Haiku

Vom Himmel war dem Lieben Gott ein Haar heruntergefallen und bis ganz nach unten in die Hölle geschwebt. Ein himmlisches Haar in der Hölle, das war wie das sprichwörtliche Haar in der Suppe – soviel Leichtigkeit durfte am Ort vollkommener Schlechtkeit und Boshaftigkeit nicht sein. Der Teufel persönlich wollte es zurück bringen.

Doch als er vor der Himmelpforte stand, war gerade Mittagspause, und die dauerte immer. Er hätte jetzt warten können oder aber den beschwerlichen Weg über die aufwärts fließenden Wasserfälle nehmen können, wofür sich der Teufel aber in einen Haifisch verwandeln musste, um in den himmlischen Gewässern nicht unterzugehen. So entschied er sich also, dem pausierend-fischenden Lieben Gott entgegen zu schwimmen.

Denn der entspannte in der Pause in aller Ruhe täglich mit der Angelrute am Fluß. Der Weg war weit und der Teufel hatte inzwischen Hunger bekommen. Er sah sich um und tatsächlich: Da schwamm eine Fliege an der Wasseroberfläche. Das war besser als gar nichts. Der Hai sauste unter Wasser gierig auf die Fliege zu und verschlang sie, aber ehe er sich versah, wurde er an einer Schnur im Maul aus dem Wasser an Land gezogen. Der Liebe Gott hatte den Teufel am Haken.

Der Liebe Gott trat zu ihm hin und hörte sein Japsen. Augenblicklich überreichte der Hai ihm das Haar: „Hier, das hast du verloren, und nun lass mich zurück.“ Der Liebe Gott wirkte nicht überrascht. „Nein, du bleibst hier. Jetzt habe ich dich halt einmal eingefangen, jetzt bleibst du Teil des Himmels.“ – „Was du nicht bedacht hast“, erwiderte der Teufel höhnisch, „ist, dass mit meinem Verbleib im Himmel nicht etwa das Böse dort unten ausgerottet wäre, nein, Schlechtigkeit würde zusätzlich Einzug in den Himmel halten und auch hier das Gute trüben.“

Der Liebe Gott überlegte. „Wieso sollte drunten nicht alles viel besser werden, wenn du fort bist?“ – „Weil die Leute mich vermissen würden. Sie würden sich nach mir sehnen und Götzenbilder von mir anfertigen, die sie anbeten.“ – „Aber tun sie das nicht schon?“ – „Ja, aber weniger intensiv. Sehnsucht und Vorfreude sind oft stärkere Erfüllung, als die Erfüllung des Wunsches selbst.“ Der Liebe Gott kratzte sich am Kopf. „Wenn das stimmen würde, hieße das, dass im Himmel all die Jahre ohne deine Anwesentheit als Teufel die Sehnsucht nach dem Teuflischen noch viel größer gewesen sein muss als auf Erden, wo du regelmäßig gewandelt bist.“ Der Teufel lachte auf: „Findest du nicht, dass es so ist? Wo die Schlechtigkeit tagtäglich gelebt wird, ist die Sehnsucht nach ihr gering. Wo aber das Böse und Hinterlistige ein seltenes Gut sind, muss der Wunsch nach ihnen riesengroß werden.“

Der Liebe Gott musste lächeln. „Das hieße aber auch, dass dort, wo das Schlechte an der Tagesordnung ist, der Wunsch nach dem Guten riesengroß wird.“ Der Haifisch nickte: „So liefern wir uns die Gründe, warum es uns beide geben muss in unseren Welten und das Gleichgewicht zwischen Gut und Böse doch eher ein Ausgleich der Wünsche ist, der darauf abzielt, das zu bekommen, was man nicht hat.“

„Es war mir eine Ehre“, sagte der Liebe Gott schräg lächelnd, „dass ich dich, den ich sonst nie bei mir habe, einmal an der Angel hatte.“ Dann kappte er die Angelschnur und ließ den Hai zurück schwimmen.