Traumhäutung

Ist es nicht schön, wenn wir uns nicht mit harten unverblümten Wahrheiten herumplagen müssen? Anstatt dessen mit moderierten Wahrheiten, bei denen uns ein guter Geist zu helfen scheint, das Unausweichliche wohl dosiert Stück für Stück verstehen und akzeptieren zu können? So oder so ähnlich sind Träume: Als wäre nachts, während wir schlafen, ein Moderator mit Regisseurambitionen am Werk.

Angst wird im Traum schön verpackt und sublimiert. Er ist unterhaltsame Flucht, schockierende Läuterung, Planspiel und visionäres Ereignis, je nachdem, was man träumt oder wie groß die Notwendigkeit ist, etwas zu verstehen oder zu verarbeiten. Mal ist der Traum wie ein Heimatfilm, mal Schocktherapie. Aber konsequenzlos: bevor man im Traum stirbt, wacht man auf.

Der Traum und sein kultureller Nachfolger, der Film

Filme sind nichts anderes als Synthetik-Träume. Die Traumfabrik hat das Prinzip des Träumens fantastischer Geschichten, die man durchleben muss, der nächtlichen Natur des Menschens entlehnt, hat das Träumen immer perfekter nachgeahmt. Kurz: Filme sind manifestierte Traumwelten.

Der Traum als Forschungsbeauftragter

Das Unterbewusstsein funktioniert wie ein geschmeidiger Sozialarbeiter: es verpackt – läßt man den Albtraum einmal bei der Betrachtung außen vor – oft harte oder sogar schreckliche Wahrheiten, die man im realen Leben bewältigen sollte, in konsumierbare Geschichten. Geschichten, die es einem in Form simulierter Erlebnisse gestatten, sich annäherungsweise mit dem Kern dem Sache nach und nach auseinanderzusetzen, ohne als Held/in der Geschichte real die Fassung oder das Gesicht verlieren zu müssen.

Der Traum als Brücke zur Realität

Das, was man im wirklichen Leben verdrängt, weil es zu schmerzlich oder gar zu verletzend ist, dem nähert man sich im Traum an. Jeder auf seine Art. Deshalb gibt es auch keine übergreifend bedeutsamen Symbole oder Symbolwelten, die für alle Träumer die gleiche Bedeutung haben.

Der Traum hat seine eigene Realität

Träumen ist die Nachbearbeitung oder Vorwegnahme der Realität, ihre Vorstufe oder zweite Zündstufe. Der Traum kann deshalb auch eine trügerische Scheinwelt werden, in die man sich flüchten will. Aus dem Träumen wissen wir, dass vorgestellte, simulierte oder virtuelle Welten Übungsfeld und Fluchtpunkt sein können. Das kann schützen, bewahren oder auch zudecken. Ist aber der Film das Kind des Traums, ist das Videospiel sein Enkel.

Der künstliche Traum

Sofern künstliche Traumwelten, die unsere Kultur hervorgebracht hat, den realen Traum überholt und nutzlos gemacht haben, indem wir unsere Konflikte medial kanalisieren, was wird dann aus dem nächtlichen Traum? Wird er überflüssig oder greift er zu neuen, drastischeren Mitteln? Wird der Traum, der uns bisher geschützt hat, am Ende zur Realität?