Anton Stankowski, Grafiker, Maler und Fotograf, 1906 in Gelsenkirchen geboren, 1998 in Esslingen gestorben, ist der Ahnherr des bundesdeutschen Grafik-Designs

Anton Stankowski, Grafiker, Maler und Fotograf, 1906 in Gelsenkirchen geboren, 1998 in Esslingen gestorben, ist der Ahnherr des bundesdeutschen Grafik-Designs.

In Gelsenkirchen ist bis zum 18. April die Ausstellung „Ob Kunst oder Design ist egal – nur gut muß es sein. Der Kreis um Anton Stankowski“ zu sehen. Sie ist ein Kooperationsprojekt von drei Museen und wird vom 2. Mai bis zum 4. Juli im Museum Wiesbaden und vom 18. Juli bis zum 5. September 2010 im Museum Göppingen gezeigt. Es sind Original-Drucksachen, vor allem Plakate, Fotos, Objekte und verschiedenartige Exponate zu sehen, die den Design-Prozess illustrieren.

Im Kern wird die Frage nach der Abgrenzung zwischen Kunst und Design aufgeworfen, was im Zusammenhang der Ausstellung nicht einfach zu beantworten ist, da Anton Stankowski, Max Bill oder Karl Gerstner, deren Arbeiten in der Ausstellung gezeigt werden, dreierlei waren bzw. sind: Gestalter, Gestaltungstheoretiker und Künstler. Die Ausstellung gibt zunächst insofern eine Antwort, als deren konstruktivistisches, radikal-reduziertes Grafik-Design, geistig durchdrungen ist. Es scheint, als  wollten die Designer um Stankowski dem Zufall in ihren Entwürfen keinen Raum geben, als gelte es, Logik und Folgerichtigkeit als Instrumenten der Rationalität Vorrang einzuräumen. Die Entwürfe wirken aus heutiger Sicht öfters brav, fast langweilig und nur in Ausnahmefällen – etwa wenn es um zwei Plakate für die „Kieler Woche“ geht – spannend. Überhaupt sind viele Entwürfe, die die Erfordernisse der Theorie erfüllen, vorhersehbar und wenig überraschend.

Grafik-Design als Denksportaufgabe
Wie ist es zu erklären, dass ausgewiesene Kommunikations-Designer, die man davor „Grafik-Designer“ bzw. „Werbe-Grafiker“ und zu ihrer Zeit „Gebrauchs-Grafiker“ oder einfach „Grafiker“ nannte, sich für Künstler halten? Die Programmatik legt es nahe. Im Wesen der Kunst offenbart sich eine Haltung. Im Grafik-Design muß das nicht zwangsläufig so sein. Ein Grafik-Designer kann ohne Haltung oder große Überlegung seine Arbeit für einen Auftraggeber verrichten. Stankowski gebührt der Verdienst, weit reichende gedankliche Prozesse in Gang gesetzet zu haben, die den fertigen Entwurf als Resultat eines tiefgreifenden Denkprozesses ansieht. Er hat die Stringenz des Denkens in ein Handwerk eingebracht, das viele in seinem Einflußbereich positiv beeinflußt hat, das andernorts normalerweise singulär – also ohne Einbindung in eine Systematik – oberflächlich und unreflektiert gehandhabt wurde und wird.

Design als Systematik
Anton Stankowski prägte wie kein Zweiter das Grafik-Design in Deutschland. Es gibt nicht viele Grafik-Designer, die in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts begannen, das visuelle Bild der Druckerzeugnisse, all der Broschüren, Plakate, Werbeanzeigen oder Außenbeschriftungen zu prägen – vor allem ein visuelles Erscheinungsbild mit Logo, Schriftwahl und Farben sowie ein Regelwerk für deren Zusammenspiel zu schaffen. Anton Stankowski ist der Ahnherr all der Grafik-Designer im deutschsprachigen Raum, die man heutzutage kennt, die aber inzwischen abgedankt haben bzw. in die Jahre gekommen sind und einer oszillierenden jüngeren Generation Platz gemacht haben.

Ein Exponat aus der Ausstellung in Gelsenkirchen aus den Anfangstagen der Design-Systematik: Ein gedrucktes Corporate-Design-Heftchen von Karl Gerstner.

Ein Exponat aus der Ausstellung in Gelsenkirchen aus den Anfangstagen der Design-Systematik: Ein gedrucktes Corporate-Design-Heftchen von Karl Gerstner.

Stankowskis Auftraggeber
Stankowski selbst hat durch die Entwicklung des Logos für die Deutsche Bank, das von einem Prozentzeichen abgeleitet wurde, einige Bekanntheit erlangt. Der Design-Professor kam aus der nordrhein-westfälischen Ruhrgebietsstadt Gelsenkirchen, hat seinen Weg aber in Stuttgart mit eigenem Designbüro gemacht und galt jahrzehntelang, eigentlich sogar bis zu seinem Tod als gottgleiche Grafik-Design-Autorität. Parallel dazu hat er sich als Künstler betätigt und stand dafür, die Grenze zwischen den Disziplinen durchlässiger zu machen. Seine Illustrationen für den Heizkesselhersteller „Viessmann“ beispielsweise, die man auf den Titelblättern von Broschüren finden konnte und die auch mal zu einem Büchlein zusammengefasst wurden, wirken denn wie konstruktivistische Kunst.

Die Philosophie des Grafik-Designs von Otl Aicher
Otl Aicher, ein wichtiger Schüler Stankowskis wurde gemessen an seiner Autorität in Design-Kreisen so etwas wie dessen programmatischer Nachfolger – vielleicht auf gleicher Höhe mit Kurt Weidemann, der in der Öffentlichkeit durch das Re-Design des Bundesbahnlogos bekannt geworden ist und in Fachkreisen unter anderem durch seine Schriftkreationen „Weidemann“, die für die Deutsche Bibelgesellschaft entstanden ist, und die „Corporate ASE“, für Mercedes. Aicher hat unter Kommunikations-Direktor Stankowski das Grafik Design für die Olympischen Spiele 1972 geschaffen. Sein Piktogrammsystem von damals gilt noch heute als Sternstunde informierenden Grafik-Designs, seine Darstellung der Systematik der Schrift „Univers“, entworfen von Adrian Frutiger, die damals zum Einsatz kam, ist ins typografische Grundwissen eingegangen. Vor allem hat er den Schriftbestseller der letzten beiden Jahrzehnte gestaltet, die „Rotis“, die es sogar vermocht hat, Standardschriften wie „Times“ oder „Helvetica“ etwas zu verdrängen. Zudem hat er Logos und Erscheinungsbilder für Unternehmen wie die Lufthansa, den Leuchtenhersteller Erco oder den Türklinkenhersteller FSB geschaffen. Sein Buch „Typografie“ ist ein nach seinen Prinzipien mustergültig gestaltetes Standardwerk der Grafik-Design- und Schriftkunde geworden. Aicher war wie viele in der Ausstellung kein kreativer Designer im heutigen Sinne sondern ein ordnender. Kennt man ein Buch, das er gestaltet hat, kennt man alle. Sein Verständnis von Flächenaufteilungen und Proportionen ist kaum zu überbieten, aber seine Design-Postulate mündeten in einen Dogmatismus, der seine Gestaltungskraft auf einen schmalen Ausschnitt des Möglichen verengt hat. Das ist exemplarisch für die meisten, deren Arbeiten in der Ausstellung zu sehen sind.

Josef Müller-Brockmann und die ordnende Macht der Raster-Typografie
Der Gipfel der Ordnungsliebe war im Wirken des Schweizer Gestalters Josef Müller-Brockmann und seiner so genannten Rastertypografie erreicht. Raster in der Gestaltung sind Hilfslinien- und Proportionssysteme, die die Einheitlichkeit bei der Gestaltung gerade von umfangreichen Drucksachen wie bildorientierten Büchern und Zeitschriften sicherstellen sollten. Der Einsatz eines Gestaltungs-Rasters – auch genannt „Typografie-Raster“, weil es in erster Linie festlegt, welche Schrift- und Bildgrößen mit welchen Zeilenabständen wie in Bezug zueinander stehen – führt dazu, dass Seitengestaltung nicht mehr beliebig ist. Fotogrößen oder -Positionen zum Beispiel sind nicht mehr frei wählbar, sondern immer das Vielfache einer vorher festgelegten kleinsten Einheit. Müller-Brockmann hat zu diesem Spezialthema mit „Rastersysteme“ das maßgebliche Buch geschrieben. Er ist in der Ausstellung vertreten und im übrigen einer der profiliertesten und zwingendsten Gestalter. Die Rastertypografie von Müller-Brockmann ist ein gutes Beispiel für das Streben der Designer, den Designprozess einem unverrückbaren Dogma zu unterwerfen. Sie kann als Kontrollbedürfnis und Allmachtsstreben in visuellen Dingen gewertet werden, die nichts dem Zufall überlassen wollen – wobei der Zufall im Design eigentlich das Salz in der Suppe ist. Sinnvoll eingesetzt sichert ein Gestaltungsraster die Einheitlichkeit der visuellen Anmutung. In der Praxis führt die Komplexität eines solchen Rasters jedoch zu Einschränkungen für die Kreativität, weil der Design-Prozess dadurch mehr kopf- und weniger emotionsgesteuert wird.

Die große Sachlichkeit
Geprägt ist manch spröder Entwurf in der Ausstellung von der Liebe zur Schrift. Manch ein Designer ist gelernter Schriftsetzer oder Lithograf, wie zum Beispiel Stankowskis Schüler und späterer Kompagnon Karl Duschek. Der sah offenbar in der großen Abbildung einer perfekt unterschnittenen Schrift – das heißt, in der optimalen Ausrichtung der Buchstabenabstände, die für jeden Schriftsetzer das Maß der Dinge ist – schon den Inbegriff der Schönheit und das Erreichen eines wichtigen Zieles. Einem Studenten würde man ein Plakat, wie Duschek es 1997 für Hans Heinz Holz gestaltet hat, heute um die Ohren hauen. Ihren Wert erhalten die meisten Arbeiten durch ihre Verortung innerhalb einer Gestaltungsprogrammatik, man könnte sagen, ihr Wert liegt im Ideellen, in der Visualisierung einer übergeordneten Idee des Rational-Konstruktiven, die vom Weglassen alles Überflüssigen und der Umsetzung von Theorien, was Grafik Design sein sollte, bestimmt ist. Unter den Exponaten sind wenige experimentelle Ansätze zu sehen. Die Strenge der Entwürfe wird in der Ausstellung von einigen witzig-kreativen Geburtstags- und Glückwunschkarten durchbrochen, die zeigen, dass sich Design-Urgestein auch mal auf die Schippe nehmen kann.

Reduktion gegen Informations-Inflation
Ansonsten mutet das dargebrachte Grafik-Design sehr deutsch an: Sachlich, streng, verkopft, ernst. Andererseits stellte diese formale Reduktion eine Gegenposition zum nur Dekorativen, zur Überladenheit und Schnörkligkeit dar, die zu Anfang des letzten Jahrhunderts noch prägend waren. Die Haltung, die diesem Grafik-Design inne wohnt, könnte zukünftig in Zeiten des Informations-Overkills wieder eine Renaissance erfahren.

Josef Albers und seine Farbstudien
In der Ausstellung sind ein paar Exponate von Josef Albers zu sehen, einem Künstler, der Farbenlehre und Farbsystematik ins Zentrum seiner Arbeit gestellt hat. Josef Albers ist bekannt geworden durch seine Bilder, die das Motiv der quadratischen Farbfläche variieren und als solcher ein „Künstler der Künstler“ geworden, einer, der ebenfalls Gestaltungs-Grundlagen gelegt hat. Dabei fällt auf, dass das „Bauhaus“ oder die Ulmer Hochschule für Gestaltung, die eine gestalterische Vereinfachung, eine Reduktion auf das Wesentliche vertraten, so theoretisch gearbeitet haben, dass daraus Prinzipien hervorgingen, die zugleich für künstlerisches Wirken gelten können. Denkbar ist das Wirken des Kreises um Anton Stankowski nur vor einem akademisch geprägten Hintergrund und seinen Möglichkeiten. So konnte sich Stankowski durch seine Professur mehr vom Design-Büro lösen und der Kunst zuwenden.

Michael Schirner und die Werbekunst
Der Titel der Ausstellung läßt an Michael Schirner denken, ab den 70er Jahren ein erfolgreicher Werbetexter und Creativ-Director, der mit seiner Dauer-Kampagne für Jägermeister – „Ich trinke Jägermeister weil…“ – im Gedächtnis haften geblieben ist. Der nämlich hatte in einem Buch behauptet: „Werbung ist Kunst“. Man könnte hier die Frage stellen, wie käuflich dann Kunst sein müßte, wenn Werbung Kunst wäre. Werbung bzw. auch Werbegrafik könnten so gesehen höchstens die Kunst sein, mehr Geld zu verdienen. Ähnlich verhält es sich mit Grafik-Design, das Kunst sein will, in Wirklichkeit aber Handwerk, bestenfalls Kunsthandwerk ist – was nicht ehrenrührig ist.

Kunst in der Mediengesellschaft
Gemäß eines erweiterten Kunstbegriffes könnte jedoch alles Kunst sein. Es könnte auch Kunst sein, zu behaupten alles sei Kunst. Wenn man es enger fasst, ist Werbung aber sicher nie Kunst. Eine gegenläufige Tendenz ist da klarer sichtbar: Kunst als Teil einer verflachenden Medienlandschaft. So wie die hohe Schule der Werbung im gelungenen Kalauer das Nonplusultra sieht – wie zum Beispiel in der Hochphase von Deutschlands ehemals kreativster Agentur „Jung von Matt“ geschehen –, so ist das manchmal auch bei einer Kunst, die fern jeden kritischen Potenzials witzig-unterhaltsam ihre Botschaften rüberbringt. Wer wollte der Kunst einen Vorwurf daraus machen? Wenn sie im Gleichklang mit den Menschen in dieser Gesellschaft die erreichen will, die medial konditioniert ebenfalls ihr Niveau gesenkt haben? Einer würde sich erheben und ihnen ganz sicher die Leviten lesen, wenn er noch lebte: Anton Stankowski.

Kunst und Design im Widerstreit?
Die Unterscheidung zwischen Kunst und Design sollte nach Kriterien der gesellschaftlichen Relevanz und des (ökonomischen) Lebensmodells, das die Basis des künstlerischen Ausdrucks bildet, vorgenommen werden. Der Künstler hat die Funktion, sich auftraggeberunabhängig auszudrücken. Er sollte der Gesellschaft einen zweckfreien Erkenntnisgewinn bringen. Ein Grafik-Designer, der diesen Anspruch einlösen wollte, müsste sich seiner Auftraggeber entledigen. Anton Stankowski hat das in gewisser Weise getan, indem er ab den 70er Jahren sein Designbüro in die Hände von Karl Duschek gelegt und sich verstärkt siner Kunst gewidmet hat. Anders herum laufen Künstler, die zu sehr Teil einer ökonomischen Verwertungskette geworden sind, Gefahr, sich ihrer gesellschaftlichen Relevanz zu entledigen. Da es verschiedene Schnittmengen zwischen diesen Modellen gibt, wäre die Unterscheidung im Einzelfall zu treffen.

Fazit: Was bringt die Ausstellung?
Der Ausstellung kommt der Verdienst zu, eine zentrale Frage aufzuwerfen: Die nach der Unterscheidung von Kunst und Design, der in der heutigen Zeit ein noch größerer Stellenwert als damals zukommt, weil die Trennlinien verschwimmen. Es geht auch um die Feststellung, dass ein Mensch – gerade, wenn man seinen vollständigen Lebensweg betrachtet – vieles sein kann. Im Katalog zur Ausstellung wird Leonardo DaVinci angeführt, der nicht zwischen Kunst und Handwerk unterschieden habe. Das Problem in der heutigen Zeit besteht darin, dass eine medialisierte und vernetzte Gesellschaft eine fast hemmungslose Selbstdarstellung zelebriert, in der zum Beispiel selbst Pornostars bestrebt sind, sich als Künstler zu vermarkten. Bekanntlich sonnen sich Designer wie Werber gerne im Licht der Kunst, versuchen die Grenzen zu verwischen, um sich besser zu positionieren und am Ende selbst „Künstler“ genannt zu werden. Da ist es sinnvoll, Begriffe wie „Kunst“, „Unterhaltung“ oder „Design“ wieder künstlich zu trennen, auch wenn sie im Laufe der Zeit eher zueinander gefunden haben. Der Wert solcher Klarstellungen liegt nicht in unverrückbaren Definitionen sondern in einer Positionsbestimmung, einer kulturellen Verortung, die letztlich Orientierung bringt. Und da schließt sich der Kreis hin zu Anton Stankowski, für den die Klarheit der Aussage, die Orientierung bringt, ein hohes Gut war.