Im Zweifel für den Angeklagten

Wir jagten mit Speeren und Messern, wir stießen die Steinspitzen in Tierkörper. Wir schlugen unsere Kiefer in das gespannte, blutende Fleisch. Wir waren ausgehungert und die Lust am Beißen und Reißen überkam uns.

Wir malten mit dem Blut jener Tiere, die uns die Ehre taten, dass wir durch ihr Fleisch überlebten, Zeichen auf unsere Körper. Symbole. Tierfeisch, das war unsere Erlösung. Wir gaben den Kindern davon, wir behüteten sie, sahen die Dankbarkeit in ihren Augen.

Später saßen wir an Bildschirmen. Wir schossen auf alles, was sich bewegte. Wir starben nach Nächten des Schießens an Dehydrierung. Wir zogen Tamagotchis auf, waren genervt von ihren synthetischen Schreien. Wir steuerten Flugkörper in fremde Länder, wir drückten Knöpfe, ohne zu wissen, ob jemand real oder nur virtuell starb. Wir spürten die Welt nicht mehr.

Wir waren allein auf der Welt, unsere Freunde haben wir real nie kennen gelernt. Sie waren wie Geister in unserer erwünschten Vorstellungswelt – sofern es eine war.

Wir waren gefesselt: Wie unsere Vorfahren in Höhlen gelebt hatten, hatten wir noch nie unsere abgedunkelte Wohnung verlassen. Wie die reale Welt war, konnten wir nicht mehr wissen, nur Mutmaßungen anstellen. Wir saßen Tag und Nacht in einer multimedial-virtuellen Umgebung, die uns jedes gewünschte Wissen vermittelte. Es war uns verboten nach Außen zu gehen. Was wir zu wissen und zu arbeiten hatten, vollzog sich zwischen unseren Wänden. Wir waren eins in einem gigantischen Netzwerk, in dem jeder über jeden alles wissen konnte. Was hätten wir darum gegeben, einen Menschen aus Fleisch und Blut zu Gesicht zu bekommen, falls es ihn gab.

Wir schufen digitalsynthetische Bilder, wie wir mit Speeren und Messern jagten, wie wir Steinspitzen in Tierkörper stießen. Wir schlugen unsere Kiefer in das gespannte, blutende Fleisch. Wir waren ausgehungert und die Lust am Beißen und Reißen schien die handelnden Figuren zu überkommen.