Aus zwei wird eins: Lohnen sich politische Debatten, wenn die Trennlinie zwischen den Gegnern unsichtbar ist?

Aus zwei wird eins: Lohnen sich politische Debatten, wenn die Trennlinie zwischen den Gegnern unsichtbar ist?

Mein Wählertagebuch (1)

Gestern Abend fühlte ich mich schuldig. Ich war immer noch nicht entschieden, wen ich am 27. September in der tristen Schule gleich um die Ecke, dann Wahllokal, ankreuzen würde.

Ich fühlte mich so schuldig, dass ich das eigens für mich inszenierte Medienspektakel namens TV-Duell verfolgte. Mit Anmoderation durch Anne Will und anschließender Schwatzrunde mit Anne Will. Noch über 30 % Unentschlossene. Ich war einer von Millionen, um die sich die Kandidaten noch richtig Mühe geben würden.

Zum Duell waren Angela Merkel und Frank-Walter Steinmeier geladen. Das fand ich etwas unglücklich, denn keiner der beiden würde am 27. auf meinem Wahlzettel stehen. Wie sollte mir ein Duell zwischen Menschen, die ich nicht wählen kann, helfen, Menschen zu wählen, die zwar auf meinem Wahlzettel stehen, aber nicht zum TV-Duell geladen sind?

Ich war irritiert, aber auch schuldig. Also hielt ich durch. Die ganze Zeit. Gut, zwischendurch habe ich mir den freundlicherweise von Ralf Wasselowski verlinkten Musiktipp „Heavy Cross“  angehört und die Zehennägel manikürt. Aber ich habe den Ton nie abgeschaltet und auch nie den Sender gewechselt.

Aus früheren Events dieser Art wusste ich, worauf der Politikkenner achtet: Wie die Kandidaten sich darstellen. Ob sie Schwächen zeigen. Oder ob Wissenslücken offenbar werden. (Obschon bei früheren TV-Duellen kein Wissen abgefragt wurde und ich mich gerade nicht daran erinnern kann, wann ich zuletzt von einem Politiker echtes Wissen präsentiert bekam. Dass er gerade Steuersenkungen oder -anhebungen gut findet, sollte ein professioneller Politiker auch mal aus dem Stehgreif „wissen“.) Wie ihre Attacken dem Gegner zusetzen. Ob sie auch mal leicht nervös wirken. Und so weiter. In der anschließenden Bewertung durch Experten und Journalisten und Politiker würden Inhalte keine Rolle spielen, nur die Frage, wie gut der Kandidat uns vorgespielt hat, dass er die richtigen Inhalte verkörpere. Das fand ich früher schon seltsam, denn es war mir doch immer wichtig, was als Abstimmungsergebnis der Parlamente hinten raus kam, und nicht, ob der Bundeskanzler bei der Debatte vorher eine wundervolle Rede wie ein Shakespeare-Schauspieler ohne einen einzigen Räusperer gehalten hat. Die zur Fraktionsdisziplin verniedlichte Gängelung der Abgeordneten durch die Fraktionsspitze würde ohnehin dafür sorgen, dass die Abstimmungsergebnisse der Regierungsparteien zugunsten des Kanzlers ausfallen. Soll er sich also ruhig räuspern können während seiner Rede.

Doch ich war ja schuldig. Also achtete ich beflissen auf all die Zeichen, die mir zeigten, wie gut die Kandidaten spielen konnten, dass sie die richtigen Kanzler wären.

So saß ich armer Tropf da und schaute zu, wie die Kanzlerin, die ich nicht wählen konnte und deren Partei ich sowieso nie wählen würde, und der Kanzlerkandiatat, den ich auch nicht wählen konnte und dessen Partei ich aufgrund der Verwechelbarkeit mit der Partei der Kanzlerin auch nie mehr wählen würde, abwechselnd und mit beeindruckend gerechter und grafisch dokumentierter Zeiteinteilung die Anforderungen an einen geilen TV-Event sabotierten. Mein angelerntes Rhetorik-von-Kanzler-Kandidaten-Wissen nütze nichts, die Spikzettel wanderten in den Papierkorb.

Im Anschluss hörte ich mir noch ein Weilchen Anne Will und ihre Gäste an. Da war zum Beispiel Günther Jauch, den ich seit der Fälscheraffäre um Michael Born nicht mehr im Fernsehen angeguckt hatte. Nettes Wiedersehen. Schien ihm ganz gut zu gehen. Klaus Wowereit war auch da. Der Meister im Nichts-wissen-und-prima-daher-reden. Ein wahrer Fachmann für diesen Abend. Es gab auch einen Fachmann für das Darstellen von So-tun-als-wäre-man-ein-guter-Kanzler, Claus Peyman vom Berliner Ensemble. Dann noch eine Klatschtante von der Bunten und noch so`n paar Nasen. Die haben mir noch einmal alles erklärt, was ich schon wusste, weil ich ja nicht abgeschaltet hatte. Über das, was hinten rauskommt, wenn man einen der beiden, die ich nicht wählen kann, wählt, hat keiner gesprochen.

Wir sind bei Deutschland sucht den Superkanzler gelandet. Das fesche Auftreten der Spitze zählt. Für die vielen Namen, die auf meinem Wahlzettel stehen werden, interessiert sich der Politprofi nicht. Die vielen zur Wahl stehenden Kandidaten scheinen nur Stimmvieh zu sein. Nicht der Rede wert.

Eine Antwort auf die Frage, wen ich wählen soll, hat mir der Abend mit den für mich unankreuzbaren Kandidaten der noch unvereinten CDU/CSU/SPD nicht gebracht.

Also verspreche ich mir selbst, ein Wählertagebuch zu führen, um hinreichend motiviert zu sein in diesem Wahlkampf auch mal hinzuschauen. Je früher ich ein entschiedener Wähler bin, desto eher kann ich wieder ruhig schlafen.