Das Moers-Festival 2023

Es gibt Tage, da kommen die Dinge auf glückliche Art zusammen. Settings, Ereignisse und das Wetter. Gleich vier solcher Tage spendierte uns Moers zu Pfingsten, wo das Traditionsfestival zum 52sten Mal die freundliche kleine Stadt am Niederrhein zum Mittelpunkt hemmungslos improvisierter Musik machte.

Freundliches Wetter erlaubte es, das Festival bummelnd zu erleben. Denn zum Bummeln wurde es konzipiert, mit verschiedenen Spielstädten auf dem Festivalgelände und in der Stadt. Man wandert von Bühne zu Foot-Truck, weiter zur nächsten Bühne oder zum Shopping, dann mal zum Schwatzen auf die Wiese oder durch den Park in die Stadt und dann gleich wieder zurück zur Festivalhalle. So werden Kultur und Leben eins.

Jookloo Duo © Marion Kainz

Dadurch kommt das Festival nicht über die Stadt, wie es sich früher für die Einheimischen anfühlen konnte. Es ist das Festival der Stadt. Vor Jahren spazierten die Einheimischen Sonntags durch den Park um sich über die Jazzer zu empören, heute bringen sie ihre Kinder mit zum dem Feld mit dem putzigen Namen „Wo die wilden Kinder wohnen“ und amüsieren sich auf der Shopping-Meile. Ganz wunderbar: Über das ganze Wochenende verteilt stehen Festivalmusiker auf einer Bühne bei „Wo die wilden Kinder wohnen“ mit einem Instrumentenpark bereit, um Kinder erlebend in „Schnupperkursen“ an ihre Instrumente heran zu führen.

Bart Maris André Symann

Instrumenten-Schnupperkurs mit Bart Maris © André Symann

Dabei darf die Musik weiterhin rebellisch, aufregend und experimentell sein. Wie auch die Aufbauten. So hat das Moersteam schon wieder eine neue Bühnen-/Sitzplatzanordnung in der Festivalhalle gestaltet. Nicht mit dem Ziel der besten Lösung sondern dem der Bewegung, der Veränderung. Es geht darum, ein 52 Jahre altes Festival frisch zu halten.

Der Spagat, das alte Publikum zu bedienen, ein neues, deutlich jüngeres anzusprechen, die Stadt mit einzubeziehen und dabei ein relevantes Festival anzubieten ist gelungen.

Raissa Mehner © Marion Kainz

Besonders der Sonntagabend in der Festivalhalle war dafür gemacht, die junge Generation anzulocken. Hier ging es extremer, lauter und verzerrter zu als Sonstwo. Mit Musikern, die das klassische Raumkonzept Bühne-Publikumsränge aufhoben und innerhalb des Publikums agierten. Underground-Solokünstler, -Duos und -Bands aus USA, Hongkong, Frankreich und Italien loteten Grenzbereiche aus.

Aufregend war das György Ligeti Spezial, das ganz im Moers-Style gefeiert wurde. Einfach ein paar Musiker bekannte Werke Ligetis vom Blatt spielen lassen, das kann woanders stattfinden. In Moers wird neu erfunden. So komponierten sechs Musiker ein gemeinsames neues Werk im Ligeti-Sound, das eine Reise in das phantastischen Land Kylwiria zeichnet. Einem fiktiven Land, das sich Ligeti mit fünf Jahren ausgedacht hat.

Recursion © Marion Kainz

Verschiedene Konstellationen widmeten sich Ligeti auf unterschiedlichste Weise, vom kleinen zum großen Ensemble und im Chor. Auch mit dem im Vorjahr eingeführten @the same Time-Konzept. Dabei spielt ein Teil der Musiker auf der Bühne am Rodelberg, der andere in der Halle. Die Musiker hören das gesamte Soundergebnis, doch das Publikum hört nur die Hälfte derjenigen Bühne, vor der es gerade steht. Über irgendwelche unklaren digitalen Kanäle könnte auch der technikmutige Zuschauer die Gesamtperformance hören, doch für die Meisten und für den Moment heißt es eben, man hört nur eine Hälfte. Dieses Konzept wurde mehreren Musikern auferlegt und führte manchmal zu interessanten Ergebnissen, sogar zu überraschend vollwertiger Performance. Im Falle von Ligetis „En Meme Têmps“ allerdings hatte ich schwer das Gefühl, mindestens vor der falschen Bühne zu stehen. Für mich hat es nicht funktioniert und mir wäre das konventionelle Erlebnis unkonventioneller Musik deutlich lieber gewesen als das hippe digitale Experiment. Ich hoffe mal, dass der Erneuerungswille des Moers-Teams diese Konzept im nächsten Jahr für schon abgegriffen erklärt.

Dem Ligeti-Spezial untergerührt waren mehrere Konzerte mit Ligetis weltgewandtem Sohn Lukas, der in verschiedenen Konstellationen seine eigen Musik sowie Würdigungen seines Vaters anbot. Und darüber hinaus im Rahmen von „discussions!“für eine Diskussion zur Verfügung stand.

Alles in Allem wurde Ligeti auf einzigartige, eben moersige Weise gewürdigt.

Red Desert Orchestra foto © Marion Kainz

Red Desert Orchestra © Marion Kainz

Die ANNEX-Bühne bietet als neuere Tradition im Innenhof des Gymnasiums eine selbstverwaltete Improvisations-Plattform für Festival-Musiker und manchmal sogar Festivalgäste. Auch neuer Bühnenaufbau, die Bühne diesmal in der Mitte, das Publikum ringsum. Sehr spannend, offensichtlich auch für die Musiker selbst und jede Konstellation muss ihre eigene Wohlfühlaufstellung finden. Die einen spielen nach innen, um kommunizieren zu können, die anderen nach außen, zum Publikum hin und damit Rücken an Rücken. Die ANNEX-Bühne war immer wieder für besondere Momente gut. Die Magie des Moments. Scheiß auf das Digitale, es ist gut, wenn es auch Erlebnisse gibt, die kein reproduzierbarer und streambarer Jauchzer im Gesamtrauschen sind. Das macht den Moment nur kostbarer.

Der wahrscheinlich konventionellste Musiker des Wochenendes, die Saxophon-Legende Kenny Garrett, brachte am Montag Abend die Halle zum Kochen. Tanzbar, funky und kein bisschen angestaubt. Ein wunderbarer Ausklang.

Entlassen in eine laue Nacht geht es zufrieden auf den Heimweg. Damit das hier eine schöne Geschichte bleiben kann, endet sie hier ohne ein weiteres Wort über das ganz andere Bummeln des öffentlichen Nahverkehrs zu verlieren.

Wie immer reicht der Platz nicht aus, all die wunderbaren oder wundersamen Konzerte aufzuzeigen und deshalb lautet die Empfehlung wie immer: Geht nächstes Jahr selber hin. Es lohnt sich.

 

Titelbild: TrondheimVoices © Lars Schmidt