Zeitfuge

Ich habe eine Armbanduhr, die die Zeit in digitalen Ziffern anzeigt. Eigentlich habe ich eine analoge Uhr mit Ziffernblatt lieber. Da erscheint mir die Zeit planbarer, nachvollziehbarer.

Die 12 Stunden im Überblick geben mir Orientierung und gemessen an kosmologisch-unüberschaubaren Zusammenhängen auch eine trügerische Sicherheit im kleinen. Eine Uhr mit Ziffernblatt ist ein Versprechen, dass alles überschaubar und geregelt ist.

Die Zeit als Voraussetzung für die Beschreibung der Wirklichkeit

Die Zeit ist in der Physik eine grundlegende Größe. Einsteins Relativitätstheorie und praktisch alles Wesentliche in der Physik hängt mit dem Raum und der Zeit zusammen. Den Raum kann man ausloten, sein Vorhandensein messen und nachweisen. Die Zeit aber nicht. Die Zeit wird als gegebene Voraussetzung lediglich angenommen. Ihre Existenz liegt ja auch nahe. So wie ein Künstler ohne Pinsel und Leinwand kein Ölbild malen könnte, so kann ein Physiker Ereignisse wie den Urknall ohne die Zeit nicht beschreiben; denn die Physik sagt ja, dass Zeit und Raum erst durch den Urknall entstanden seien. Damit ist gemeint, dass die Grundlagen unserer Wirklichkeit oder kühner ausgedrückt unsere Wirklichkeit selbst sich erst durch den Big Bang manifestiert haben.

Die Zeit als Begrifflichkeit

Die Zeit, wie sie sich allerdings in unserem Alltag manifestiert, ist neben ihrer ganz praktisch ordnenden Funktionsweise beispielsweise kongruenter Terminvereinbarungen bei Meetings oder der Ankunft und Abfahrt öffentlicher Verkehrsmittel, beim Arbeitsbeginn oder der goldenen Hochzeit vor allem: ein Begriff.

Die Zeit und ihr scheinbares Vorhandensein

Begriffe sind Konstrukte zur Erschließung der Wirklichkeit. Begriffe sind sozusagen kleine Theorien oder Postulate in sich. Begriffe geben vor, die Wirklichkeit abzubilden und eine Entsprechung zu ihr – also existent – zu sein. So auch der Begriff „Zeit“. Was aber, wenn die Zeit gar nicht existiert?

Die Zeit als Voraussetzung von Denken

Die Frage, ob es die Zeit gibt, in eine Frage zu kleiden, ist ein defensiver Ansatz. Tatsächlich ist klar, dass wir uns im Alltag die Zeit als Vereinbarungssystem funktional zunutze gemacht haben, dass wir uns ihre Existenz aber nur vorstellen.

Die Zeit und ihre Negation durch Gleichzeitigkeit

Wir leben in einer zyklischen Wirklichkeit, können Werden und Vergehen beobachten – wie zum Beispiel Tod und Geburt oder die Jahreszeiten in ihrer permanenten Aufeinanderfolge. Doch befinden wir uns natürlich in der gleichen Wirklichkeit, die wir wahrnehmen. Könnten wir in dieser Relation zwischen uns und der von uns erfahrenen oder projezierten Wirklichkeit sehen, wenn die von uns in einer zeitlichen Abfolge gesehenen Ereignisse anstatt dessen in einer Gleichzeitigkeit existieren würden?