Das 2. Gesicht

Das war ein Gesicht, das ich auf einen 10x10cm-Zettel gekritzt habe, beim Telefonieren mit einem Kuli. Ich habe es abfotografiert, am PC schwarz-weiß gestellt, einige Linien verdickt und kleine Flächen mit Schwarz geschlossen und das ganze in Photoshop eingefärbt.

Ein reifes Profil

Aber richtiges Zeichnen ist für mich so ähnlich wie Bildhauerei, es ist Verhandlungsmasse: Man kann immer wieder etwas wegnehmen/ausradieren oder hinzufügen. Die Farben waren mir ja auch viel zu grell. Indem ich etwas schwarz stelle bzw. zumale, nehme ich von der Farbe etwas weg wie der Bildhauer vom Marmorblock.

Das Wüstengesicht

Man soll ja im Grafik-Design nie etwas verzerren, weder Schriften, noch Fotos, noch Illustrationen. Wenn es aber die eigenen sind, kann man damit hemmungslos machen, was man will. Hier also habe ich das Gesicht in die Breite gezogen. Die Nase wird länger und noch lächerlicher, die vertikalen Striche verdicken sich ebenfalls erheblich. Das gibt der Zeichnung mehr Flächigkeit im Schwarzen und damit mehr visuelle Kraft und Prägnanz.

Furchengesicht

Den Farben nehme ich immer weiter ihre Sättigung. Im Leben ist doch das das Spannende, was weniger deutlich und weniger offensichtlich ist. Manchmal mag ich deutliche Signalfarben, im visuell überfrachteten Social-Media-Stream zum Beispiel fallen die besser auf. Sie setzen deutliche Signale. Ich mag es aber lieber gedeckter und hintergründiger, weniger oberflächlich halt.

Jetzt schraube ich an den Schwarzwerten weiter. Hier habe ich den Augenbereich vergrößert und ebenso die Linie, die vom Auge zur Nase führt, verdickt.

Faltergesicht.

Die Außen-Linie links oben am Kopf habe ich schwarz zugemalt, die Fläche oben auch. So wird die Stirn zur Kugel. Gefällt mir nicht unbedingt. Aber mal sehen, wie es weitergeht. Der Augenbereich ist noch schwärzer geworden, die Nase an der Nasenwurzel etwas eingedrückt.

Knittergesicht

Die rote Fläche, die rechts an allen Seiten aus dem Bild lief, runde ich nun an. Dadurch wird die Gesamtform konsistenter und in sich geschlossener. Der Betrachter nimmt sie als deutlich begrenzter, kompakter wahr und kann sie besser erfassen.

Felsengesicht

Die Rundung rechts arbeite ich weiter aus, weil es noch runder und gefälliger werden soll. Gleichzeitig erhält die die Illustration umschließende Schwarzfläche immer mehr Dominanz und wird wichtiger. Die Binnenlinien und die außen liegenden Schwarzfläche gehen immer mehr eine Synthese ein.

Canyon-Gesicht

Während die Farbsättigung von Bild zu Bild unmerklich abnimmt, ziehe ich den Kopf nochmals nach links etwas in die Breite, damit er so im Format steht, wie ich mir das vorstelle. Der Kopf ist, ausgehend von der ersten Zeichnung, nun eigentlich fast karikaturenhaft verzerrt.

Felsengesicht

Der Rotanteil der Farbe soll nun doch eher im Gesicht sitzen, soll dort etwas Aktivität und Lebendigkeit zeigen, während die kühle Ratio dahinter rechts sitzt. So gefällt mir das besser.

Ätzgesicht

Jetzt dunkle ich die Zeichnung weiter ab, weil sie mir zu freundlich wirkt. Ich möchte, dass es mehr nach stillem Kämmerlein aussieht. Mehr von der Sonnenseite des Oberflächlichen abgewandt.

Schlafgesicht

Und dann hole ich zum letzten Schlag aus: Alle Hauptlinien inkl. der Augenpartie werden nochmal verdickt. Tendenziell wird das Filigrane weggedrückt und von schwarzen Flächen überdeckt. Die Nase wird kürzer. Ich will Kompaktheit, Geschlossenheit.

Wachgesicht

Ich entferne die runde Form ganz rechts mehr vom Rand, verkürze und runde sie. Das Motiv wird insgesamt immer geschlossener. Die Nase wird in zwei Teile segmentiert. Die Neandertalerstirn passt jetzt besser dazu, weil die drei runden Formen an der Gesichtsfront in ihrer unterschiedlichen Größe miteinander korrespondieren. Für mich sieht die Zeichnung nun primitiv aus, gleichzeitig lehnt sie sich an die Form eines Gehirns an. Gefühl und Vernunft, ganz nah beieinander.

Hirngesicht

Und am Ende: weg! hinfort! mit dem Gesicht. Dieser Ausschnitt zeigt zwei Menschen, die hintereinander kauern und sich lieben. Wer den Regenbogen sucht, findest seinen Schatz. Und wer wissen will, was die Illustration in Wirklichkeit bedeutet, kann hier nachlesen.