Akte-X-Star

Oben: Gillian Anderson, die eine der beiden Hauptrollen in der Mystery-Serie Akte X gespielt hatte, ist in der extravaganten TV-Serie „Hannibal“ nach Chrakteren von Thomas Harris die Psychologin Dr. Bedelia Du Maurier. Hannibal gilt in vielerlei Hinsicht als eine TV-Serie in Kinoqualität.

TV-Serien-Mastermind Bryan Fuller, der augenblicklich als Showrunner mit der Serie Hannibal neue erzählerische und ästhetische Maßstäbe innerhalb eines kontroversen Rahmens setzt, wurde in einem Interview bezüglich der Zuschauerzahlen von Fernsehserien etwas nachdenklich: Seinen Serien Dead Like Me (2003/1 Staffel), Wonderfalls (2004/2 Staffeln) und Pushing Daisies (2007/2 Staffeln) war nur ein kurzes Leben beschieden. Die Serie Heroes, die zwischen 2006 und 2010 ausgestrahlt worden war, die er mitkreiert hatte und die gerade wiederbelebt wird, war damals nach der vierten Staffel abgesetzt worden, obwohl sie überaus furios gestartet war. Die Folge 9 der ersten Staffel hatte in Amerika über 16 Millionen Zuschauer, die vierte Staffel hingegen im Schnitt „nur“ noch unter 6 Millionen. Die hoch gelobte Serie war damals letztlich wegen zu niedriger Einschaltquote abgesetzt worden.

Inzwischen hat sich das etwas nivelliert. Bryan Fullers aktuelles Projekt für ein erwachsenes Publikum, Hannibal, hatte in den ersten beiden Staffeln unter 3 Millionen Zuschauer und hat es dennoch in eine dritte Staffel geschafft. Warum? Es gibt drei Gründe: Zum einen ist Fernsehen nicht mehr nur Lückenfüller zwischen den Werbespots, zum zweiten gibt es eine Inflation an Fernsehserien, womit ein Zuschauerschwund verbunden ist, und zum dritten ist das Medium erwachsen und deshalb anspruchsvoller geworden. Anspruchsvoll bedeutet heutzutage gleichzeitig Zielgruppengenauigkeit – und je genauer man spezielle Zielgruppen bedient, desto tendenziell kleiner können sie werden.

1. Anderes Geschäftsmodell: Fernsehen wird unabhängig von Werbegeldern

Man kann das Entstehen der Fernsehserien zum einen bedingt durch die pure Existenz des Mediums Fernsehen sehen, das einen großen Bedarf an Inhalten hatte. Man hätte sich theoretisch vorstellen können, dass diese Inhalte auch durchaus mehr den Tagesnachrichten verpflichtet sein oder dass Dokumentationen gezeigt werden könnten. Aber da waren Unternehmen, die ihre Produkte an den Mann bringen wollten und Werbeagenturen, die nach den genauesten Möglichkeiten suchten, ihre Zielgruppen zu erreichen. Über Fernsehserien und ihre Zielgruppenausrichtung lassen sich maßgeschneidert bestimmte potenzielle Käufer erreichen. Serien sind also schnell Vehikel der Werbung geworden, die Menschen auf audiovisuellen Kanälen erreichen wollen.

Neue TV-Serien-Konzepte für höhere Ansprüche
Es gab eine Fülle an Fernsehserien in den 1960er und 1970er-Jahren, die qualitativ einfachste Klischees bedienten und nach simpelsten Strickmustern konstruiert waren. Solche Serien gibt es auch heute noch en masse. Man sah diesen Serien überdeutich an, dass sie nicht die Kinder von Mutter Kino waren, sondern bestenfalls dessen Stiefkinder: Kleine Budgets, kurze Produktionszeiten und ein Erzählrhythmus, der von den Werbeeinblendungen vorgegeben war, machten anspruchsvolles Arbeiten schwer. Vergleicht man diese Zeiten mit aktuellen Serien wie Breaking Bad, Boardwalk Empire oder vor allem mit Hannibal, tritt deutlich zu Tage, dass diese drei Serien etwas geschafft haben, das bis vor kurzem unmöglich schien: sie besitzen in vielerlei Hinsicht Kinoqualität – inhaltlich, erzählerisch, ausstattungsmäßig und technisch.

Pushing Daisies, Boardwalk Empire und Hannibal als Fernsehen neuer Güte
Was den Serien-Schöpfer Bryan Fuller anbelangt, war dies bereits bei seiner Serie Pushing Daisies der Fall: ein ambitioniertes überaus originelles Grundkonzept, ausgefeilte Storys und eine Visualität, die man selbst in vielen Kinofilmen kaum findet. Sowohl Pushing Daisies als auch Hannibal sind für ihre visuelle Sprache, für Innenausstattung, Kameraarbeit, Effekte und Bildregie gelobt worden. Sieht man sich Hannibal in der BlueRay-Version auf einem Großbildfernseher an, fühlt man sich tatsächlich wie im Kino. Das hat nicht nur künstlerische, sondern auch technische Gründe, weil die BlueRay gegenüber der DVD viermal so hoch aufgelöst ist und weil man sowieso anspruchsvolles Audio via Dolby TrueHD oder DTS HD-MA nutzen kann. Die Entwicklung macht nicht halt: schon sind 4K-Fernseher vorhanden, auch wenn es noch kaum Filme in entsprechender Qualität gibt. Die Bilder werden immer hochaufgelöster und zunehmend dreidimensionaler. (Wann kommt der ultrarealistisch wiedergegebene Film als dreidimensionale Raumprojektion? Und wann das Samrtphone als hochauflösender Minibeamer?)

Medien-Revolution: Film-Regisseure machen Serien ohne Werbespot-Finanzierung
Die Revolution der Serien ist einem ganz einfachen wirtschaftlichen Umstand geschuldet: Entzieht man sich der Finanzierung über Werbeeinblendungen und findet man andere Finanzierungsmöglichkeiten über ein Bezahlfernsehen, steigen die Ansprüche der Zuschauer und die Ansprüche an die Serienmacher. Selbst Amazon in seiner Eigenschaft als simpler Online-Film-Vertrieb hat inzwischen Pilotfolgen von unterschiedlichen eigenen Serien produzieren lassen und lässt seine Kundschaft darüber abstimmen, welche weiter entwickelt werden soll. Mit dieser neuen Unabhängigkeit einher geht, dass die Serien auch erwachsener werden können. Sie müssen sich nicht mehr Inhalten verpflichtet fühlen, mit denen Werbekunden einverstanden sind.

2. Ideen Ahoi: Neue Inhalte und neue Formate im Fernsehserien-Markt

Heute ist der amerikanische Fernsehserien-Markt überflutet von immer neuen Ideen und Konzepten, und die Geschäftsmodelle haben sich geändert. Mussten sich Serien alten Zuschnitts über Werbeeinnahmen finanzieren, wurden die wirklich provokanten Serien wie Dexter oder Californication im Pay-TV gezeigt und somit über Abogebühren finanziert. Die Bezahl-Sender HBO und Showtime haben diesbezüglich Pionierarbeit mit nicht jugendfreien Inhalten geleistet. Dazu gehören auch Serien wie Die Sopranos, Sex and the City oder Six Feet Under. NBC, der große amerikanische Sender, der mit seinen assoziierten Partner-Sendern nahezu die ganze amerikanische Bevölkerung erreicht, versuchte mitzuhalten und hatte deshalb für Hannibal grünes Licht gegeben, eine Serie, die in mancherlei Hinsicht Tabus bricht.

Mehrfach-Verwertungsketten: Die Fernsehserie als DVD-/BlueRay-Umsatzbringer
Die Zuschauerzahlen, die früher nicht genügten, werden heute im amerikanischen Fernsehen regelrecht dankbar angenommen. Fernsehserien haben sich vertriebsmäßig wie die Kinofilme aufgesplittet in die TV-Ausstrahlung und zum anderen in den DVD- und BlueRay-Vertrieb. Es gibt Kinofilme wie Riddick: Chroniken eines Kriegers, der an den Kinokassen floppte aber durch DVD/BlueRay-Verkäufe und kluges Spiele-Merchandising doch in die Gewinnzone kam und dann wieder gut für eine weitere Fortsetzung war. Eine weitere Tendenz ist, dass die Medienformate in multiplen Verwertungsketten näher zusammenrücken: Comics werden verfilmt und Kinofilme werden zu Fernsehserien. Ist die Produktion hochwertig, kann nach der Ausstrahlung im Datenträgervertrieb per DVD/BlueRay weiteres Geld verdient werden. Datenträger? Ist das noch zeitgemäß?

3. Erwachsene TV-Serien für anspruchsvollere Zuschauer

Das Internet ist überall, und werden die Datenautobahnen endlich schneller, steht der flächendeckenden Übertragung von Filmen übers Web nichts mehr im Weg. Überhaupt sind Onlinevideotheken auch schon wieder ein nächster evolutionärer Schritt zwischen Fernsehen bzw. Onlinefernsehen und dem DVD/BlueRay-Kauf. Das Wort von der Medienkonvergenz macht seit Jahren die Runde und erhält in immer kürzeren Abständen neues Futter.

Medien-Konvergenz: Der eierlegende Wollmilch-Fernseh-Web-PC
Das Fernsehen alten Zuschnitts wird dabei durch die Möglichkeiten und Vertriebskanäle des Internets ergänzt und hat sich so auch in Deutschland verändert. Medienkonvergenz bedeutet, dass Medien verschmelzen oder sich zumindest annähern. Mit dem Entstehen des Internet, das zum Beispiel auch IP-Telefonie oder IP-Fernsehen möglich macht, ist die Grundlage für die Synthese unterschiedlichster Medien und Kommunikationsformen gelegt. Medienkonvergenz hat aber ganz verschiedene Seiten. Als Vertriebskanal bezieht sie sich auf die wirtschaftliche Seite, und neben den technischen Aspekten werden auch Inhalte immer wichtiger – wegen der Zielgruppengenauigkeit und den Zuschauerbedürfnissen. Denn längst kann man Serien übers Internet ansehen – auf RTL Now zum Beispiel, in den Mediatheken des öffentlich-rechtlichen Fernsehens oder von Arte sowie bei Distributionsplattformen wie Maxdome Serien. Neuere Serien wie Breaking Bad oder Mad Men kann man im Free-TV sehen, teilweise bereits vorher in der Online-Videothek, per Satellitenfernsehen oder auf DVD/BlueRay. Entscheidend für den Konsumenten sind drei Aspekte: Kosten, Qualität und vor allem der Zeitpunkt der Ausstrahlung, das heißt: wie früh nach Veröffentlichung man eine Serie sehen kann. Amazon Instant Video beispielsweise, das seit Februar 2014 Amazon Prime und den DVD/BlueRay-Verleih Lovefilms bündelte, bietet eine Mischung aus Onlinevideothek- und Video-on-Demand-Service und Maxdome wirbt damit, Serien vor der Free-TV-Premiere zu zeigen.

Konsumenten-Divergenz: Wir müssen draußen bleiben
Die Technik hat eine Schattenseite, die man Konsumenten-Divergenz nennen könnte. So wie bei der Medien-Konvergenz Aspekte zusammenlaufen, teilen sie sich bei der Divergenz; denn Hochtechnologie, schnelle Datenleitungen und Endgeräte kosten Geld und erfordern Know-how, das die Konsumenten separiert: in Medienaffine und jene, die bei der Entwicklung außen vor bleiben. Das bezieht sich auf immer neue Web-Technologien und -Möglichkeiten, gleichermaßen auf Hardware und Software, auf technische Mobilität, Interaktivität und immer stärker konvergente Medienbereiche.

Auflösungserscheinungen: Als die Pixel immer kleiner wurden
Große Fernseher verfügen inzwischen fast schon über die Dimensionen kleiner Kinoleinwände. Die nachfolgende Übersicht läßt das rasante Tempo erahnen, mit dem die Entwicklung der Bildschirm-Auflösungen von Smart-TVs und Computern voran schreitet:

Bildschirmauflösungen (in Pixeln)
HD:
1.280 x 720 (High Definition)
Full HD: 1.920 x 1.080
4K: 3.840 x 2.160 (Ultra High Definition/UHD)
5K: 5.120 x 2.880 (Ultra High Definition Plus/UHD+)
8K: 7.680 x 4.320 (Full UHD/FUHD)
16K: 15.360 x 8.640 (Quad UHD/QUHD)

Die gespaltene Gesellschaft: Digital Natives gegen Digital Naives
Dabei haben Endgeräte wie BlueRay-Player oder Smart-TVs einen Internetzugang und erhalten damit Zugang zu Online-Videotheken bzw. Online-Mediatheken. Deshalb spricht man vom „Digital Divide“, der geteilten Nutzerschaft, bei der die einen die Erfordernisse des Internet in ihren Kulturtechnik-Baukasten eingliedern können, während die anderen digitale Analphabeten bleiben und in die Röhre gucken – auch wenn die „Röhre“ heutzutage digital und LED-befeuert ist.

Fazit: Vom Werbespot zum Werbespott

Eine bildgewaltige in jedem Detail ausgearbeitete Serie wie Hannibal etwa läßt sich in allen ihren Aspekten am besten mit aktueller Technik erleben und genießen. Ihre surrealen Bildwelten entfalten sich ganz besonders auf hochaufgelösten Großbildschirmen. Ästhetik und Technik gehen hier Hand in Hand. Der nächste folgerichtige Gedanke wäre, sich die Serie im Kino vorzustellen. Andererseits sieht sich der Medienkonsument per Web endlich in der Lage, nervender Werbung und dem bevormundenden Fernsehprogramm zu entkommen. Nimmt man hinzu, dass immer mehr künstlerisch ambitionierte Filmregisseure Serien produzieren oder bekannte Filmschauspieler darin mitspielen, wird klar, dass die Grenzen zwischen TV und Film verwischen. Ob nun Ridley Scott die Serie Numbers produziert, was schon länger her ist, Martin Scorsese Boardwalk Empire oder David Slade Serien wie Hannibal oder Breaking Bad eine innovative Bildsprache verpasst – die TV-Serie im Verhältnis zum Film Boden gut gemacht und hat die Distanz zum Medium Kinofilm deutlich verringert.