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Comic-Zeichenkunst: Der „Neverwhere“-Kurzfilm als Push für die Karriere von Comiczeichner Richard Corben


Es war September 1973, und der Anfang des technisch für damalige Verhältnisse revolutionär gezeichneten Comic-Abenteuers „Neverwhere“ des Comiczeichners Richard Corben (1940-2020) wurde veröffentlicht: Erstmals 1972 in „Fantagor“ Nr. 4 und dann in der zweiten Ausgabe des amerikanischen Underground-Magazins „Grim Wit“. Berühmt wurde die Geschichte dann aber, als sie zwischen 1975 und 1976 im französischen Comic-Magazin „Métal Hurlant“ publiziert wurde, das erst kurz vorher, im Dezember 1974, die Welt der Comics durcheinandergewirbelt hatte.

Was war passiert? In gewisser Weise war das Medium „Comic“ seinen Kinderschuhen entwachsen. Die 1960er-Jahre hatten ein neues kulturelles Bewusstsein geschaffen, was bei manch einem Comiczeichner zu erwachseneren Ambitionen geführt hatte.

Reifephase der Comics

Vieles hatte sich verändert, gerade ausgehend von den USA. Die Underground-Comics katapultierten das Kinder-Medium in einen erwachsenen Wahrnehmungskosmos, und selbst amerikanische Mainstream-Comics wie die des Verlages DC thematisierten etwa in der Heftserie „Green Lantern“ in den 1970er-Jahren Themen, die vorher nicht möglich waren: zum Beispiel Armut, Drogenabhängigkeit oder Rassismus. Die 1970er-Jahre brachten einen harten Realismus in die Unterhaltungsmedien, ob nun in Film, Fernsehen oder die Comics. Speziell bei den Comic-Heften gab es eine Wachablösung hin zu mehr Realismus und weniger Eskapismus. Während ein vereinfachender Zeichner wie Jack Kirby in den 1970er-Jahren bald seinen Zenit überschritten hatte, wurde der Zeichenstil von Neal Adams die neue Referenz. Seine Zeichnungen waren detailreicher, die Physiognomien wirklichkeitsnaher.

Ein Trivial-Märchen

Richard Corben hatte 1968 als 28-Jähriger den Kurzfilm „Neverwhere“ mit dem Helden „Den“ produziert. Der nicht ganz 15 Minuten lange Film bestand aus einer Realfilm-Rahmenhandlung und einer Animations-Sequenz, die den Hauptteil dazwischen bildete. Der Hauptcharakter gelangt durch einen von einer Maschine erzeugten Riss in der Wirklichkeit in eine andere Welt und verändert sich dort. In der realen Welt unscheinbar und für Frauen nicht attraktiv genug, ist er in der anderen Welt muskulös und wird von der Frau, die er dort trifft, angehimmelt. Er, der vorher als Versager im Büro skizziert wird, ist hier ein erfolgreicher Kämpfer gegen verschiedene Widersacher, ein Held, der die Frau beschützt und ihr Retter ist. Danach sollte Corben zunächst Underground-Comics zeichnen, bis „Métal Hurlant“ und ab 1977 dessen amerikanischer Ableger „Heavy Metal“ zur richtigen Zeit für seine „Den“-Story kamen.

Kurzfilm „Neverwhere“

Der Film wurde in den Räumlichkeiten des damaligen Arbeitgebers von Richard Corben, den Calvin Studios in Kansas City, gedreht, bei denen Corben als Trickfilmer arbeitete. Der Film „Neverwhere“ zeichnet sich in seinem animierten Teil durch eine eigene illustrative Handschrift aus. Er ist nicht perfekt, und er experimentiert und improvisiert in Details, etwa bei der Darstellung manch angreifender Monster. Die Animation wirkt wie die Blaupause für die später unter dem Label „Den“ veröffentlichten Comics, die über die Jahre als Sequels publiziert wurden. Der Gesamtfilm scheint übrigens später das Musikvideo zu „Take On Me“ der Popgruppe „Aha“ inspiriert zu haben, das einen assoziativ ähnlichen Handlungsfaden wiedergibt.

Plastischer und phantastischer Realismus

Die „Den“-Comics wurden bezüglich ihres plastischen Realismus vor allem der Figuren berühmt. Der wurde durch die aufwändige Spritzpistolen-Technik erzeugt, während Richard Corben in späteren Folgen der Serie auch andere Zeichentechniken verwendete. Zwar gab es lange vorher unterschiedlichste Bestrebungen, Comics vollfarbig zu malen, wie dies auch für Bücher oder Zeitschriften von Illustratoren realisiert wurde. Doch Corben trieb dies weiter, kombinierte seine Darstellungen mit einer wiedererkennbaren Farbgebung und nutzte das Medium für grafisches Neuland.

Dan Dare und Trigan als Vorläufer

Nie vor Corben – weder bei Neal Adams‘ Superhelden oder bei Burne Hogarths Tarzan – war es gelungen, Übermenschen visuell so plastisch darzustellen. Vorläufer in der dimensionalen Plastizität von Richard Corbens Figuren waren etwa die englischen Comic-Strips Dan Dare (ab 1950) von Zeichner Frank Hampson oder The Trigan Empire (ab 1965) von Zeichner Don Lawrence. Es war aber nicht nur die Zeichentechnik selbst, die Den zu etwas Besonderem machte. Die Motivik, das Design der „Den“-Comics und die überbordenden Farben in Kombination mit der Körperlichkeit schufen eine neuartige Atmosphäre. Zumal Corben die Perfektion seiner Spritzpistolen-Farbgebung in seiner Personen-Charakterisierung mit Menschlichkeit und viel Emotionalität kombinierte. Damals war es andersherum gewesen als heute: Es gab nicht den Film nach einem Comic sondern eine Comic-Serie nach dem Kurzfilm „Neverwhere“, die fast zwei Jahrzehnte fortgeführt wurde. Neben dem Europäer Jean Giraud/Moebius wurde der Amerikaner Richard Corben so zum Haupt-Protagonisten der ersten Welle der Erwachsenen-Comics.

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