Auf dem heissen Stein

Ihre Füße reichen nicht bis auf den Boden, hängen in der Luft, manchmal zappeln sie wild hin und her, ein anderes mal lässt sie die Beine hängen, macht sie lang und streckt die Zehenspitzen aus, versucht den Boden zu erreichen, fest presst sie dabei vor Anstrengung ihre Lippen aufeinander.

Er ist tief unten, und schon lange nicht mehr lässt sich das zerkratzte Parkett auf Hochglanz polieren, von da, wo sie sitzt, scheint es ein Lebenlang fort zu sein, wenn man so klein ist wie sie, in diesem Moment. Langsam rutscht sie dann an der Stuhlkante hinunter, klammert ihre Finger um die Armlehnen, die den runden Holm gerade so umfassen können. Ihre Fingerspitzen berühren sich zart, schließen den Kreis, halten sie. Das harte Holz der Sitzfläche drückt sich dabei auf ihren Rücken, schabt mitunter über ihre Haut oder zieht einen Faden aus ihrem wollenen Pullover.

Mutig ist sie, löst den Griff ihrer Hände bevor ihre Füße das Unten berühren, fliegt für einen Moment, genießt diese Welle der Haltlosigkeit. Die Dielen sind alt, aufgeraut ist die Oberfläche, tausende Schritte sind darüber gegangen, unzählige Male sind die Stühle hin- und hergerückt und die Tische zur Seite geschoben worden. Die tief in das Holz gegrabenen Schürfwunden erzählen von Wut, Trauer, schneiden Grimassen der Freude und Angst wie in einem flachen Spiegel, der sein Widerbild nur in fratzenhaften Scheiben der eigenen Schamlosigkeit entgegenwirft. Täglich hat spätabends ein Wischmop warmes Putzwasser in seine Fugen gedrückt, hat die Farbe des Holzes verdunkelt und es wie ein großes schwarzes Meer aussehen lassen, unmöglich hindurchzuschwimmen, ohne sich darin aufzulösen oder darin zu ertrinken.

Manchmal vibrierte das gurgelnde Röcheln in einer transparenten Lautlosigkeit durch den Raum, in Wirklichkeit aber hatte es sich in einer nekrotischen Tätowierung schon früh auf ihr Trommelfell gelegt. Kleine Kiesel hat der baumwollene nasse Knäuel in seiner Brandung vor sich hergeschoben, die Schuhe der Leute hatten die Steinchen hereingetragen. Sie hat das Geräusch gehört, wie es gekratzt hat, trägt es noch immer in ihren Ohren. Ab und zu hat sie eines aufgehoben, fest in ihrer Faust eingeschloßen, um es dann in die Silikonfuge in der Ecke hineinzudrücken, so lange und so fest bis es nicht mehr zu sehen war und die weiche trockene Masse es verschlungen hatte. Und nur wenn sie ihre Finger die Rille hat entlang gleiten lassen, hat die Empfindsamkeit ihrer Haut die Spitzen und Kanten der Steine nocheinmal erfühlen können, dem Blick waren sie jedoch vollständig entschwunden.

Kam der nasse Mop in ihre Nähe, dann hat sie ihre Füße hochgezogen, sie neben sich auf dem durchgesessenen Kissen abgestellt, war aus ihren Schuhen geschlüpft, hat ihre Beine mit den Armen umschlungen, den Kopf auf die Knie abgelegt und erst am Morgen, wenn die Nacht die Ritzen des Holzes wieder heller hat werden lassen, hat sie sich getraut, sie wieder auszustrecken. In der langen Dunkelheit aber, dann wenn auch der Schein der Laterne vor dem Fenster nicht mehr genug Licht hereingetragen hatte, hat sie sich zusammengerollt und mit dem Schließen der Augen hat sich die Unsichtbarkeit über ihren Körper gelegt. Und mit der Zeit war sie geblieben.