FrauenportraitDr. Zigian hatte den Besucher hineingebeten und ihm die Couch angeboten. Er hatte einen Filterkaffee zubereiten lassen und sah, wie Rollo in kurzen Schlücken trank.

Dr. Zigian: Wie geht es Ihnen, Rollo?
Rollo: Gut.
Dr. Zigian: Haben Sie vor dem Haus gesehen…?
Rollo: Was?
Dr. Zigian: Den Baum.
Rollo: Ja.
Dr. Zigian: Er war sehr alt, uralt. Man hat ihn gefällt. Er soll innen morsch gewesen sein. Ich habe aber nichts davon gesehen. Vielleicht hat er jemandem mit Einfluss die morgendliche Sonne genommen. Was macht Katarina?
Rollo: Weiß nicht.
Dr. Zigian: Wieso wissen Sie das nicht?
Rollo: Wir haben uns getrennt.
Dr. Zigian: Wieso das?
Rollo: Es ging nicht mehr.
Dr. Zigian: Was ging nicht mehr?
Rollo dachte nach.
Rollo: Wir haben uns nur noch gestritten.
Dr. Zigian: Ein gutes Zeichen.
Dr. Zigian lächelte.
Rollo: Ja?
Rollo stutzte.
Dr. Zigian: Ja.
Rollo: Warum denn?
Dr. Zigian: Wer sich streitet, hat sich etwas zu sagen.
Rollo musste lachen.
Rollo: Aber was man sich sagt, ist ja nicht nett. Und schimpfen ist nicht sagen.
Dr. Zigian: Jede Beschimpfung ist ein Angebot zur Diskussion. Wenn Sie in Ihrer Frau Emotionen wecken, sind Sie ihr nicht egal.
Rollo schüttelte den Kopf.
Rollo: Sie verstehen nicht.
Dr. Zigian: Was verstehe ich nicht?
Rollo: Sie idealisieren das. Es sind ja ganz schlimme Gespräche. Also,… ich würde schon sagen, bei aller Streiterei, dass wir uns nichts mehr zu sagen haben.
Dr. Zigian: Nein?
Rollo: Nein.
Dr. Zigian: Warum haben Sie sich dann nicht angeschwiegen?
Rollo wusste keine Antwort.
Rollo: Sagen Sie’s mir.
Dr. Zigian: Worüber streiten Sie sich denn?
Rollo: Über alles.
Dr. Zigian: Sagen Sie mal ein Beispiel.
Rollo: Na, darüber, ob jetzt neu tapeziert werden muss zum Beispiel. Sie findet ja – und kann meine Argumente nicht akzeptieren.
Dr. Zigian: Was sind Ihre Argumente?
Rollo: Sie wollte, dass in der Küche tapeziert wird. In der Küche gibt es aber immer mal wieder Fettspritzer. Als wir alles neu eingerichtet hatten, als alles nagelneu war, haben wir ein paar Tage später ganz normal gekocht. Da ist der fettige Deckel von der Pfanne runtergefallen. Es gab Fettflecken, die bis zur Decke gespritzt haben. Soll man da dann jedesmal neu tapezieren? Ich habe ihr vorgeschlagen, die Flecken zu behandeln und zwei Wände neu zu streichen. Weil das immer wieder passieren kann. Auch sofort, nach dem Neutapezieren.
Dr. Zigian: Wie alt sind die Tapeten? Wie lange liegt die Renovierung zurück?
Rollo: Ich weiß nicht. Vielleicht 5 Jahre. Mal überlegen… nein, es werden ca. 8 Jahre sein.
Dr. Zigian: Da könnte man eine Küche neu tapezieren. Wie ist denn ihr Zustand?
Rollo: Meiner oder der der Küche?
Rollo grinste.
Dr. Zigian: Der der Küche.
Dr. Zigian lächelte.
Dr. Zigian: Ihren spüre ich.
Rollo: Sie ist noch gut in Schuss.
Dr. Zigian: Also müsste sie nicht neu tapeziert werden?
Rollo: Das ist Ansichtssache. Man könnte. An einer Stelle hat sich die Tapete etwas abgelöst. Auch die Farbkombination war nicht optimal.
Dr. Zigian: Sie haben Rauhfaser in der Küche, die Sie überstreichen?
Rollo: Ja.
Dr. Zigian: Haben Sie schon mal überstrichen?
Rollo: Ja, aber nicht überall. An einer Wand mit zu dicker Farbe. Da ist die Farbe, wenn man hinguckt, etwas aufgerissen.
Dr. Zigian: Rollo, Sie wissen, dass es bei so etwas nicht nur darum geht, ob die Küche dann schön aussieht.
Rollo: Ich weiß nicht, ja und nein.
Dr. Zigian: Was wäre denn das „Ja“?
Rollo: Sie will sich gegen mich durchsetzen.
Dr. Zigian: Warum tapezieren Sie nicht?
Rollo: Weil ich im Moment sehr eingespannt bin. Und beim Renovieren werden wir uns noch mehr streiten. Sie will mir dann vorschreiben, wie ich das mache.
Dr. Zigian: Und wenn Sie sich einen Handwerker nehmen würden?
Rollo: Das sehe ich nicht ein.
Dr. Zigian: Sie wissen: Sie möchte, dass Sie für sie tapezieren.
Rollo: Was soll das heißen?
Dr. Zigian: Es geht nicht nur um eine Verschönerung. Sie würde sich freuen, wenn Sie etwas für sie tun würden. Sagen wir, ob Sie ihr einen Strauss Blumen schenken oder renovieren, gerade auch, obwohl Sie sehr eingespannt sind, das wäre ein Geschenk für Ihre hübsche Frau. Schenken Sie ihr Blumen?
Rollo: Nein.
Dr. Zigian: Oder etwas anderes…? Warum nicht?
Rollo: Weil, weil, weil… Ist das denn jetzt wichtig?
Dr. Zigian: Ja.
Rollo: Ich denke oft nicht dran. Ich finde es nicht wichtig.
Dr. Zigian: Andere Aufmerksamkeiten?
Rollo: Welche?
Dr. Zigian: Bringen Sie ihr Geschenke? Überraschen Sie sie?
Rollo: Ich habe wenig Zeit. Ich arbeite sehr viel.
Dr. Zigian: Sie opfern Ihre Beziehung für die Arbeit?
Rollo: Unsere Beziehung basiert doch auch auf dieser Arbeit.
Rollo wurde ärgerlich.
Rollo: Ich verdiene doch den Großteil des Geldes. Davon profitiert Sie doch auch. Ich kann mich nicht zerteilen.
Dr. Zigian: Sie sollten dem, was Ihnen wichtig ist, Ihre Aufmerksamkeit schenken. Ist Ihnen Ihre Frau wichtig?
Rollo: Ich glaube, nicht mehr. Deshalb haben wir uns ja auch getrennt.
Dr. Zigian: Wie haben Sie sich denn getrennt?
Rollo: Sie ist vorgestern gegangen, nachdem wir uns angeschrien haben. Sie ist bei einer Freundin.
Dr. Zigian: Ist es jetzt vorbei zwischen Ihnen? Endgültig?
Rollo: Ich weiß nicht.
Dr. Zigian: Ist Ihnen Ihre Frau überhaupt nicht wichtig?
Rollo: Doch, schon irgendwie…
Dr. Zigian: Betrachten Sie Ihre Frau als Geschenk.
Rollo: Wie meinen Sie das?
Dr. Zigian: Versuchen Sie es so zu sehen, dass Ihre Frau ein Geschenk ist. Jeden Tag neu.
Rollo: Ein Geschenk will mich aber nicht beißen.
Beide lachten.
Rollo: Außerdem: Dann bin ich für sie ja auch ein Geschenk.
Dr. Zigian schüttelte den Kopf.
Dr. Zigian: Das darf aber nur sie so sehen. Bleiben wir dabei: Wenn Sie sie mögen, ist sie ein Geschenk des Lebens an Sie. Sie müssen Sie würdigen und etwas für sie tun. Beschenken Sie sie zurück. Schenken Sie, was Ihr Gefühl ausdrückt. Renovieren Sie die Küche.
Rollo: Ich soll mir Liebe erkaufen?
Dr. Zigian: Es geht um schenken.
Rollo: Der Streit wird trotzdem weitergehen.
Dr. Zigian: Der Streit ist ihr Geschenk an Sie.
Rollo: Sie beschenkt mich, indem Sie mich beleidigt?
Dr. Zigian: Sie beschenkt Sie, indem Sie Ihnen ihre Leidenschaft schenkt. Schreit sie andere Männer an?
Rollo: Nicht, dass ich wüsste.
Dr. Zigian: Sehen Sie? Sie sind der einzige, mit dem sie das teilt. Sie sind etwas Besonderes für Sie.
Rollo: Ich fühle mich aber nicht wohl, wenn Sie mich anschreit oder so rechthaberisch ist. Außerdem: Es ist vielleicht auch einfach eine Frage der Dosis. Wir streiten immer öfter. Es hat total zugenommen und ist eingerissen. Oder ist das in Ihren Augen auch ein gutes Zeichen, dass sie weg ist und dass das alles nicht mehr geht?
Dr. Zigian: Vielleicht haben Sie beide im Laufe der Zeit verlernt, einander zu würdigen. Vielleicht ist aus einem Geschenkpaket eine Briefbombe geworden.
Beide lachten wieder.
Rollo: Das haben Sie gut gesagt. Was mich auch stört, ist, dass wir so nebeneinander her leben. Andere machen mehr zusammen. Aber gemeinsame Interessen, das fehlt bei uns.
Dr. Zigian: Gibt es nichts, was Sie verbindet?
Rollo: Nein. Das ist mir wirklich letztens aufgefallen: Wir haben keine Gemeinsamkeiten, hobbymässig. Wir haben kein Thema in dem Sinne, über das wir uns unterhalten könnten.
Dr. Zigian: Reden Sie nicht miteinander?
Rollo: Doch. Viel sogar.
Dr. Zigian: Worüber denn?
Rollo: Ich weiß nicht. Über alles mögliche. Wie der Tag war, wir ziehen über Leute her und lachen uns kaputt.
Dr. Zigian: Was mögen Sie an Ihrer Frau, wenn Sie mit ihr sprechen?
Rollo: Ihren Humor. Sie ist sehr witzig.
Dr. Zigian: Erzählt sie Witze?
Rollo: Nein, so meine ich das nicht, gar nicht. Sie hat einfach einen wunderbaren Humor. Und ihr Lachen mag ich. Der Klang ihrer Stimme ist überhaupt total schön.
Dr. Zigian: Sehen Sie ihre Frau gerne an?
Rollo: Ja, ich finde sie sehr schön. Manchmal könnte ich stundenlang nur dasitzen, sie ansehen und ihr zuhören.
Dr. Zigian: Sie ist ein sehr sehr witziger Mensch?
Rollo: Sehr sehr sehr witzig.
Beide lachten herzlich.
Dr. Zigian wurde wieder ernst.
Dr. Zigian: Wer in besonderer Weise witzig ist, muss zum Ausgleich schreien. Dafür wählt er immer nur eine Person im Leben aus, die er für würdig hält, angechrieen zu werden. Nicht nur Ihre Frau insgesamt ist ein einmaliges Geschenk an Sie, vor allem ist es ihre Wut. Denn ich bin sicher, die lässt sie woanders nicht so aus sich heraus. Stellen Sie sich ihre Wut als eine Strauß Blumen vor.
Rollo: Rote Rosen mit Stacheln?
Dr. Zigian: Aber Sie haben Augen im Kopf und sehen, wo die Stacheln sitzen. Sie müssen nicht hineinfassen.
Rollo nickte.
Dr. Zigian: Vielleicht ist Ihre Gemeinsamkeit etwas anderes, als Sie denken.
Rollo: Wie meinen Sie das?
Dr. Zigian: Das fehlende Thema, von dem sie gesprochen haben. Vielleicht haben Sie ein Thema jenseits von Kinobesuchen, Bücherlesen und Sport treiben, das Sie viel mehr miteinander verbindet. Das müssen Sie herausfinden. Vielleicht sind Sie beide Geschenke füreinander, die sich im Moment nicht mehr schenken wollen. Entdecken Sie das neu.
Rollo lächelte. Er erhob sich. Sie gaben sich die Hand und sahen sich in die Augen.
Dr. Zigian: Fahren Sie jetzt zu Ihrer Frau?
Rollo: Ich werde morgen Früh fahren. Ich muss noch Blumen kaufen.