James Turrell, Jahrgang 1943, arbeitet mit Licht und Architektur und verschmilzt diese Ingredienzien zu einer eigenen Form der Land Art.

James Turrell, Jahrgang 1943, arbeitet mit Licht und Architektur und verschmilzt sie zu einer eigenen Form der Land Art. (Porträt von James Turrell, fotografiert am 24.4.2009. Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Kunstmuseum Wolfsburg © Florian Holzherr 2009).

Eine erleuchtete Ausstellung geht zu Ende. Ab dem 6. April, wird aber das Hauptwerk der Ausstellung weiter gezeigt. Der amerikanische Licht- und Landart-Künstler James Turrell hat im Kunstmuseum Wolfsburg im Rahmen der Ausstellung „The Wolfsburg Project“ innerhalb der umfangreichsten  in Deutschland gezeigten Werkschau unter anderem völlig leere Räume gestaltet, die nur mit Licht gefüllt sind. Das wirkt erhellend.

Tatsächlich liegt eine Verwandschaft zu einem anderen Ort der inneren Einkehr sehr nahe: Zu dem der Kirchen, die durch ihre Fenster Innenräume in Farben erstrahlen lassen und visuell transzendieren. Das kommt nicht von ungefähr; denn James Turrells Kunst ist religiös beeinflusst.

Licht-Land-Art

Die Zeiten, in denen die Träger einer künstlerischen Botschaft materiell sein mussten, sind nicht erst seit dem Leben am Computerbildschirm und virtuellen Kunstaktionen überholt. Neben Kunstaktion und -Installation sowie Crossover-Kunst setzen großräumig arbeitende Land-Art-Künstler, die ganze Landschaften zu Kunstobjekten umformen, andere Impulse. Turrell ist einer von ihnen. Er koppelt jedoch auf ganz eigene Weise in seinem Hauptwerk „Roden Crater“ Landart mit Lichtkunst.

Kunst als Lichtgestalt

Manche Kunst beeindruckt durch ihre Aussage, andere durch ihre Form. Turrell formt Landschaften und Räume um, verwandelt sie in Erfahrungsfelder für die Sinne. Dabei arbeitet er mit einem eindrucksvollen, kaum fassbaren und temporären Werkstoff: Mit Licht. Legt man den Schalter um, gehen zum Beispiel im für die Wolfsburger Ausstellung geschaffenen Licht-Erfahrungsraum auf 700 qm alle 30.000 Leuchtdioden aus, ist alles fort, was den Raum „Bridget’s Bardo“ ausmacht.

Licht intensiv:

Intensiv: Das Licht im Auge des Betrachters schafft eine neue Welt. (Bridget’s Bardo, Ganzfeld Piece, 2008, begehbare Installation. Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Kunstmuseum Wolfsburg. © James Turrell, Foto: Florian Holzherr).

„Bridget’s Bardo“

Allein der Titel ist vielschichtig. Zuerst wirkt er wie ein simples Wortspiel als Verschmelzung des Namens der Schauspielerin Brigitte Bardot und dem Begriff „Bridge“ (Brücke). Im Tibetanischen Buddhismus bezeichnet „Bardo“ aber auch den Zeitabschnitt zwischen Tod und Wiedergeburt, in dem der Wiedererstehende Lichter sieht. Bedenkt man den streng religiösen Hintergrund Turrells als Mitglied der Quäker-Gemeinschaft, wird klar, dass das Transzendente in seinen Lichtwerken eine Rolle spielt.

Der Mensch, entledigt seiner bisherigen, Orientierung gebenden sinnlichen Erfahrungen. (Bridget's Bardo, Ganzfeld Piece, 2008, begehbare Installation. Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Kunstmuseum Wolfsburg. © James Turrell, Foto: Florian Holzherr).

Der Mensch, entledigt seiner bisherigen, Orientierung gebenden sinnlichen Erfahrungen. (Bridget’s Bardo, Ganzfeld Piece, 2008, begehbare Installation. Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Kunstmuseum Wolfsburg. © James Turrell, Foto: Florian Holzherr).

Quäker: Der religiöse Hintergrund

Quäker sind eine Glaubens- und Kulturgemeinschaft, die viele Aspekte des modernen Lebens ablehnt, wie zum Beispiel die  Konsumorientierung – so hat Turrells Familie Auto und elektrische Energie abgelehnt. Quäker leben ein ursprüngliches Leben, das auf seine  essenziellen Grundlagen beschränkt bleiben soll, in denen der Mensch sich nicht entfremdet ist. Es geht um ein Leben, in dem Ursache und Wirkung aufs Engste miteinander verbandelt sind. James Turrell – in der Quäkergemeinschaft aufgewachsen – hatte sich in jungen Jahren von ihr distanziert, ist aber mit Mitte Vierzig wieder zu ihr zurückgekehrt. Seine Familie lehnt seine Kunst jedoch noch heute ab.

Raum für Erfahrungen: Neue Eindrücke entstehen durch eine Lichtwelt, die nun noch bis zum 3. Oktober in Wolfsburg erfahrbar bleibt. (Bridget's Bardo, Ganzfeld Piece, 2008, begehbare Installation. Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Kunstmuseum Wolfsburg. © James Turrell, Foto: Florian Holzherr).

Raum für Erfahrungen: Neue Eindrücke in einer Lichtwelt, die nun noch bis zum 3. Oktober in Wolfsburg erfahrbar bleibt. (Bridget’s Bardo, Ganzfeld Piece, 2008, begehbare Installation. Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Kunstmuseum Wolfsburg. © James Turrell, Foto: Florian Holzherr).

Begrüßung des Lichts

Seine Großmutter hatte zu Turrell – als er Kind gewesen war – wie in einem Mantra gesagt: „Begrüße das Licht in Dir.“ Man kann sich den Künstler als kleinen Jungen in der strengen Glaubensgemeinschaft vorstellen, dem es eine Freude war, das Sonnen-Licht in seiner wechselnden Farbigkeit und seiner Wärme zu spüren. Vielleicht eine Art visueller Luxus, eine kleine Attraktion für jemanden, der – gemessen an westlichen Großstadt-Standards – ein Leben mit wenig visuellen Reizen geführt hatte.

Aufnahme der Lage des größten Kunstprojekts der Welt, "Roden Crater" in Arizona von James Turrell. (Roden Crater Complete Site Plan (11-9-83), 2009, Farbiger Kohledruck, Edition von 50, 61 x 61 cm, Foto: James Turrell, Privatsammlung München, © Häusler Contemporary, München/Zürich).

Aufnahme der Lage des größten Kunstprojekts der Welt, „Roden Crater“ in Arizona von James Turrell. (Roden Crater Complete Site Plan, 11-9-83, 2009, Farbiger Kohledruck, Edition von 50, 61 x 61 cm. Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Kunstmuseum Wolfsburg. Foto: James Turrell, Privatsammlung München, © Häusler Contemporary, München/Zürich).

Elementar: Werkstoff „Licht“

Licht ist so essentiell für das Leben wie Essen, Trinken und Atmen. Die Selbstverständlichkeit des Lichts mag aber andererseits verblüffen. Hier setzt Turrell an, wenn er das Besondere der Lichtwirkung ins Zentrum seiner Kunst stellt. Zentral sind für ihn die Wahrnehmung von Licht – sowohl das Erspüren von Licht und intuitive Hineinfühlen in Licht, als auch seine bewußte Wahrnehmung. Licht in der Ausstellung „The Wolfsburg-Project“ bedeutet auch, sich seiner alt hergebrachten Orientierungs- und Wahrnehmungsfähigkeit zu entledigen. Ein Raum, der quasi nur aus Licht besteht, stellt Oben und Unten in Frage, scheint die Schwerkraft zu negieren und auf all das Gelernte, auf alle Erfahrungswerte zu verzichten, indem zum Beispiel seine Installation „Bridget’s Bardo“ dem Menschen, der an gelernte visuelle Orientierungsschemata gewöhnt ist, der Lichtwirkung ausliefert. Ein Lichtraum turrellschen Zuschnitts stellt alles in Frage. Das Gegenteil dieser sinnlich-sensorischen Erfahrung oder Nichterfahrung wäre es, blind in der Schwerelosigkeit zu schweben. Die beiden Gegensätze würden sich von ihrer Wirkung her vermutlich aufs Vortrefflichste annähern. Die Kunst Turrells ist interessiert am Gegensatz zwischen Innen und Außen, zwischen Oberfläche und Kern.

In der Wüste, umgeben von 400 Quadratkilometern Steppe, liegt das Zentrum turrellschen Wirkens. (Roden Crater, view from southwest. Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Kunstmuseum Wolfsburg. © James Turrell, Foto: Florian Holzherr 2003)

In der Wüste, umgeben von 400 Quadratkilometern Steppe, liegt das Zentrum turrellschen Wirkens. (Roden Crater, view from southwest. Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Kunstmuseum Wolfsburg. © James Turrell, Foto: Florian Holzherr 2003)

Die Dimensionen des Lichts

Licht ist vielfältig: Es wirkt auf die Psyche des Menschen ein, seine physikalischen Eigenschaften auf der Mittellinie der begrifflichen Vorstellungswelt zwischen Teilchen und Welle faszinieren, und Licht läßt den Betrachter überhaupt erst sehen; denn ohne Licht wäre die Welt natürlich dunkel. Ist es ein Zufall, dass Turrell drei Disziplinen studiert hat, die diese drei Eigenschaften des Lichts abbilden? Vor seinem Kunststudium hat er Studien der Psychologie und Mathematik absolviert.

Der Eingang zum unterirdischen Architektur von Roden Crater. (Roden Crater, East Portal, Ausgang zum Crater. Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Kunstmuseum Wolfsburg. © James Turrell, Foto: Florian Holzherr).

Der Eingang zur unterirdisch gelegenen Architektur von Roden Crater. (Roden Crater, East Portal, Ausgang zum Crater. Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Kunstmuseum Wolfsburg. © James Turrell, Foto: Florian Holzherr).

Turrells Alleinstellung

James Turrell wirkt wie ein Solitär im Kunstbetrieb. Seine Arbeit steht unter einer besonderen Prämisse: Landschaftskunst als Herberge des Lichts. Im eigentlichen Sinne ist er Lichtkünstler, der Architektur in den unmittelbaren Dienst von Lichterfahrungen stellt. Er gestaltet Räume, wie jetzt in der Ausstellung in Wolfsburg, er steigt aber auch in das Innere eines alten, inaktiven Vulkans, hat ihn weiter ausgehöhlt und umgebaut – nur, um einen Ort zu schaffen, von dem aus man Licht betrachten, empfinden und wirken lassen kann. Sich nur vorzustellen, in solch einem Raum einen Tag lang zu verbringen und den Wechsel des Lichtes an einem spartanischen Ort, der keine Ablenkung bietet, zu beobachten, hat beinahe etwas Religiöses.

Von links nach rechts: Tag und Nacht im Innern von "Roden Crater" erlebt. (Roden Crater, Skyspace East Portal, Tag. bdruck mit freundlicher Genehmigung des Kunstmuseum Wolfsburg. © James Turrell, Foto : Florian Holzherr).

Von links nach rechts: Tag und Nacht im Innern von „Roden Crater“ erlebt. (Roden Crater, Skyspace East Portal, Tag. bdruck mit freundlicher Genehmigung des Kunstmuseum Wolfsburg. © James Turrell, Foto : Florian Holzherr).

Das Hauptwerk „Roden Crater“

Wird in der Wolfsburger Ausstellung das Licht teils intensiv und flächig eingesetzt, wirkt der Lichteindruck im „Roden Crater“ – dem größten Landart-Projekt weltweit, das Turrell im vierten Jahrzehnt bearbeitet – zurückhaltend-natürlich. Turrell thematisiert dabei nicht nur das Licht in seiner Wirkung, sondern den Vorgang des tageszeitlichen Lichtwechsels. Es scheint, als wollte Turell die Flüchtigkeit seines Mediums „Licht“ ausgleichen durch eine monumentale Architektur. Der Gegensatz zwischen dem inmateriellen Licht und der schweren, erdverbundenen Architektur könnte größer nicht sein. Und das ist dann auch die Bandbreite des Künstlers: Fast poetisch verinnerlichend wirkendes Licht oder künstliches, das mit eindrücklicher Flächigkeit und Räumlichkeit deutliche Impulse setzt.

Neue Lichterfahrungen: Durch das Auge des Kraters nach draußen gesehen. (Roden Crater, Crater’s Eye, Skyspace, Tag. Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Kunstmuseum Wolfsburg. © James Turrell, Foto: Florian Holzherr).

Neue Lichterfahrungen: Durch das Auge des Kraters nach draußen gesehen. (Roden Crater, Crater’s Eye, Skyspace, Tag. Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Kunstmuseum Wolfsburg. © James Turrell, Foto: Florian Holzherr).

Lichterfahrungen: Fast ein Nichts oder weniger ist mehr

Man betritt im Museum einen Raum, in dem nichts ist außer Licht: Licht, dessen Farbspektrum moduliert und variiert wird, Licht das die Illusion von Räumlichkeit schafft. Das ist eine Konzeption, die es in sich hat, denn es geht dabei um nahezu das Nichts: Man kann sich an keiner Materialität orientieren, man kann nur neu sehen – in dem Bewußtsein, dass die Kunst als Kunstwerk nicht existiert. Es geht dabei an dieser Stelle auch nicht um kleinteilige Lichtobjekte, an denen man viele Details erkunden könnte. Turrells Licht ist großräumig. Wenn die Ausstellung vorbei ist, gehen die Lampen aus. Es bleibt nichts übrig. Bei anderen Installationen oder Kunstaktionen sind hinterher die Bestandteile oder Materialien greifbar. Man weiß, dass da etwas war, das man hätte berühren, mit seinen Sinnen hätte erfassen können: Man hätte es vielleicht sehen, hören oder taktil begreifen können. Nichts ist also so flüchtig und gleichzeitig so beeindruckend, so wandlungsfähig, so leuchtend und in seiner Farbintensität den Umstand verleugnend, dass da nichts Gegenständliches vorhanden ist. Wenn das Licht ausgeht, bleibt nur Dunkelheit.

https://www.youtube.com/watch?v=oANL6ZwCSP0