Umzug. Für den superschweren Kopierer waren vier Möbelpacker notwendig. Aber nur drei kamen. Alle drei muskelbepackte gedrungene der Erde zugeneigte Männer, die genau das Notwendige redeten.
Die Treppe war steil und gewunden. Drei Männer waren da zu wenig. Zumal der Kopierer so schwer war, dass man ihn zu dritt nicht tragen konnte. Ich stellte mich zur Verfügung, an einer Ecke mit anzufassen und das enorme Gewicht mitzutragen. Der Vorarbeiter, ein offensichtlich besonnener Mann, musterte mich von oben bis unter, wohl weil er dachte, dass ein Bürohengst sowas nicht wuppen könne. Es blieb ihm aber nichts anderes übrig, sonst hätte er nochmal wiederkommen müssen.
Die Kunst des Treppesteigens
Wer schon einmal etwas Sperriges eine Treppe hinunter getragen hat, weiß, dass der unten Stehende mehr Gewicht tragen muss und der oben Stehende zwar weniger Gewicht – dafür muss er sich bücken oder nach vorne beugen, was auf den Rücken geht und die geringere Belastung wieder relativiert, einfach weil die Trage- und Halteposition unbequemer und damit schwieriger ist.
Die Gefährlichkeit des Treppesteigens
Man stelle sich also vier Männer vor, die ohnehin bei der Aufgabe zu ächzen haben und dann noch mit einer ungünstigen Treppe kämpfen müssen. Die zwei unten Tragenden waren der Vorarbeiter und der jüngste von den Dreien, der gebaut war wie ein Bodybuilder. Beide trugen fast wie Zirkusartisten breite Gürtel, die fest geschnürt waren und die Muskulatur unterstützen sollten. Der Vorarbeiter war ein erfahrener Mann und wusste, dass die Situation gefährlich war. Würde der Kopierer entgleiten, würde er nicht mehr zu halten sein, würde kaputtgehen und am Ende jemanden unter sich begraben können. Angeliefert worden war der Laserkopierer seinerzeit von sechs Männern. Wir rollten also das schwere Gerät an den Treppenabsatz, bereiteten uns vor, sowohl mental als auch praktisch – ich holte mir ein Paar Handschuhe –, neigten den Kopierer und konzentrierten alle unsere Kräfte. Was dann geschah, werde ich nicht vergessen.
Die Unmöglichkeit der Aufgabe
Aus heutiger Sicht würde ich sagen: Der Kopierer wäre über kurze ebene Strecken ohne weiteres von vier kräftigen Personen zu tragen gewesen – nicht aber eine solche auch noch lange gebogene Treppe hinunter. Ich glaube heute, der Vorarbeiter hat das gewusst. Aber er hat auch gewusst, wie er den Mangel an Personen ausgleichen konnte.
Schreie der Kraft und Erlösung
Als wir den Kopierer die Treppe möglichst zügig hinunter wuchteten und der Vorarbeiter und der junge muskulöse Mann die Hauptlast stemmten, schrie der Ältere den Jüngeren in einem nicht enden wollenden Stakkato an. Er feuerte ihn an: Ja, das hältst du… weiter… halt fest… das schaffst du. Er konzentrierte sich mit seinen anfeuernden Schreien ausschliesslich auf den einen Mann. Dem standen die Adern wie Kabel im Gesicht hervor. Er wirkte tatsächlich wie ein Gewichtheber bei den Olympischen Spielen. Das ganze hatte etwas von einem fatalen Ballett mit atonalem Gesang, Stufe um Stufe, mit schneller Geschwindigkeit, weil keiner lange halten konnte. Der Vorarbeiter seinerseits hielt das Gewicht, spannte Schenkel und Waden, er brüllte immer lauter, je näher wir dem rettenden Boden des Flurs unten kamen.
Genieße die Ruhe nach dem Sturm
Die Gesichter aller Träger waren so sehr angespannt, dass sie aussahen, als würden sie in ihre Bestandteile zersprengen. Es waren rote Masken der Anstrengung, Krafthauben des Ausdrucks. Der Vorarbeiter schrie uns alle, auch wenn er nur den einen meinte, in wenigen Sekunden die Treppe hinunter. Er schrie in den Körper seines Trägers und mobilisierte dort jene Kraftreserven, ohne die es nicht gegangen wäre. Es waren Schreie, die dem anderen sagten: Vergeude dich. Wenn du das hier schaffst, dann schaffst du alles. Die Schreie waren Ansporn und Belohnung zugleich. Ohne sie hätten wir es nicht geschafft. Vielleicht war es ein bißchen so, wie wenn man einen Zahnschmerz hat und sich in den Oberschenkel kneift, um sich mit einem anderen Schmerz vom Hauptschmerz abzulenken. Er hat uns mit seinen Schreien davon abgelenkt, dass es nicht ging, dass die Aufgabe gar nicht zu schaffen war. Der Kopierer ist dennoch heil unten angekommen.
One Response to “Lautmalerei: Wie man etwas nicht nur herbeireden sondern auch herbeischreien kann”
[…] wispern, hauchen, säuseln, zischeln, wettschreien: ℘ Tierschreie ℘ Freiheitsschreie ℘ Lautschreie ℘ Blockschreie ℘ Wasserschreie ℘ Geschenkschreie ℘ Krampfschreie ℘ […]