwähnen, dass diese Vorlagentreue auf Kosten eines konventionellen Spannungsbogens geht. Es passiert nicht wirklich viel auf der Reise der beiden, Hillcoat konzentriert sich ganz  auf die Schilderung von Momentaufnahmen, die abwechselnd anrührend wirken – wie der Fund einer intakten Dose Cola  oder eisige Stiche setzen, wie eine Reihe aufgespießter Kindertotenschädel.

Ein kurzer Moment der Ruhe (Quelle: Senator)

Was unnötig ist, ist  die Erzählstimme des Vaters, der zu Beginn des Films aus dem Off vieles erklärt, was der Zuschauer früh genug selbst herausbekommen würde. Warum von Kannibalen reden, wenn diese nur wenige Minuten später  selbst auftreten?  Das beschränkt sich jedoch auf die ersten 20 Minuten, danach verstummt der Voice-Over.

„The Road“ ist kein Film für einen gemütlichen Abend mit Popcorn und Nachos und wem der Herbst eh schon aufs Gemüt schlägt, sollte sich vielleicht etwas anderes ansehen. Wer sich jedoch auf die Reise in die Finsternis einlässt, wird mit einer der profundesten und auch befreiendsten Erfahrungen belohnt werden, die das bisherige Kino-Jahr zu bieten hatte.