Fürstinnenroman

Marga, die glutäugige alternde Schönheit, ließ sich von ihrem neuen Haushälter, Pierre, vom Flughafen zurück zum Schloss fahren. Sie war gerade von einem längeren Urlaub in Südtirol zurückgekommen. Der Urlaub war toll gewesen, das Essen in einem kleinen Hotel preiswert und vor allem viel. In dem Hotel traten regelmäßig Watschentänzer auf, die sehr stramme Waden hatten und für Geld praktisch alles taten. Nicht anders zu erwarten von Leuten, die ihre Waden zeigen. Fußknöchel, Waden, alles die gleiche Mischpoke. Marga dachte an Sepp und lächelte.

„Hast du eigentlich kurze Hosen?“, fragte sie Pierre. Der verneinte das, schaute ein bisschen irritiert drein und versuchte sich dann wieder auf den Straßenverkehr zu konzentrieren. Er fand, dass er Hühnerbeine habe. Seine Chefin verwirrte ihn auf eine unangenehme Art. Es war schöner gewesen, als sie weg war und die zwei Monate waren wie im Flug vergangen. Er fragte sich, ob er nicht lieber wieder als Klempner arbeiten sollte. Er könnte auch Exorzist werden. In Südfrankreich waren die so beliebt, wie die Magnétiseure in Nordfrankreich. Bevor Marga wegfuhr, hatte sie Pierre gefragt, was er von Kathetern halte. Er wusste nicht, ob oder wann sie Witze machte. Manchmal lachte sie ja, aber dabei schaute sie dann ganz gemein, und Pierre bekam eine Gänsehaut – nicht wegen der Kälte, dem Mistral oder wegen der Klimaanlage.

Sie erreichten das Schloss. Pierre öffnete das große purpurne Eingangsportal aus dem 18. Jahrhundert. Ganz oben im Tor sah man ein verschnörkeltes Herz. Nur deshalb hatte Marga dieses Tor unbedingt kaufen wollen. Es hatte früher einem uralten verarmten Adeligen gehört. Marga hatte ihn besucht, ganz allein – das war ja so mutig von ihr gewesen – und trug dabei ihren kürzesten Minirock. Die Sonne stach auf sie hinab, als sie vor diesem Tor gestanden und geklingelt hatte. Der alte Mann ließ sie ein. Er wohnte mit seiner Schwester zusammen. Der Hof war voller Hühner, die auch auf Tische und Bänke sprangen und überall hinmachten. Ekelhaft hätte das eigentlich sein sollen. Aber Marga war das egal, sie wollte das Tor haben, alles andere interessierte sie nicht. Manchmal verkaufte der Alte etwas, um sich mehr Hühner zu kaufen oder was ein alter Mann so braucht. Die Schwester kochte jedenfalls für alle. Es gab gebratenes Huhn und verdünnten Wein, wie in Italien. Womit auch die Brücke zu Südtirol geschlagen wäre. Alle aßen von einem großen Teller. Der alte Mann schwatzte und schmatzte viel und unter dem Tisch hatte Marga ihr Knie an seins geschoben. Nach dem Essen verkaufte er ihr das Tor für wenig Geld. Die Hühner liefen dann manchmal auf die Straße. Sie ließ das Portal zu ihrem Schloss bringen und suchte eigenhändig die Farbe aus, in der ihre damaligen Haushälter es lackieren mussten. Purpur, die königliche Farbe.

Dann fuhren Marga und Pierre über den weißen, knirschenden Kies zum Schloss. Vorbei an Blumenrabatten mit gelben Blumen. Plötzlich kreischte Marga:„Die Blumen sind ja alle tot!“ „Wie bitte?“, fragte Pierre verwirrt. „Gelbe Blumen sind tot!“, verkündete Marga und ihre Stimme zitterte voller Empörung. Die Blumen des Anstoßes standen auf einem kleinen Beet vor dem Häuschen der Bediensteten. „So etwas hat es im Barock nicht gegeben!“, schrie Marga und fügte hinzu: „Du reißt die toten Blumen jetzt sofort aus!“ Pierre seufzte. Seine Frau würde das nicht lustig finden. Sie hatte die Blumen extra für die Rückkehr ihrer Arbeitgeberin gekauft. Sie stiegen aus. Pierre riss dann die Blumen aus, während Marga neben dem Beet stand und sich mit einer Reitgerte auf die Stiefel klopfte. Sie trug einen barocken Hosenanzug, den sie selbst entworfen hatte. Er hatte viele Rüschen. Er stand ihr sehr gut. Pierres eher unspektakulär aussehende Frau sah aus dem Wohnzimmerfenster heraus zu und zog es vor, nicht hinauszugehen. Sie könnte im Eifer des Gefechtes etwas sagen, das sie später bereuen würde, womöglich die Wahrheit. Die Wächterin versuchte, zu Marga hinüberzulächeln, aber es gelang ihr nicht. Sie ballte die Fäuste in den Taschen ihrer Schürze. Endlich stakste Marga hoheitsvoll zum Schloss. Pierre lud sie noch – wie es das Ritual verlangte – zum Abendessen ein. Das würde ein Spießrutenlauf für ihn werden. Er fragte sich noch einmal, ob er nicht etwas anderes werden sollte, zum Beispiel Dompteur, in einem Wanderzirkus. Er hatte letzten Monat noch einen gesehen. Darin ganz müde Löwinnen, die gewiss nicht mit Kathetern oder Reitgerten herumspielten. Er lächelte freudlos. Das gelang ihm einwandfrei.

Pierre war kaum im Dienstbotenhaus angelangt, da klingelte das Telefon. „Was ist denn jetzt schon wieder?“, nörgelte seine Frau, hob dann aber doch ab. Es war Marga. Wer auch sonst? Margas Stimme war eine Oktave höher gerutscht als gewöhnlich. Sie hätte jetzt gut die Arie der Königin der Nacht singen können, zumindest was die Höhe ihrer Stimme anging. Von klarer oder auch nur verständlicher Aussprache konnte allerdings nicht die Rede sein. „Hiiiiiiiiiiiiih“, kreischte Marga. Was denn los sei, fragte Pierres Frau und redete dabei bewusst ruhig und leise. Marga holte tief Luft und sagte dann abgehackt und von Schluchzern unterbrochen: „In meinem Bett“ – sie hatte ein barockes Himmelbett, das zu kurz für moderne Menschen war – „hängt ein Tier … am Baldachin. Es ist dunkel … und hängt mit dem Kopf nach uuuunteeeeen.“ „Eine Fledermaus?“, fragte die Haushälterin ruhig. „Neiiiiiiiiin“, schrie Marga: „es hat Füße.“ „Okay, ich komme rüber und schau mir das Tier an“, sagte die Haushälterin und wechselte einen Blick mit ihrem Ehemann. Dann legte sie auf. „Was ist denn los?“, fragte Pierre. „Es hat Füße“, kreischte die Haushälterin und freute sich: „Die Chefin hat eine Fledermaus im Bett“. Dann ging sie und holte die ledernen Arbeitshandschuhe ihres Mannes. Sie stapfte also hoch in den zweiten Stock und ins Schlafzimmer. Dort saß Marga auf einem barocken Stühlchen und lächelte verkrampft. „Immerhin ist sie noch vollständig bekleidet“, dachte die Haushälterin, zog die Schuhe aus und stellte sich dann ins Bett. Dort hing eine winzige Fledermaus, die jedenfalls noch nicht ausgewachsen sein konnte. Die Frau pflückte das kleine Tier und hielt es vorsichtig in den klobigen Handschuhen. Marga wies darauf hin, dass sie es nicht wünsche solche Tiere in ihrem Schloss vorzufinden. Das kleine Vampirgesicht, das nicht größer war als Margas Daumennagel, verzog sich zu einem drohenden Fauchen. Es zeigte kleine spitze Zähnchen. Die Haushälterin ging mit dem Tier hinaus. „Schau nur, wie niedlich“, sagte sie zu ihrem Mann, der vor dem Schloss gewartet hatte. Er machte ein Foto. Dann brachten sie das kleine Tier in eine alte Scheune und setzten es dort vorsichtig auf eine abgedunkelte Fensterbank.

Derweil rief Marga ihre Freundin Désirée an und berichtete über ihr neuestes Abenteuer: „Die Haushälterin hat mir einen Vampir in mein Bett gesetzt! … Doch wirklich! Das hab ich an den Füßen gesehen.“

Teil 1: Voodoo
Teil 3: Marga schreibt ein Buch
Teil 4: Griselidis
Teil 5: Jean-Pierres Wunsch geht in Erfüllung
Teil 6: Reinkarnierte Hunde
Teil 7: Abstürze
Teil 8: Schrecken
Teil 9: Auferstehung

Hier ist das zweite Buch Leben ohne Marga von Charlotte Palme nachzulesen:
Teil 1: Leichenschmaus
Teil 2: Relativitätstheorien
Teil 3: Jagdfieber
Teil 4: Das Frohe leben am Hofe